Kapitel 34- Geister

5.5K 390 50
                                    

Nachdem wir uns auf Corals Bett ein wenig beraten hatten, hauptsächlich über das Thema Jungs und wir Techniken im Wasserbändigen ausgetauscht hatten, bei denen ich am meisten beizutragen hatte, waren wir alle sehr müde. Deshalb legte ich mich sofort in mein Bett und tat es somit den anderen nach. Kurz darauf spielten die Gedanken in meinem Hirn Karussel. In dem geheimnisvollen Buch ging es ja bestimmt nicht um den Avatar, wie Christian behauptet hatte, sondern um die Fähigkeiten der Geister. Christian, der nun also doch ein Geist war, musste das Buch diesem Schattentypen gezeigt haben oder würde es bald tun. Am liebsten hätte ich gegen den Nachtschrank getreten, wegen meiner eigenen Blödheit, aber das wollte ich den anderen nicht jetzt noch antun. Ich hätte das Buch ruhig mal woanders verstecken können. Nicht in so einem leichten Versteck wie diesem. Jeder Volltrottel käme zuerst auf den Nachtschrank.
"Mach das Licht aus!", maulte Alice von ihrem Bett aus und wältzte sich auf die andere Seite.
"Lass sie! Sie kann das Licht so lange benutzen, wie sie will", verteidigte mich Cat. Zu gern hätte ich sie dafür gedrückt, doch ihr Tonfall deutete darauf hin, dass sie auch so schnell wie möglich schlafen wollte. Ich machte das Licht aus und sank in das weiche Kissen. Morgen hatten wir die Halbjahresprüfung für das Fach Wassertraining. Die Prüfung wurde nur deshalb verschoben, weil man sich Sorgen um die Schüler machte. Und um die Schatten, die keine Gelegenheit ausließen uns anzugreifen. Doch in letzter Zeit wagten sie es nicht, den Schattenwald zu verlassen oder sie heckten Pläne aus und waren deshalb zu beschäftigt. Ich runzelte die Stirn. Wie konnte es sein, dass ich der Avatar war, die ganze Zeit, aber nichts davon bemerkt hatte. Und ich brachte meine Freundinnen in große Gefahr. Bestimmt löste ich das Feuer von heute Nachmittag aus, ich hatte nur den falschen vermutet. Ich stand wortwörtlich im Feuer und war... nun ja... noch nicht einmal verkohlt. Ob diese Gabe auch zum Avatar-sein gehörte? Konnte ich Christian jetzt noch vertrauen, nach allem womit er mich angelogen hatte? Und wann würde ich endlich lernen meine Elemente zu kontrollieren? Szu würde mir doch hoffentlich helfen. Theoretisch benutzte ich die anderen Elemente ja schon. Ich hatte Christians Luftbälle abgewehrt, wie auch immer ich das gemacht hatte, und ein Feuer ausgelöst, dass man nicht mit Wasser stoppen konnte. Immerhin schon mal was.
Bevor ich mir weiter Gedanken machen konnte, fiel ich in einen tiefen Schlaf. Über all die komplizierten Ereignisse würde ich morgen auch noch nachdenken können. Zum Beispiel über das gestohlene Buch, das ich zurückholen wollte.

Am nächsten Tag erwartete uns eine ganz spezielle, unerwartete Überraschung. Im negativen Sinne. Und die hatte nicht einmal etwas mit der bevorstehenden Halbjahresprüfung im Wassertraining zu tun. Der Donnerstag verlief bis zum zweiten Block wunderbar. Der zweite Block fiel nämlich aus. Jeder Schüler hätte sich darüber gefreut, was ich auch eindeutig tat, doch was stattdessen passierte, traute sich keiner auch nur auszusprechen. Alle Schüler sollten im Empfangssaal eintreffen und jeder hatte schon eine Ahnung weswegen. Ich hatte jedoch ganz andere Pläne und würde mir keine Sorgen über einen langweiligen Vortrag machen müssen und deswegen, dass ich vielleicht etwas verpasste. Cat würde für mich hingehen und ich suchte derweil nach dem Buch in Christians Zimmer. Natürlich war diese Idee dumm, weil Christian das Buch bestimmt an sich und mitgenommen hatte. Aber ein wenig spionieren konnte mir in dem Fall auch nicht schaden. Als die Lautsprecherstimme uns auforderte in den Empfangssaal zu gehen, kämpfte ich gegen die Schülerscharr an und rannte zurück in unser 5er Zimmer. Blitzschnell steckte ich den Zimmerschlüssel ins Schlüsselloch und ging hastig durch den dunklen Gang, durch die beiden Falltüren zum Jungszimmer. Ich kroch durch die kleine Geheimtür und stellte mich aufrecht hin. Wie erwartet hielt sich niemand im Raum auf. Ich würde mich denoch beeilen müssen. Schnellenschrittes lief ich zu Christians Nachtschrank, nur um kurz darauf feststellen zu müssen, dass sich das Buch nicht dort aufhielt. Tja, das wäre auch zu einfach und zu schön gewesen. Hektisch lief ich zum Kleiderschrank und riss ihn auf. Ein Instinkt sagte mir, dass Christians Schrank, der neben der Tür war. Ein seltsamer Instinkt, der jedoch bestätigt wurde. Ja, Christians Sachen waren wirklich weg, allesamt. Nichts mehr übrig, was ich mir hätte ansehen können. Oder sollte ich eher untersuchen sagen?
Mein Blick glitt zum Schreibtisch. Seine Schulsachen würde er doch ganz sicher nicht in eine düstere Gruselgruft mitnehmen, die vielleicht unter der Erde lag. Wie ich auf seine Schulsachen kam? Vielleicht hatte er irgendetwas hineingekritzelt, was für mich einen kleinen Hinweis darbot. Und mit der dunklen Gruselgruft hatte ich wirklich übertrieben. Mal ehrlich!
Ich bewegte mich zielstrebig in Richtung Schreibtisch und öffnete die Seitenschränke. In dem ersten lag nicht ein einziges Staubkorn und auch keine Ordner oder aonstige Schulsachen. Der zweite war bis auf einen einzigen Ordner leer. Wo waren seine Sachen? Verbrennen könnte ich mir gut vorstellen. Er würde vielleicht gar nicht wiederkommen und außerdem, wer brauchte schon diese langweiligen Bücher, mit dieser Schrift, die man selbst unter dem Mikroskop nicht lesen kann. In meiner alten Schule waren die Bücher zwar fett, aber dafür wenig beschrieben. Ja, das ergab keinen Sinn. Bestimmt war ich deswegen nur so gut in der Schule gewesen, weil wir so wenig gelernt hatten. Spaß bei Seite.
Ich schnappte mir den Ordner. Darin lagen nur noch zwei Blätter, an deren Rändern man erkennen konnte, dass jemand hektisch ein Blatt benötigte. Das erste Blatt war dazu noch eingerissen. Und dabei glaubte man doch, einen wahrhaftig ordentlichen Jungen kennengelernt zu haben. Das Blatt Papier war fast unbeschrieben. Oben standen seltsame Notizen.

Mächtige Wellen und Schwingungen.
Dämpfung durch Internatswände.
Keine besonderen Vorkommnisse.
Noch stärkere Schwingungen.
Kräfte entfalten und zum Leben erwecken.
Probleme und Lösungen nicht auffindbar.
Gutgläubiges, naives Mädchen, das trotzdem aufgeweckt und schlau ist, seltsame Fragen stellt, auf die ich ihr nur in der letzten Minute antworten kann.
Schattenwende und Energieaufbau am Tag des vollen Mondes im März.
Plan B wird eingeführt. Wir gehen vom Geist aus uralten Zeiten aus.
Das Licht in der Dunkelheit erlischt, wenn gelungen ist, was gelungen sein muss.

Ok, zerstreuter ging es wohl nicht. Mit dem "gutgläuben, naiven Mädchen, dass trotzdem aufgeweckt und schlau ist" war sicher ich gemeint. Ich würde dem schon zeigen wer hier naiv und gutgläubig war. So viel zum Thema. Und am Tag des vollen Mondes hatte wohl irgendetwas stattgefunden, denn dieser Tag war schon vorbei, doch was nur? Und wieso waren die Schatten wohl an einem Plan A gescheitert? Ihnen war wohl etwas dazwischen gekommen. Geist aus uralten Zeiten... damit könnte Szu gemeint sein. Sie stammte schließlich aus der uralten Zeit, wenn man es denn so bezeichnen konnte. Und unter dem Licht, was erlosch konnte ich mir so gut wie gar nichts vorstellen. Es musste ja nicht unbedingt ein Lebenslicht sein, stimmts? Stimmts? Oh man, natürlich war ein Lebenslicht gemeint. Ich kam mir so dumm vor. Ich schob den Zettel zurück in die Mappe und holte den zweiten hervor. Er war uralt, um genau zu sein schon beinahe vergilbt. Wie alt mochte der wohl sein? Und warum war er weniger eingerissen, als der neue Zettel von gerade eben? Auf dem Papier standen viele Sätze, die allerdings alle durchgestrichen waren. Und lesen konnte ich sie erst recht nicht. Es sei denn ich lernte mal eben so schnell eine seltsame Schrift. Die ersten Sätze waren mit der Zeit schon verblasst, dann wurde die Tinte immer kräftiger. Wörter fehlten und Buchstaben waren an das nächste Wort drangehängt, wie ich bemerkte. Der letzte Satz, der nicht durchgestrichen war lautete:

Liebe kann zerstören. Wer fähig ist zu fühlen mag echt sein, aber nie die Welt erlebt haben. Wer bin ich wirklich?

Ich schluckte. Auch wenn man aus den Sätzen nicht viel entnehmen konnte, spürte ich tiefe Trauer in mir aufsteigen. Christian arbeitete schon lange bei den Schatten. Seine Eltern konnten den Brief nicht geschrieben haben. Wie ich wusste, starben sie als Christian noch jung war. Aber eigentlich hatte das gar nichts zu bedeuten. Dieser Brief könnte auch von ihnen stammen. Ich wischte mir mit der Hand über die Augen. Christians Leben musste schrecklich sein. Er hatte keine Eltern, sie waren gestorben, obwohl ich nicht so recht wusste warum. Vielleicht hatten sie ihm diesen Brief hinterlassen und ihn... damit aufgefordert ihr Vorhaben mit den Schatten zu beenden. Er tat es vielleicht noch nicht einmal freiwillig. Ich packte den Brief weg, schloss die Schublade und stand auf. Fast hätte ich mir den Kopf an der Unterseite der Schublade gestoßen, die ich noch nicht durchsucht hatte. Ich drückte sie auf, weil sie ganz schön klemmte und stolperte ein Stück nach hinten, hielt mich jedoch noch rechtzeitig fest. Anscheinend hatte man diese Schublade länger nicht aufgemacht. Mein Blick wanderte zu dem weißen Zettel der dort noch lag. Danach würde ich zurück müssen. Darauf stand eine Nachicht.

Jungs, ich bin für eine Weile weg. Lasst euch eine Ausrede einfallen!

Na was für ein netter Freund. Ich verdrehte die Augen und seufzte. Ich wollte den Zettel schon wieder in das Fach legen, doch er fiel mir ungeschickterweise direkt vor die Füße und zwar auf die Rückseite, auf der auch noch etwas interessantes stand.

Etiam secundus mentem sors non negavit. Nemo vitae caret est.

Ok, so wie das für mich aussah, konnte da jemand keine lateinischen Sätze bilden. Ok, ich auch nicht, aber ich glaubte wenigstens zu wissen was er meinte. Meine Übersetzung früher hätte gelautet: Kein Schaf isst freiwillig Ketchup. Das Wetter kann nichts schöner sein.
Jetzt ähnelte meine Übersetzung eher dem: Auch der zweite Geist hat sein Schicksal nicht geleugnet. Niemand ist frei von Fehlern.
Der Fehler lag bei mentem. 1. Hieß das übersetzt eigentlich Denkweise oder ein anderes Wort mit der gleichen Bedeutung Geist und 2. ...
Ok, ich dachte zu viel. Der Punkt war, dass mein Gehirn aus diesen Gedanken einen Entschluss fasste. Nämlich, dass Christian seine Taten bereute.

Ok, es hat etwas länger gedauert mit dem Kapitel, aber hier ist es. Vielleicht gibt es ja ein paar unter den lesern die Latein können und wissen, was Christian noch falsch gemacht hat. Jedenfalls danke ich euch für 4 K Reads. Die Geschichte haben schon so viele gelesen, ich bin beinahe sprachlos :) Lg EmFantasybook

School of Elements Where stories live. Discover now