Kapitel 6

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Er scannte mich kurz ab und steckte sein Handy weg. Langsam wurde das mit dem abchecken zum Ritual, ein ziemlich unsinniges, aber das war ja nicht mein Problem. Ich hatte schon das Gefühl, wenn auch nur eine meiner Strähnen anders liegen würde, er würde es bemerken. "Willst du mit dem Bus fahren oder zu Fuß gehen?", fragte ich so freundlich wie möglich. Er sah mich abschätzend an:" Du kannst ja mit deinem Skateboard fahren, ich nehme mein Motorrad." "Du weißt doch gar nicht, wo ich wohne", antwortete ich genervt. "Du bist auf deinem Board doch eh schnell, ich fahr dir nach", gab er schulterzuckend von sich. Ich rollte mit den Augen, stimmte jedoch zu. Er ist eben eine anstrengende Person. Zumindest konnte ich mit meinem Skateboard fahren, es kam mir nämlich wie eine Ewigkeit vor, dass ich dies zuletzt getan hatte. Ich raste los und gefühlte fünf Sekunden später stand ich schon vor unserer Haustür. Zum Glück waren meine Eltern nicht da, was ich an dem fehlendem Auto feststellte. Sie hätten wahrscheinlich gedacht, dass ich meinen ersten Freund mit nach Hause genommen hätte und darauf konnte ich getrost verzichten. Ich wartete also bis James sein Motorrad irgendwo geparkt hatte und sperrte die Tür auf, als es angelaufen kam. Ich lies ihn eintreten und warf meine Schuhe zu dem Haufen anderer. "Hast du Hunger?", fragte ich ihn während ich meine Schultasche ablegte. Er scannte kurz mich und das Vorhaus ab, beantwortete meine Frage dann aber mit einem langgezogenen "Joa". Ich lief schnurstracks in die Küche und er trottete mir hinterher. "Also wir haben Nudeln, Pfannkuchen und gebratenes Fleisch mit Gemüse zur Auswahl", sagte ich während ich sämtliche Laden und Schranktüren öffnete um die Zutaten zu suchen. Letztendlich stand ich vor ihm und sah ihn prüfend an. Er checkte unsere Küche ab und antwortete schließlich:"Nudeln". Ich stemmte voller Tatendrang die Hände in die Hüften. "Hilfst du mir oder willst du noch den Rest des Hauses mit deinen Killeraugen abscannen?", fragte ich ironisch und lachte. Anscheinend nahm er dies aber Ernst und verschwand in unserem Wohnzimmer, unberechenbar. Ich zuckte nur mit den Schultern und pustete mir eine Strähne aus dem Gesicht. Mir sollte es doch egal sein, ich hatte schließlich nichts zu verbergen und so ein paar Nudeln sind schnell gemacht. Die Strähnen, welche sich beim Skateboard fahren gelöst hatten, steckte ich wirdwr hoch und setzte danach das Wasser für die Nudeln auf. Nach 20 Minuten stand endlich das fertige Essen auf dem Tisch. "James? Essen ist fertig? ", rief ich so laut, dass er es hören müsste, doch es tat sich nichts. "James?", ich begab mich ins Wohnzimmer um nach ihm zu sehen, jedoch keine Spur von ihm. "Hallo?", schrie ich, während ich das Wohnzimmer wieder verlies. "Gruseliger Typ?", so langsam nervte es mich weshalb ich mir weitere 'Kosenamen' für ihn einfallen lies. "Du mit den eisblauen Augen?", ich wanderte weiter von Zimmer zu Zimmer. "Kranker, emotionsloser Psycho?", ich wusste zwar, dass er kein Psychopath war, aber das war mir in diesem Moment herzlich egal, er sollte ruhig wissen, wie ich über ihn dachte. Ich war nun in allen Zimmern, außer meiner durchaus kleinen Bibliothek. Ich hatte mit der Zeit so viele Bücher gelesen, dass mein Dad mir ein leerstehendes Zimmer mit drei wunderschönen antiken Regalen geschenkt hatte. Meine Bücher füllten beinahe alle Regale aus, aber eben nur beinahe. Als ich den genannten Raum betrat stand James mit dem Rücken zu mir vor einem der Regale. "Da bist du ja endlich, ich hab überall nach dir gesucht", gab ich erleichtert von mir. Er blieb versteinert stehen. Ich trat näher an ihn heran. "James? Hallo?". Er drehte sich in Zeitlupe zu mir um und in seinen Augen funkelte irgendetwas auf, es war leider zu kurz, um zu sagen, was es war. Er betrachtete mich mit schiefgelegtem Kopf. "Deine Bücher?", fragte er und blickte zurück auf das Regal, vor dem er stand. "Ja, wieso?", fragte ich überrascht. "Nur so", murmelte er noch immer an die Bücher gewandt. "Komm, Essen ist fertig", sagte ich und drehte mich um. Er löste sich aus seiner Starre und lief voraus. Dieser Junge würde mir ein Rätsel bleiben, schwirrten meine Gedanken umher. Anscheinend hatte er sich gemerkt, wo die Küche war, denn als ich diese betrat, hatte er schob die Hälfte seiner Portion verschlungen, was mich wunderte, da ich die Küche nichtmal eine Minute nach ihm betreten hatte. Ich lies mir jedoch nichts anmerken, setzte mich ebenfalls und begann zu essen. Als James ungefähr zwei Sekunden später fertig war stand er auf und lief zum Kühlschrank. Ich schluckte runter und fragte:"Was zur Hölle machst du da?" Und als wäre es das normalste auf der Welt antwortete er:"Essen", während er begann sämtliche Lebensmittel aus dem Kühlschrank auszuräumen. Ich wusste ja, dass Jungs in diesem Alter viel essen, aber mit so viel hätte ich nicht gerechnet. Ich starrte ihn fassungslos an. Ihn schien das jedoch nicht zu stören, denn er fraß weiter.

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