Essenz der Götter I - XXL Leseprobe

5. 1 - HEUTE: Loreen

Diese Leute vor Loreen bilden also den ›Rat der Fünf‹, soviel hat ihr Sky bereits erzählt. Kein wirklich origineller Name, findet Loreen. Sie vermutet stark, dass die Frau in der Mitte mit der aufrechten Haltung, das eigentliche Sagen hat. Ein Lächeln zeigt sich auf dem Gesicht der Frau, die ihre ergrauten Haare leger offen trägt, nur die seitlichen Partien sind hochgesteckt. Es hängen vereinzelt Perlenketten in ihren Haarsträhnen und eine grün-blau schimmernde Feder guckt daraus hervor. Die Kleider an ihrem Leib sind schlicht und bestehen aus hellem und weich aussehendem Leinen, die ihre Füße und Unterarme frei lassen. Die Füße sind in dunkle, lederne Römersandalen geschnürt, wie die aller anderen, denen Loreen bisher begegnet ist. Insgesamt ist ihre ganze Erscheinung schlicht, so wie die Ketten um ihren Hals, die zwar viele sind, aber allesamt aus selbstgebastelten, natürlichen Materialien bestehen. Nur ihre Aura wirkt erhaben und edel, wie die einer Anführerin. Genauso wie ihre Augen, die haselnussbraun in ihrem Gesicht liegen und vor Reife und Wissen strotzen.

Da sie sonst keine Idee hat, was sie als nächstes machen soll, verbeugt sie sich etwas steif. Wer weiß, vielleicht ist das hier Sitte und sie benötigt sowieso ein paar Pluspunkte. Denn das ist der Rat, der nun über ihre Zukunft entscheiden wird. Nachdem sie bis drei gezählt hat – was Loreen für eine angemesse Dauer erachtet - erhebt sie sich wieder aus ihrer unnatürlichen Haltung, streicht ihr Haar zurück und verschränkt die Finger, um nicht weiter mit ihnen herum zu fuchteln. Im gesamten Raum ist es mucksmäuschenstill, bis die ältere Frau ihr Wort erhebt: »Sei willkommen, Kind. Du musst dich nicht verbeugen, wir halten unser Zusammenleben nicht so streng. Es freut mich, dich hier in unseren Reihen begrüßen zu dürfen.«

Das fängt doch ziemlich gut an, stellt Loreen erleichtert fest. Sie antwortet und ihre Stimme ist ruhiger, als sie beim Betreten der Halle befürchtet hatte: »Hallo, mein Name ist Loreen und ich bin ebenfalls froh, hier zu sein. Danke für die netten Worte.«

»Wir kennen deinen Namen schon seit einiger Zeit. Ich bin Elderly und bilde zusammen mit meinen Freunden hier den Rat, wie du vielleicht schon weißt«, erklärt sie und deutet auf eine Frau, die am linken Rand des Tisches sitzt. Ihre rötlichen Locken hat sie leicht nach oben drapiert und einzelne Strähnen fallen um ihren Hals. »Das ist Demetia und sie ist für die gesamte Nahrungsbeschaffung unserer Insel zuständig. Angefangen von der Bewirtschaftung der Felder über die Tierzucht bis hin zur Herstellung aller Speisen und Getränke.«

Demetia winkt ihr mit einem mütterlichen Lächeln auf den Lippen zu, bei dem Loreen sofort Sympathie empfindet. Neben ihr sitzt ein älterer Mann mit sanften, grauen Augen. Seine dunklen kurzen Locken weisen bereits erste weiße Strähnen auf. Er trägt die gleiche Kleidung wie die anderen, doch sind seine sehnigen Arme frei und das restliche Gewand liegt ihm enger am Körper. »Hier haben wir Sklepios ...« Bevor sie fortfahren kann, ruft er dazwischen: »Hallo, nenn mich einfach Pios. Ist mir lieber.«

Elderly schüttelt über seinen Zwischenruf kurz den Kopf, wie bei einem übermütigen Kind, bevor sie weiterspricht. »Gut, dann also Pios. Er ist unser Heiler. Er kümmert sich um alle Wunden, die zu schwerwiegend sind, um sie eigenständig zu heilen. Außerdem stellt er Salben und einige andere Mittelchen her.«
Sie dreht sich auf die andere Seite zum zweiten Mann in der Runde. »Das ist Haistos, unser Schmied. Er stellt unsere Waffen, Rüstungen, Werkzeuge und vieles mehr her. Einfach alles, was mit Metallverarbeitung zu tun hat.«

Als Elderly ihn vorstellt, hebt er zur Begrüßung kurz sein Kinn. Haistos sieht ungefähr gleich alt aus wie Pios, so um die Ende Vierzig, aber das ist es auch schon mit den Ähnlichkeiten. Während Pios Wärme ausstrahlt, ist Haistos' Ausdruck grimmig, außerdem ist er um einiges muskulöser gebaut. Seine Arme sind mit dicken Muskelsträngen bepackt, die den Stoff seiner Kleidung beinahe zum Platzen bringen. Das lange, schwarz schimmernde Haar trägt er zusammengebunden und seine Augen blitzen eisblau auf. Die besondere Farbe kommt ihr so bekannt vor, dass es kein Zufall sein kann. Geistig notiert sich Loreen die Frage über das Verwandtschaftsverhältnis von Pure und Haistos für später.