Kapitel 2

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Nachdem ich gefühlte Stunden unter der Dusche stand, merke ich am kalten Wasser, dass ich langsam raus sollte. Blöder Boiler.
Normalerweise schreit mein Vater, wenn ich auch nur länger als zehn Minuten dusche, aber heute sagt er einfach nichts.
Auch als ich ihn am Morgen begrüßt habe, hat er nichts gesagt. Einfach nichts.
Ich höre Mije nach mir rufen.
Ich will nicht raus.

Einige Sekunden später greife ich doch nach einem Handtuch und wickel es um meinen Körper.
Als ich aus der Dusche steige, merke ich, dass der Boden um mich feucht wird.
Meine Haare.
Schnell trockne ich meinen Körper und nutze das benutzte Handtuch für meinen Kopf.
Heute läuft einfach alles schief, wortwörtlich.
Als ich mich anziehe, klopft Mije schon wie eine Verrückte an der Badezimmertür.
„Hec ma, se edhe pak po vin." („Komm schon, die sind bald da.")
„Gib mir eine Minute."
Als ich mich fertig anziehe, schaue ich mich noch einmal im Spiegel an.
Meine Augenringe waren noch nie so dunkel wie in den letzten Tagen.
Vielleicht findet er mich ja hässlich und bläst doch alles ab?

Als Mije mich jedoch fertig schminkt, schieße ich den Gedanken sofort in den Wind.
„Scheiße." Flüstere ich, als ich das Ergebnis sehe.
„Gefällts dir nicht?" sagt sie schockiert.
„Leider zu gut."
Ihre Lippen formen sich zu einem Lächeln.
„Du bist wunderschön und ich bin talentiert. Ist halt eine gute Kombi.", sagt sie spöttisch und zückt dabei ihre Handykamera.
Ich gucke sie wütend an, aber das hält sie nicht ab.
„Willst du jetzt noch eine Karriere als Fotografin starten?", sage ich genervt, als sie von jedem Winkel aus ein Bild schießt.
„Wenn du das Model bist, bin ich dabei.", antwortet sie lachend.
Ich schmunzele. „Ich werde höchstens Hausfrau."
„Aber eine hübsche Hausfrau.", entgegnet sie.

Als Mije kurz aus dem Zimmer geht um mein Kleid zu holen, schaue ich mich noch einmal genau an.
Sie hat so Talent.
Sie schafft es einen Menschen zu verändern, ohne viel zu machen.
Ohne, dass es unnatürlich aussieht.
Albanische Friseurinnen sollten sich eine Scheibe von ihr abschneiden.
Meine Locken hat sie natürlich gelassen, nur etwas sprunghafter gemacht und mein Gesicht hat sie zum Strahlen gebracht, ohne viel Produkt zu verwenden.
Wenn ich jetzt noch glücklich aussehe würde, wäre ich vielleicht echt hübsch heute.
Hübscher sah ich zumindest noch nie aus.

Als Mije wieder mein Zimmer betritt, klingelt es schon an der Tür.
„Oh mein Gott . Sie sind da. Viel zu früh!" sagt sie panisch, während sie mit den Händen herum wedelt.
Mein Magen zieht sich zusammen.
„Ich komme gleich." sagt sie kaum hörbar und verlässt das Zimmer.

Ich starre die Wand an.
Meine Augen werden feucht.
Meine Knie weich.
Und die Wand scheint sich zu bewegen.
„Hey!" als Mije ins Zimmer kommt, stütze ich mich an meinem Bett ab.
Ich habe das Gefühl ich kann mich nicht halten.
„Du hörst jetzt auf zu heulen und Angst zu haben.", sagt sie während sie mich nach oben zieht.
Behutsam nimmt sie das Kleid und legt es auf mein Bett.
„Ich sage doch du bist ein Glückspilz.", sie zieht mir die Leggings und das T-Shirt aus.
„Ich weiß nicht genau, welcher dein Mann wird. Es sind zwei Brüder. Aber beide sind hübsch.", jetzt den BH.
„Also zu denen würde ich nicht nein sagen."
Sie versucht mir das Kleid anzuziehen.
„Rein in das Kleid."
Mit zittrigen Beinen steige ich in das Kleid.
„Mhh. Als wir es gekauft haben, saß es enger." sagt sie, als sie den Reißverschluss hinten zu macht.
Sie dreht mich zum Spiegel, mein Blick senkt sich.
„Du bist wunderschön. Schau dich an."
Ich verweigere mich.
„Na gut. Es wird Zeit. Du musst ihnen Kaffee kochen."
Sie zieht mir meine Schuhe an und guckt mich auffordernd an.

Als ich mich nicht vom Fleck bewege, greift sie nach meiner Hand und zieht mich aus dem Zimmer heraus. Mein Herz rast.
„Wir schaffen das."
Im nächsten Moment befinde ich mich in der Küche und koche Kaffee.
„Schön viel Zucker rein."
Alles fühlt sich unecht an.
„Und jetzt noch einmal umrühren."
Ich habe zu viel Kaffee in die Tasse gekippt.
„Keinen Stress, pass auf, dass du dich nicht schmutzig machst."
Meine Augen werden wieder feucht.
„Miqt jen tu prit." (Unsere Freunde warten.), flüstert meine Mutter und geht zurück ins Wohnzimmer.
Hätte sie nichts gesagt, hätte ich sie nicht wahrgenommen.
„Alles wird gut Medina. Atme tief ein und tief aus. Du schaffst das."
Wie betäubt lege ich die Kaffetassen auf das Tablett und bewege mich Richtung Wohnzimmer.


Das Glück trägt den falschen NamenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt