Kompass.

62 7 0
                                    

Ich laufe so durch die Straßen. Ich bin rastlos. Meine Beine tragen mich durch das Labyrinth aus Kopfsteinpflaster und Asphalt und ich bin mit dem Kopf zwischen den Wolken längst verschwunden, denn ich brauche Abstand von meinem Leben. Ich laufe an alten Gebäuden vorbei,Gebäude, die schon vor mir dastanden. Sie erzählen Geschichten aus vergangenen Zeiten, doch ich höre nicht hin. Bin viel zu rastlos,viel zu weit weg mit den Gedanken, denn auch wenn ich hier nicht weg kann, kann ich mich an andere Orte beamen, billiger als fliegen, denn Tagträumen ist kostenlos.

Autos hupen, doch ich höre sie kaum, denn sie gehören zu dieser Stadt wie das Brandenburger Tor zu Berlin. Die Geräusche machen die Stadt erst zu dem was ist. Eine Stadt, unterlegt mit der urbanen Interpretation von Bachs vierter Symphonie. Es ist wie ein Orchester. Ein Hupen da,ein Hupen dort. Presslufthammer-Beat und Autos die röhren.Quietschende Bremsen und Türen, die zugeschlagen werden.Fahrradklingeln, empörte Rufe. Quatschende Muttis mit ihren Kinderwägen. Kinder die plärren und quäken. Gemurmel, Geflüster,zwischen plakativen Rufen. Stehe nun am Mendelsohn-Bartholy-Park und dort drüben die Demonstranten.

Doch ich laufe einfach vorbei, bin mit den Gedanken ganz woanders, brauche Pause von dem Leben. Es ist wie das Licht anknipsen, oder in meinem Falle aus. Nur einmal den Lichtschalter betätigen und schon habe ich mein Leben vergessen, stattdessen finde ich mich auf einer Weltreise wieder. Träume mich weg ins Universum, denke an Romanzen, die zwischen den Buch denkeln verschwanden, nachdem ich sie verschlungen habe.

Und irgendwann muss ich anhalten, bin an einer großen Kreuzung und kann nicht einfach weitergehen. Ich halte gezwungenermaßen also an. Und zum ersten Mal auf meinem Weg betrachte ich meine Umgebung, denn mein Kopf, der einst zwischen den Wolken von Sonne, Strand und Meer träumte, sitzt nun wieder fest auf seinem Platz. Ich stehe da am Potsdamer Platz, warte auf Grün und kann meinen Blick nicht von den Menschen wenden. Komme mir vor wie der erste Mensch, der Aliens gegenübersteht. Oder bin ich der Außerirdische?

Stehe zwischen Touris und Geschäftsmännern, Jugendlichen in teurer Kleidung auf der Suche nach dem nächsten Trend-Teil. Dazwischen auch der ein oder andere Student, der um diese Zeit doch eigentlich in der Lesung sitzen müsste. Und ich müsste auch endlich mal anfangen, was aus meinem Leben zu machen. Habe die Uni vorerst abgebrochen, schlage mich mit Gelegenheitsjobs durch, doch habe immer noch keinen bahnbrechende Idee, was ich mit meinem Leben anfangen sollte.

Und dann kommt das Lichtsignal, merke es erst, als ich angerempelt werde und dazwischen klingelt ein eiliger Bursche, wild mit seiner Fahrradklingel, denn ich stehe immer noch wie angewurzelt da, mitten auf seiner Fahrbahn. Und ich frage mich,: „Was mache ich hier?"Rieselt doch der Sand schon durch die Uhr. Warum habe ich immer noch keinen Plan und vertrödele wertvolle Zeit mit Nichtstun? Warum kann ich nicht einmal so sein wie der Rest der Welt, der scheinbar sein Leben durchgeplant oder zumindest einen 5-Jahre-Plan erstellt hat,alles durchstrukturiert, dass am Ende ein akademischer Titel neben dem anderen prangt.

Und ich, ich werde die junge Frau sein, die mit Ende zwanzig schwanger wird, von einem Mann, von dem ich nur den Vornamen weiß und dass er gut aussah. Zumindest fand ich das nach meinem sechsten Bier. Wir gingen zu mir. Am nächsten Morgen war er verschwunden und ich hatte so einen Kater, das ich mich nicht scherte. Er hatte mir nichts von sich erzählt, nicht einmal von seinem Beruf, aber in einer Bar wie dieser, wird er ebenso wie ich keinen Plan von dem Leben haben. Und ich werde das Kind bekommen, ihm eine schlechte Mutter sein, denn auch an dieser Stelle des Lebens, weiß ich immer noch nicht, was ich möchte. Arbeite in dem Café an der Ecke und manchmal da trage ich auch die Werbung aus.

Aber die Perspektive bleibt aus.

Niemand kommt um mir den Weg zu zeigen, mir fehlt der Kompass. Ich weiß weder wo Norden, wo Süden ist. Mein Papa sagte zu mir einmal: „Da wo der Nordstern ist, da kannst du dich an mich erinnern, denn egal wo ich bin, mein Schatz, ich werde ihn auch dort am Himmel finden."Blöd nur, dass ich zwischen all den vielen Sternen keinen Nordstern finde. Orientierung bleibt aus und der geliebte Papa zog zwei Wochen später aus.

Orientierung? Fehlanzeige.

Habe mir vor Kurzem einen Kompass gekauft und kann nun wenigstens von mir sagen, dass ich alles probiert habe, um mein Leben zu ordnen und meinen Weg zu finden. Immerhin weiß ich jetzt, wo Norden ist.


Bittersüße PoesieWhere stories live. Discover now