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Die Menge tobte. Das orange Feuer in den Kaminen der roten Halle loderte höher und höher, als wollte es herausspringen und die beiden zitternden Burschen vor dem hohen Stuhl der ehrwürdigen Hohepriesterin verschlingen. Es war stickig und heiß. Man konnte kaum atmen. Der dicke Geruch nach Schweiß und Asche, aber auch der süße Duft der Wut lagen in der Luft. Der Boden schien vor wütendem Stampfen und zornentbrannten Rufen zu vibrieren und ich fühlte ein nervöses Flimmern im Bauch.
Ich stand mit einer Hand voll Priester am Ende der riesigen Halle und blickte in die rasende Menge der Stadtbewohner. Huángjinchéng. Die goldene Stadt. Die westlichste Stadt in Dàhuô. Wohin man auch blickte sah man wutverzerrte Fratzen, geballte Fäuste und Körper die herumgestoßen wurden. Urplötzlich erstarrte das Volk. Zwei brennende Adler – nachkommen des ersten Feuergeborenen – waren kreischend von ihren Sitzstangen, auf die Schulter der eingetroffenen Hohepriesterin Què - Herrscherin von Dáhuô und Trägerin des Phönix - geflogen.
Sie trug ein Feuerrotes Priestergewand aus leichter Seide mit goldenen Verzierungen die ihren Rang kennzeichneten und sah so ruhig aus wie ich sie kannte, doch in ihren Augen fand ich einen Anflug von Wut. Wahrscheinlich weil man sie in der Bibliothek gestört hatte.
Die Flammen in den Kaminen wurden kleiner und wichen sanft glühender Glut. Die Menge stand still. Alle Blicke waren nach vorne gerichtet und niemand wagte es auch nur ein Wort zu sprechen. Die ehrwürdige Hohepriesterin ließ den Blick schweifen. Sah die Menge, uns, die Burschen und Yuns Rußgeschwärztes Gewand. Dann erst ließ sie sich auf dem Thron aus schwarzer Ascheneiche nieder und legte die Arme auf die Armlehnen. Der Boden begann zu Brennen und Flammen leckten an ihren bloßen Füßen.
„Was ist hier los?" Die Stimme der Hohepriesterin klang fest und herrisch, doch konnte man eine versteckte Müdigkeit heraushören.

Yun trat vor. „Hohepriesterin,", sprach er, „ Die beiden Jungen vor euch haben wir zu euch gebracht, da wir sie kämpfend neben Ha's Tempel gefunden haben." Ein wütendes Zischen fuhr durch die Menge und ein paar vereinzelte Rufe wurden laut. „Man sollte sie hängen!" und „Sie werden Ha's Zorn auf uns ziehen!", doch die Hohepriesterin brachte sie mit erhobenen Händen zum schweigen. Ihre stechenden, grünen Augen vor denen ich mich als Kind immer gefürchtet hatte, blieben an Yun hängen.

„Warum bist du voller Ruß, Yun?" Er schluckte. „Ich stellte mich im Versuch die beiden zu trennen zwischen sie." Mit einem Nicken befahl sie ihm sich zurück in die Reihe zu stellen. Dann wandte sie sich den beiden eingeschüchterten Burschen zu. „ Was war der Grund dafür, die Kraft die Ha uns gegeben hat zu Nutzen um seine Kameraden zu verletzen?"
Der rechte hob zitternd den Blick. Ich erkannte ihn als den Sohn des Bäckermeisters. Dann erhob er die Stimme: „ Wir wollten uns nicht verletzen. Wir wollten nur trainieren. Wir-" Die Hohepriesterin unterbrach ihn. "Wieso solltet ihr trainieren? Ha's Segen beschützt uns. Es gibt keinen Grund zu kämpfen." Der Bursche erhob wieder die Stimme:" Aber was wenn-" "Schweig!", donnerte die Priesterin. "Du bist nur ein kleiner Junge! Du weißt nichts von der Welt. Du hast dein Leben noch vor dir. Zerstöre es nicht mit unglückbringenden Kämpfen." Yun neben mir nickte leicht. In meinen ersten Wochen im Tempel hatte ich auch auf alles so reagiert. Jetzt hatte ich aber schon all diese Reden schon gehört. Natürlich war es immer noch faszinierend, den Worten der Hohepriesterin zu lauschen und den großen Feuervögeln auf ihren Stangen zuzusehen, doch das alte Gefühl, das Gefühl der Ehrfurcht das ich beim Anblick dieser Frau immer gespürt hatte, war bis auf einen kleinen Rest verschwunden.
Die Hohepriesterin war alt. Älter als die meisten anderen in Ha's Tempel. Das merkte man ihr langsam an. Morgens kam sie immer schwerer aus dem Bett und ihre Gelenke konnte man knirschen hören wenn man hinhörte. Obwohl die Dörfler von alledem kaum etwas mitbekamen, merkten sie doch dass die alte Priesterin schwächer wurde. Es wunderte mich also nicht, dass ein paar von ihnen auf die Idee gekommen waren, verbotenerweise das Kämpfen zu erlernen. Oder es zumindest zu versuchen.

Die Hohepriesterin erhob sich und trat auf die Burschen zu. Sie legte beiden ihre Hand auf die Stelle an der ich das Herz vermutete und sah ihnen tief in die Augen. "Ihr müsst keine Angst zu haben. Die Zeiten mögen düster sein und Veränderung liegt in der Luft, doch solange euer Herz schlägt, wird das Leben weitergehen. Ha hat uns noch nie im Stich gelassen. Sie wird ihre Söhne und Töchter auch diesesmal nicht im Stich lassen." Ihre Hände wanderten nach oben und legten sich auf ihren Kopf. "Ich verurteile euch nicht für den Drang zu leben. Aber ich verurteile euch dafür die Gesetze Ha's gebrochen zu haben."
Sie enfernte sich ein wenig und schloss die Augen. "Ich erwarte dass ihr die nächsten drei Mondwechsel hier im Tempel verbringt. Meldet euch morgen bei Sonnenaufgang bei Chi." Mit diesen Worten nickte sie Yun zu und verschwand in ihren Gemächern, ohne den Burschen einen letzten Blick zu würdigen.

Lost FlameWhere stories live. Discover now