capitulum quattuor

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„Dann sei in zehn Minuten fertig, ich hole dich ab.", Roberts Stimme durchbrach die kurz aufkommende Stille, "Und wehe mit dir, wenn du trödelst!", fügte er noch hinzu, wobei die junge Frau nicht einschätzen konnte, ob er es ernst oder nur scherzend meinte, deswegen beschloss sie auf halbherzige Witze zu verzichten, "Ich werde mich beeilen.", nuschelte sie immer noch ein wenig teilnahmslos, ehe sie, ohne seine Antwort abzuwarten einfach auflegte.
Nach einer gefühlte Ewigkeit ließ sie ihre manikürte Hand sinken und schaute gedankenverloren nach draußen in den bewölkten Nachthimmel. Ihre Gedanken kreisten umher, wollten einfach keine Ruhe finden und trieben sie schon regelrecht in die Verzweiflung.
Leicht neigte sie den Kopf zur Seite um auf die große Uhr zu schauen die laut tickend an ihrer Wand über dem aus Mahagoniholz bestehenden Schreibtisch hing, ein zweites Mal musste Kirschner hinsehen, da sie noch so in Gedanken war, dass sie direkt nachdem sie die Uhrzeit gelesen hatte, diese sofort wieder vergaß. Fünf Uhr drei in der Früh.
Ein letztes Mal atmete sie tief durch, ihr blieben noch wenige Minuten, bis sie Robert abholte, jedoch wollte sie all dies mit Ruhe und Gelassenheit angehen, das war ihr frisch ausgefeilter Plan, als sie schlussendlich einen wiederholten Blick auf die Uhr tätigte, verwarf sie diesen allerdings sofort wieder und verließ mit schnellen Schritten beinahe schon fluchtartig ihr Arbeitszimmer.
Barfuß huschte sie über den abgenutzten Teppich in ihrem Schlafzimmer, auf dem großen Doppelbett, dessen linke Seite immer gemacht zu sein schien, lagen haufenweise Anziehsachen verteilt, die die junge Frau nun verzweifelt versuchte in eine viel zu kleine Tasche zu stopfen.
Zehn Minuten! Er hat sie doch nicht mehr alle. Dachte die junge Frau empört, während sie, nachdem all ihre Klamotten verstaut waren, den Reißverschluss schloss.
Männer! Wenn sie sagen: spring, dann sollst du das ihrer Meinung nach auch direkt tun! Setzte Kirschner ihre Schimpftirade fort, nachdem sie die Tasche hochgehievt und in den kleinen Flur getragen hatte.
Ein Blick auf die Uhr in diesem genügte, dass sie innerlich in heilloser Panik ausbrach und hektisch erst in ihre Socken und schließlich in die bequemen weißen Turnschuhe schlüpfte, die sie so sehr liebte.
Was man diesen auch ansah, die Schnürsenkel lösten sich so langsam aber sicher auf, die Sohle war durchgelaufen und die weiße Farbe konnte man nur noch erahnen, kurzum diese Schuhe gehörten eigentlich schon längst in den Müll.
Doch das war deren Besitzerin mehr als nur egal.
In ihrem Kopf ging sie noch einmal alles durch, kam am Ende zu dem Entschluss, dass sie all ihre wichtigen Dinge bei sich hatte und stürmte, nachdem sie sich ihre schwarze Lederjacke geschnappt und abgeschlossen hatte, aus ihrer Wohnung.
Ihr blieben noch zwei Minuten bis Robert, wenn er pünktlich war, vor ihrem Haus stehen würde und sie wusste nur zu gut, dass Langdon immer pünktlich kam. Gerade fochtet sie innerlich einen Kampf der extraklasse aus und konnte sich diesem Problem beim besten Willen nicht widmen, Fahrstuhl oder Treppen? Da sie in der zehnten Etage wohnte, war der Aufzug ihr ständiger Begleiter und guter Freund geworden, doch es würde, wenn es schlecht für sie lief, eine Minute dauern, bis dieser erst einmal kam und wenn Gott sie noch mehr auf die Palme bringen wollte, ließ er diesen dann auch noch steckenbleiben. Erst vor ein paar Tagen war ihr dies widerfahren, nichts schönes, das war gewiss. Sie war in keinster Weise eine Frau die unter Klaustrophobie litt, allerdings zwei Stunden in einem beengten, viel zu kleinen Raum eingesperrt zu sein, ist wirklich keines ihrer Lieblings Beschäftigungen.
Nun, nach langem hin und her, was vermutlich nur wenige Sekunden gedauert hatte, sagte sie ihrem täglichen Begleiter adieu und hechtete die Treppen hinunter, ihre Tasche dabei über die rechte Schulter geschwungen, die sich zum Leidwesen Kirschners in diese hineinbohrte, doch die junge Frau versuchte dieses schmerzende Gefühl größtenteils zu ignorieren, nahm daraufhin nun nicht mehr jede Treppenstufe einzeln, sondern sprang beinahe regelrecht vier Stufen auf einmal hinunter.
Unten angekommen, nahm sie sich keine Zeit um zu verschnaufen, sondern nahm den direkten Weg durch den Eingangsbereich hindurch und verschwand aus der großen, gläsernen Tür.
Die kalte Morgenluft umhüllte sie beinahe schon zärtlich und trotz ihrer langen Hose und der Jacke fror sie gewaltig. Es war April, gerade frisch Frühling geworden und nachts herrschten jedoch noch eisige Temperaturen, die Mia jetzt mit geballter Kraft zu spüren bekam.
Nichts desto trotz war sie fasziniert von der Umgebung die ihr geboren wurde, ihr ausgestoßener Atem stieg in Schwaden in die stille, dunkle Nacht, in weiter Ferne war der Highway zu hören, auf dem ununterbrochen Verkehr herrschte und das leise Zirpen der Zikaden ließen den Eindruck erwecken die junge Frau lebte auf dem Lande und nicht in der belebten Innenstadt in Massachusetts.
Das hupen eins Autos riss sie aus ihrer Starre und bibbernd schaute sie sich auf der nur leicht beleuchteten Straße um, ein Saab 900S, Roberts Auto, stand unweit von ihr entfernt und so ging sie mit wild klopfendem Herzen und grazilen Schritten auf eben dieses zu.

Verte - Wende das Blatt (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt