Drei Gaugöttinnen

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Ein Höriger des Stiftes hatte ein an Abkunft ihm gleiches Weib geheiratet, allein von dem Erbe, das ihnen beiden mehrfach zufiel, entrichteten sie dem Stifte nicht nur keinerlei Zins, sondern sie liessen sich auch in allerlei Schmähungen über derlei Pflichtigkeiten aus und machten sich sammt ihren Kindern zuletzt ganz aus der Gegend fort. Dafür starben er und sein Weib eines jähen Todes, und seine Nachkommenschaft, die jetzt noch unter uns lebt, leidet durchgängig an Gliederlähmung.

So viel erzählen die ältesten Aufzeichnungen der Legende über den durch Verena gespendeten Ehesegen; nicht besonders mit erwähnt aber ist, dass derselbe herstammt aus der in dortiger Stiftskirche fliessenden Heilquelle. Man steigt zu ihr durch die Sakristei auf mehreren Stufen hinab und schöpft das Wasser mit einem bereit stehenden Zieheimer; es wird flaschenweise heimgetragen und als Waschmittel gegen Haut- und Augenübel gebraucht, Kindbetterinnen soll es besonders dienlich sein; auch das Abgestandene wird noch auf das Krautfeld gesprengt und vertilgt das Ungeziefer. Von diesem Umstande scheint nachfolgende Ortssage zu handeln, die man der Mittheilung des Kandidaten E. Schmid von Zurzach, gestorben zu Heidelberg, verdankt.

Eine Zurzacher Frau war Wöchnerin und schickte ihren Mann bei Nacht in das Städtchen Klingnau hinüber, um eine Ammenfrau herbeizuholen, deren es im damaligen Dorfe Zurzach noch keine gab. Der Weg dahin geht stundenweit über den sehr wilden, 700 F. hohen Achenberg. Auf engen Felsentreppen ersteigt man die letzte Höhe zum Rothen Kreuz, einer einzelnen Station der hier errichteten Wallfahrt zur Schmerzhaften Mutter Gottes. Diese Stelle ist jedoch ein gefürchteter Spukort. Wer seine hierher angelobte Wallfahrt zu thun versäumt hat, muss nach dem Tode hier umgehen; davon kommen die feurigen Männer her, die man ein knarrendes Wägelchen über die Waldwipfel hinfahren sieht, oder die ledig laufenden Rosse, die sich vom Begegnenden an das Halstuch binden lassen, dann aber zu einer Grösse anschwellen, dass weder Tuch noch Hand mehr zu ihnen emporreicht. Als der ausgeschickte Mann diese ihm sonst wohlbekannte Höhe erreichte, soll, wie man berichtet, dichtes Gebüsch ihm den Durchweg versperrt haben, so dass er verirrte und statt nach Klingnau an die Aare hinab, weitab bis zu deren Mündung in den Rhein gerieth. Denn am andern Morgen fanden ihn Schiffer des Dorfes Koblenz oberhalb des dortigen Laufen, eines Rheinstrudels, todt am Ufer. Diese Erzählung scheint ein Fingerzeig zu sein, dass man die Geburtshülfe zunächst bei der Heiligen in Zurzach selbst, und nicht in dem fremden Aarthale zu Klingnau hätte suchen sollen. Denn dafür eben fliesst in der Zurzacher Stiftskirche jener heilkräftige Brunnen. Die hier hinabsteigenden Wallfahrer dürfen sich einen Krug voll unentgeltlich schöpfen, dagegen erkaufen sie sich das Oel aus der hier brennenden Gruftlampe und wenden es daheim gegen Augenübel an; letzteres ein Brauch aus der frühesten Zeit des Christenthums, dem schon Gregorius von Nazianz das Wort redet. So heilte Oel, aus der Kirchenlampe zu. St. Gallen geholt, gleichfalls kranke Augen. Casp. Lang, Theol. histor. Grundriss (1692) 1, 513. 1036. Ein gleiches Mirakel ist in der Gertrudislegende erzählt, A. SS. sec. II, pg. 470: Ein blindes Eheweib wird von ihrem Gemahl ans Gertrudengrab in der Nivellerkirche geführt und kommt hier zufällig unter eine der Kirchenlampen zu stehen, welche trieft und des Weibes Mantel beschüttet. Die Umstehenden nehmen daraus Anlass, der Blinden Augen damit zu bestreichen, und diese wird dadurch auf der Stelle sehend.

Noch einen solchen Brunnen von gleichfalls befruchtender Wirkung besitzt die Heilige in den Bädern der Stadt Baden. Dies ist das Verenabad, das von je her ein Freibad gewesen war, dessen sich Arme und Presthafte unentgeltlich bedienen konnten. Vormals lag es unter offnem Himmel; nunmehr hat es Einwandung und Bedachung; in seinem unmittelbar über der Quelle gebauten Bassin finden gegen hundert geduldige Menschen zusammen Platz, die aus allen Kantonen auf Staatskosten hieher geschickt werden.

Der heisse Sprudel tritt unmittelbar aus dem Boden ins Bassin durch eine Oeffnung, welche das Verenenloch heisst. Daran steht eine Steinsäule errichtet mit der holzgeschnitzten bemalten Figur der Heiligen. Junge Ehefrauen, die sich nach einem Erben sehnen, verschaffen sich hier des Nachts, wenn das verbrauchte Wasser abgeflossen ist, durch den Bademeister heimlich Zutritt; sie senken ein Bein in die Röhre hinab, durch die der Sprudel emporwallt, lassen es recht durchwärmen und sind der sicheren Hoffnung, dieses Verfahren helfe zur baldigen Erfüllung ihrer mütterlichen Wünsche. Das Alter dieses Frauenbrauches erhellt aus der 1578 zu Basel erschienenen, von Dr. Heinrich Pantaleon verfassten "Wahrhaftigen und fleissigen Beschreibung der uralten Statt und Graveschafft Baden, sampt ihren heilsamen warmen Wildbedern, so in dem Ergöw gelegen"; hier heisst es auf S. 73: "Es ist aber hie ein abergleubischer Won vorhanden. Dann es vermeinen hie jren vil, wann ein unfruchtbare Fraw darinnen bade, vñ ein fuoss in dz loch stosse, da dz wasser herfür quillet, es werde St. Verena bey Gott erwerben, dz sie fruchtbar werde."--Dass dieser Wahn vormals ein weit verbreiteter gewesen, lernt man aus Lynker, Hess. Sag. S. 17 kennen, wo es heisst vom Teich der Frau Holle: "Frauen, die zu ihr in den Brunnen steigen, macht sie gesund und fruchtbar, denn eben aus ihm kommen auch die neugebornen Kinder." Diese mütterliche Göttin Holda gleicht also vollkommen der von den Albanesen verehrten Geburtsgöttin Ora, einem Wünschelweibe, vermöge deren Macht das Kind genau in derjenigen Gestalt geboren wird, in der es gewünscht worden ist. Hahn, Griechisch-albanes. Märch. 1, S. 37. Holda hütet die Seelen der Ungebornen unter dem Spiegel der Brunnen, übergiebt sie als Fröschlein und Fischlein dem Seelenbringer Storch für die gebärenden Mütter, damit sie ins leibliche Dasein eingehen können, und nimmt die unmündig wieder Hinsterbenden abermals zu sich in die kristallne Tiefe. Daher stammt die allverbreitete, überall lokalisirte Sage von den Kinderbrunnen, wo die Kleinen um die Mutter Gottes spielend herumsitzen und mit Honig und Erdbeeren aufgenährt werden. Schon altdeutsche Dichter bedienten sich dieser Vorstellung zum Preise der geheimnissvollen Geburt Jesu durch die hl. Jungfrau; so um 1260 der Dominikanermönch Eberhart von Sax, der von der Mutter Gottes sagt:

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⏰ Last updated: Mar 16, 2008 ⏰

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