"Hey! Lu! Wach auf!" rief eine sehr bekannte und vor allen reale Stimme. Kaum hatte mein Unterbewusstsein erkannt, dass die Stimme tatsächlich echt war und nicht meiner Fantasie entsprungen war, schreckte ich atemlos aus dem Alptraum. Mein Herz klopfte unnatürlich schnell, meine Atmug ging flach und ich war schweißgebadet. Einen Moment brauchte ich, ehe ich verstand, dass ich ja in Alex Zimmer war. Und in seinem Bett. Und dass er ohne Oberteil neben mir lag und mich besorgt anblickte. Oh nein! Sofort wurde ich rot und ließ mich wieder rückwärts in die Kissen fallen. "Alles klar?" fragte mich mein Trainer und beugte sich etwas über mich. Ich schluckte schwer und zwang mich dazu, ihm in die Augen zu blicken und nicht auf seinen heißen, durchtrainierten- 'Okay, stopp Lucy' ermahnte ich mich selbst. Auch wenn die Sache mit Dennis schon etliche Wochen her war, hatte ich nicht vor, mich gleich wieder zu verlieben. Das brachte nur Probleme. Durch meine Grübelei kam mein "Jaja, alles okay" etwas verspätet. Verwirrt blickte er mich an "Sicher? Du bist ganz rot... außerdem hast du im Schlaf geschrien und um dich getreten". "Nur die üblichen Alpträume" seufzte ich und ließ aus, dass ich aus anderen Gründen rot war. Braucht er ja nicht zu wissen. "Willst du mir davon erzählen?" fragte er weiter. Ich antwortete leise "Gerade nicht... später. Wie spät ist es eigentlich?". "3:38 Uhr in der Nacht. Willst du schlafen?". "Hm" murmelte ich "Ich weiß nicht, ob ich nochmal einschlafen kann...". "Was machen wir dann jetzt?" wollte Alex wissen und musterte mich gespannt. Irritiert blickte ich noch immer konzentriert in seine Augen (nur um nicht aus dem Konzept zu kommen) "Wir? Du kannst gerne schlafen, ich will dich nicht davon abhalten". "Ach, red doch keinen Quatsch" winkte er ab "Ich seh dir doch schon an, dass du irgendetwas vor hast und da lass ich dich auf keinen Fall alleine. Nicht, dass das wieder im Tiefkühllager der Küche endet. Also, was willst du machen?". Wegen dem Satz mit dem Tiefkühllager warf ich ihm noch einen bösen Blick zu, blickte dann aber zu meinen Händen "Naja... ich würde jetzt gerne trainieren gehen".

Um 8:00 Uhr morgens beendeten wir das Trainig und ging zusammen zum Frühstück. Alex grinste und wischte sich den Schweiß von der Stirn "Du bist doch echt verrückt". Auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen "Aber es hat geholfen". Gegen meine Alpträume standen wir beide fünf Stunden auf der Matte und übten effektiv Nahkampf. Ich hatte mich selten so ins Training gehangen wie heute, aber es tat mir gut. Meinem Körper und meiner Seele. Es fühlte sich so gut an, so frei. Als hätte ich alle meine Ängste und Sorgen in Energie umgewandelt und sie dann durch Tritte und Schläge aus mir raus gelassen. "Du warst gut heute" bestätigte Alex mich und klopfte mir auf die Schulter. Ich nickte ihm lächelnd zu. Dann betraten wir auch - völlig verschwitzt und topfit - den Speisesaal. Ich könnte förmlich spüren, wie alle Blicke an uns klebten. Klar, alle anderen waren eben erst aus dem Bett gefallen und gönnten sich jetzt ihren ersten Kaffee um wach zu werden. Und wir waren Energie und Stärke in Person. Ein lächeln schlich sich auf mein Gesicht und lief selbstsicher zur Essensausgabe. Am Anfang hatten mich die Blicke der Leute gestört, doch jetzt genoss ich sie schon ein bisschen. Ich hatte gerade die Ausgabe erreicht, als mir jemand auf die Schulter tippte. Erst dachte ich, es wäre Alex, doch als ich mich umdrehte, stand Jodie vor mir. "Was gibt's?" wollte ich von der schwarzhaarigen Wissen. Schlicht antwortete sie "Du musst mir helfen". Interessiert und etwas besorgt musterte ich sie "Klar, wie? Ist irgendetwas passiert?". Hastig schüttelte sie den Kopf "Nein, nein. Es sind nur... ungewöhnlich viele Namen. Ich schaff das heute nicht. Könntest du einen Tag mit mir kommen und helfen? Denkst du das geht?". "Ich rede mit Alex" sagte ich und legte ihr beruhigend eine Hand auf die Schulter. Meine Sorge verbarg ich dabei und überspielte sie mit einem unechten lächeln. Ungewöhnlich viele Namen? Das klag gar nicht gut.

Hinter Jodie betrat ich den Raum der Gefallenen. Mein Blick schweifte über die grüne Hügellandschaft hinter dem Glas. Die frühe Morgensonne blendete mich und ich kniff leicht die Augen zusammen. Trotzdem sah ich, das es schon deutlich mehr Namen seit meinem letzten Besuch waren. Was zur Hölle war hier nur los? Der Sache muss ich auf den Grund gehen. Doch erstmal galt es, Jodie zu helfen. Direkt nach dem Frühstück hatte ich mit Alex geredet. Dieser hatte mir erlaubt, heute im Raum der Gefallenen zu helfen, da ich ja heute morgen so gut mitgearbeitet habe. Also stand ich hier in meiner alten Umgebung und schluckte bei der beachtlichen Anzahl an neuen Toten in der kurzen Zeit. 'Ich hätte sie retten können' flüsterte eine Stimme in mir 'Wenn ich nur schneller gelernt hätte'. Ich schüttelte mich leicht und verdrängte die Stimme. So darf ich nicht denken. Damit bin ich keinem eine Hilfe. In diesem Moment riss mich sowieso Jodie aus meinen Gedanken, indem sie mir die ellenlage Liste mit Namen in die Hand drückte "Ich fang von oben an, du von unten, okay? Wie damals". "Okay" antwortete ich und überflog kurz die Liste, bis mein Blick an einem Namen kleben blieb. Nein, das darf nicht wahr sein. Bitte nicht. "Du, Jodie?" fragte ich, ohne die Augen von der Liste zu wenden. "Hm?" erwiderte sie und ich spürte ihren Blick auf mir. "Du weißt nicht zufällig, welcher Bastian das ist?" wollte ich wissen und deutete auf den dritten Namen auf dem Stück Papier in meinen Händen. Interessiert blickte sie über meine Schulter "Nein, tut mir leid. Kanntest du einen?". Jetzt sprach Mitleid aus ihrer Stimme. Mit Tränen in den Augen sagte ich leise "Ziemlich gut". Sanft legte sie ihre Hand auf meine Schulter "Dann hoffen wir, dass du einen anderen kennst".

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