Rahel

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»Leider müssen wir Ihnen eine Absage erteilen. Diese Absage hat keine Aussagekraft über Ihre Fertigkeiten.«

Rahel unterbrach sich beim Lesen und starrte auf den weißen Laptopbildschirm vor sich. Die Buchstaben, schwarz und dürr wie der Tod, verschwammen vor ihren Augen. Sie musste nicht weiter lesen. Sie wusste auch so, wie die E-Mail weiter ging. Irgendwelche leeren Phrasen über eine zu geringe Schnittmenge zwischen ihren Fähigkeiten und dem Anforderungsprofil der Stelle.

Der Stuhl im Café war weich und sie sank ein bisschen ein. Die Kanten drückten hart gegen ihren Po. Irgendwelche Weihnachtsmusik dröhnte aus den Lautsprechern und mischte sich mit dem fröhlichen Geplauder der Menschen um sie herum.

Ihr Kopf schmerzte. Sie rieb sich die Schläfen.

Konnten die hier nicht ein bisschen Pop spielen?

Liebeslieder würden ihre Stimmung nicht heben.

Rahel zwinkerte.

Sie versuchte ihre Tränen zurückzuhalten. Sie spürte, wie ihre Augen trotzdem feucht wurden. Sie zwinkerte nochmals. Presste ihre Lippen aufeinander. Es half nichts. Ihre Augen füllten sich weiter mit Wasser.

Am Nachbartisch lachte eine Frau kreischend schrill.

Rahel starrte an die Decke. Das Ende ihres Zopfes fiel in den tiefen Ausschnitt an ihrem Nacken und kitzelte auf ihrer Haut.

Stuckrechtecke starrten von der Decke zurück. Makellos weiß und jungfräulich. Sie erinnerten an die Geschichte des Hauses, das hier in Ludwigsburg, sicher einmal einem Adligen gehört hatte. Adligen die garantiert nie mit Fehlschlägen zu kämpfen gehabt hatten.

Da sie nicht in der Zeit zurückreisen konnte, müsste sie damit wohl klarkommen. Zumindest konnte der Prunk ihr heute helfen. Dank der Aussicht würde niemand seltsame Fragen stellen.

Rahels Nacken schmerzte. Ihr Kopf war schwer. Das Gewicht ihres Pferdeschwanzes zog weiter nach hinten. Trotzdem starrte sie weiter nach oben. Wenigstens fielen die Tränen in ihren Augen so nicht auf. Diese Blöße würde sie sich nicht geben! Allein nur deshalb las sie ihre E-Mails in öffentlichen Cafés. Zu Hause würde sie sich heulend in ihrem Bett verkriechen. Bei der Arbeit morgen würde ihre Kollegin Susanne sie dann wieder auf ihre roten Augen ansprechen. Darauf konnte sie verzichten.

Seit Monaten schon schrieb sie Bewerbung um Bewerbung. Im besten Fall bekam sie Absagen. Im schlechtesten Fall erhielt sie nie eine Antwort. Dabei wurden Fachkräfte doch angeblich so verzweifelt gesucht.

Rahel biss sich auf die Lippen. Langsam wurden ihre Augen trockener. Sie erkannte die kleinen, dicken Engel und ausladenden Blüten, welche die Ecken der Stuckquadrate zierten.

Bitter verzog Rahel ihre Mundwinkel.

Fachkräfte! Als ob!


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