Winter 2023 Gewinner ♡ Verschneite Seelen

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Winter 2023 Gewinner ♡

Poppyrella mit Verschneite Seelen

Weißt du noch, wie wir uns kennengelernt haben, Steff? Vermutlich weißt du es schon gar nicht mehr. Aber ich werde mich für immer an den Moment erinnern, als ich deine wunderschönen, braunen Augen zum ersten Mal gesehen habe und du zu mir gesagt hast, dass wir es gemeinsam schaffen werden. Im Nachhinein betrachtet, konnte man diese Aussage noch auf viele andere Situationen, die wir zusammen durchgestanden haben, beziehen.

Es war furchtbar kalt und ich war verloren, bis ich dich in der weißen Landschaft entdeckte und du mir zugewunken hast. Sofort fühlte ich mich nicht mehr allein und als ich dich von der Nähe sah, erwärmte sich mein Herz. Du warst so nett zu mir und wir redeten sofort so miteinander, als würden wir uns schon ewig kennen. Dein Snowboard hattest du in deiner Hand und ich trug meine Ski bei mir. Der plötzliche Schnee hatte dich genauso überrascht wie mich, und er sammelte sich auf dem Boden, wurde immer mehr, bis keiner von uns beiden mehr weiterkam. Das Schicksal hatte uns zusammengeführt. Wir waren dazu bestimmt zusammen zu sein und das wussten wir in diesem Augenblick vermutlich beide.

Ich liebte den Schnee und den Skisport, allerdings hätte ich niemals damit gerechnet, dass dieser Tag so ein Ende nehmen würde. Ich war noch nie in einer solchen Situation und wusste nicht, was ich tun sollte. Der Schnee wurde so hoch, dass es immer schwieriger wurde, etwas in der Ferne zu erkennen. Wir hatten gerade zur richtigen Zeit zueinander gefunden, denn du warst viel besser für eine solche Situation gewappnet als ich. Du kanntest das Schigebiet in- und auswendig, denn du warst schon immer mit deinem Vater hier gewesen. Trotzdem konntest du aufgrund der eingeschränkten Sicht nicht sagen, wo genau wir uns befanden. „Ich weiß, dass hier in der Nähe eine Skihütte ist, in der wir unterkommen können", meintest du dann und ich lauschte deinen Worten, in der Stille, die sich plötzlich um uns gelegt hatte, als der Wind aufgehört hatte zu wehen. Wir standen bis zu den Oberschenkeln tief im Schnee und eine plötzliche Angst überkam mich. Ich zweifelte daran, dass wir jene Hütte erreichten, bevor wir erfroren waren. Doch du legtest deine Hand auf meine Schulter und sprachst mir beruhigend zu. Du versichertest mir, dass wir es schaffen würden. „Gemeinsam schaffen wir das."

Du nahmst mir meine Angst und meine Zweifel. Ich vertraute dir mit meinem Leben, so sehr wie ich noch nie jemandem traute. Hand in Hand stapften wir durch den Schnee, voller Hoffnung, bald unser Ziel erreicht zu haben. Du schwärmtest über den wunderbaren Kakao, den es in der Skihütte gab, zu welcher wir gingen, und mir lief das Wasser im Mund zusammen, bei dem Gedanken, nach diesem langen Verweilen in der Kälte, etwas Warmes in den Händen zu halten.

Wir hätten sterben können, wir zwei. In was für eine gefährliche Lage wir uns gebracht hatten, bemerkten wir erst, als sich die Kälte immer tiefer in unsere Haut fraß, unsere Gesichter schon blau angelaufen waren und sich unsere Sicht von dem Nebel immer mehr einschränkte. Doch wir haben es geschafft, wir erreichten die Skihütte. Sie war ebenfalls eingeschneit und draußen kümmerte sich ein Mann darum, den Schnee mit einer langen Schneeschaufel vom Dach zu holen, um zu verhindern, dass es unter dem Gewicht des Schnees zusammenbrach. Wir grüßten ihn freundlich und er sah uns mit einem bekümmerten Blick an. Bedeckt mit Schnee und unserer bläulich gefrorenen Haut machten wir wohl einen sehr besorgniserregenden Eindruck. Wir erzählten ihm, wie wir uns durch den Schnee gekämpft hatten, und er sagte, dass er froh sei, dass wir es geschafft hätten.

Es waren nicht viele Menschen in der Skihütte anwesend, und nachdem ein Koch und eine Kellnerin uns herzlich begrüßt hatten, erzählten sie uns, dass die meisten Menschen das Schigebiet bereits verließen, als eine Wetterwarnung veröffentlicht wurde. Nur wir waren noch auf der Piste gewesen und hatten vor lauter Spaß am Schifahren diese Warnung missachtet. Ja, wir hatten sie ebenfalls beide gesehen, aber nicht ernst genommen. Kurz bevor die Lifte geschlossen haben, waren wir noch einmal bis ganz nach oben auf den Berg gefahren. Waghalsig, so wie nur junge Menschen es waren, so waren wir gewesen.

Die Liebe zum Schnee und dem Schisport war das, was uns besonders stark verband, wie wir schon schnell herausfanden. Du ludst mich auf eine Tasse Kakao ein, natürlich mit so viel Schlagobers wie möglich. Nach einem Gespräch war mir klar, dass du die Eine für mich bist, und dass ich mein ganzes Leben mit dir verbringen möchte. Ich wäre vielleicht in dem tiefen Schnee gestorben, doch wegen dir lebte ich noch. Wir tauschten unsere Nummern aus, und ich besuchte dich jedes Wochenende. Wir liebten uns innig, und ich kann mich bis heute noch daran erinnern, wie sich deine Küsse auf meiner Haut anfühlten, genauso, wie ich mich daran erinnere, wie du es liebtest, wenn ich meinen Körper fest an den deinen drückte.

Ich hätte nie gedacht, dass du irgendwann nicht mehr da bist. Doch als ich eines Tages vor deiner verschlossenen Tür stand, mir deine Nachbarn sagten, dass du umgezogen bist, ohne eine neue Adresse zu hinterlassen und du auch nicht mehr auf meine Nachrichten reagiertest, wusste ich, dass du nicht von mir gesucht noch gefunden werden wolltest. Ich bin ehrlich, ich war sehr verletzt darüber, dass du mich, ohne etwas zu sagen verlassen hast, und begann dich dafür zu hassen.

Jetzt, wo ich hier liege, wird mir klar, dass ich all die Jahre mit Hass verschwendet habe, in denen ich eigentlich versuchen hätte sollen, den Grund für dein Verschwinden aus deinem Mund zu hören. Jetzt ist es zu spät, denn ich werde sterben. Die Ärzte können nichts mehr für mich tun. Aber mach dir keine Sorgen, ich hatte ein schönes, langes Leben. Meine Kinder und Enkelkinder besuchen mich regelmäßig und ich liebe sie alle sehr. Ich möchte diese Welt noch nicht verlassen, aber es scheint, als wäre nun der Zeitpunkt gekommen. Leider war es mir nach all den Jahren nicht mehr möglich, dich noch ein letztes Mal zu sehen. Du warst meine große Liebe, und für niemanden nach dir habe ich so starke Gefühle gehabt, wie für dich. Ich hätte gerne gewusst, wie dein Leben aussieht, wie es dir geht, wo du wohnst, ob du auch Familie hast und ob du überhaupt noch lebst. All diese Fragen, die ich mir über deinen Verbleib stelle, werden nun leider unbeantwortet bleiben.

Allerdings bin ich mir sicher, dass wir uns eines Tages im Himmel zufällig über den Weg laufen, so wie damals im Schnee. Nur eben diesmal auf Wolken, die warm und flauschig sind, nicht kalt und nass.

In Liebe,

Elenor


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⏰ Last updated: Apr 06 ⏰

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