Die alte Tür fiel hinter mir laut ins Schloss. Wie gehabt meldete ich mich beim Pförtner und unterschrieb unter Kate, die gerade durch die Glastür in das Gemäuer der Wiener Staatsoper verschwand, die bekannte Betretungsliste. Ich schaute Kate hinterher, während ich den Stift wieder an seinen Platz legte. "Kennen Sie den Weg zur Probebühne zwei?", riss der Pförtner mich aus meinen nachsehenden Gedanken. "Ähm nicht wirklich.", gestand ich und bemerkte kaum, dass sich neben mir eine weitere Frau eingefunden hatte, die nach dem Stift griff. Sie war eine große Frau mit braunen, welligen Haaren, die sie in einem strengen Dutt nach hinten gebunden hatte. Sie war nicht dick, dennoch nicht so schlank wie Kate. Ihre grünen, lieben Augen musterten mich für einen kurzen Augenblick. "Ah, Guten Tag, Frau Kleedorf.", begrüßte der Pförtner die Dame. Sie reagierte mit einem konzentrierten Lächeln, während Sie ihre Unterschrift skizierte. "Guten Morgen, Herr Steierbach!", entgegnete sie und steckte den Stift wieder in die Vorrichtung. Gerade wollte sie in Richtung Tür aufbrechen, da fiel Herrn Steierbach ein: "Frau Kleedorf, wären Sie so nett und nehmen die Frau Morgenstern mit zu Probebühne? Sie ist einer Ihrer Künstlerbetreuugen und kennt sich noch nicht so gut aus." Ich war überrascht von der Ehre, die mir gleich zu Beginn anvertraut wurde. Ich lächelte Diana Kleedorf mit dem nettesten Lächeln an, das mir meine Mundwickel erlaubten. Es herrschte ein kurzer Moment der Stille. "Ja natürlich.", nickte sie, kam wieder einen Schritt auf mich zu und reichte mir die Hand. "Diana Kleedorf, ich spiele den Annio.", lies sie mich dann wissen. "Eleonore", nannte ich meinen Namen mit einem etwas zu hörbaren Ausatmer, der Zeichen meiner Erleichterung war. So kam es, dass Diana Kleedorf mich, wie Robert zuvor, durch den Irrgarten der vielen Gänge und Türen führte.

Diana Kleedorf - seit einigen Jahren eine der bekanntesten deutschen Opernsängerinnen und ein gefeierter Star an den größten Opernhäusern weltweit. Sie war Spezialistin für barocke Opern. Ihre Darstellung des Ariodante in Händels gleichnamiger Oper im Rahmen des Anzinger Barocksommers vor einigen Jahren solle sehr beeindruckend gewesen sein. Damals war ich der Opernliebe noch nicht verfallen, doch hatte ich die damalige Videoaufzeichnung an einem Opernkinoabend mit Amy gesehen. Daraufhin verfolgte ich die Mezzosopranistin regelmäßig auf Instagram. Ihr neustes Album mit gesammelten, alten, unbekannten Barockliedern, war eine meiner liebsten Entpannungsmethoden der letzten Wochen. Ich genoss den tiefen, voluminösen und doch zarten Klang ihrer Stimme. Glasklar und mühelos. Ganz zu schweigen von ihrem darstellerischen Vermögen. Erst vor kurzem hatte ich sie in der Berliner Oper in der beindruckenden Partie der Charlotte gesehen. Werther war eine Oper des zwanzigsten Jahrhunderts von Massenet. Ich war zuerst skeptisch, war dies doch außerhalb ihres Faches, doch sie bewältigte jede Note mit Bravour und legte ein Finale an den Tag, das mich nur selten so emotional mitriss. Sie war rundum eine großartige Künstlerin, die ich jedes mal aufs neue bewunderte. Ich fühlte mich ihr auf eine gewisse Art verbunden. Zum Einen war dies absurd, waren wir uns doch vor fünf Minuten das erste mal begegnet, zum Anderen war sie eine der wenigen Opernsängerinnen, die offiziell als lesbisch geoutet war. Ich sah ihre Lebensgefährtin einmal flüchtig, als sie den Opernstar nach der Vorstellung an der Bühnenpforte abholte. Zwei wunderschöne Frauen, die ein wunderbares Paar abgaben. Mich erfüllte es mit Stolz, dass die beiden auch auf den sozialen Medien kein Geheimnis aus ihrer Beziehung machten. Waren die Grenzen in dem Business doch leider noch sehr beschränkt und konservativ.

"Alles in Ordnung?", fragte sie prüfend, nachdem ich ihr eine Weile schweigend gefolgt war. Ich nickte grinsend. "Alles ganz schön aufregend!", gestand ich bescheiden. "Verstehe!", kam ihre Antwort kurz.

Ich hätte natürlich in einem begeisterten Vortrag über meine Faszination für dieses Opernhaus oder ihres Schaffens ausbrechen können, doch ich hielt mich zurück. Ich wollte von den Solisten ernstgenommen werden. Ich wusste, wie viele Fans da draußen herumliefen und sich um die Nähe zu diesen Opernstars gegenseitig die Köpfe einschlagen würden. Und ich wusste auch, dass die Sänger und Sängerinnen weitestgehend versuchten davon Abstand zu halten. Ich wollte um jeden Preis vermeiden von Anfang an in eine Schublade gesteckt zu werden und mir die Chance auf Vertrauen zu verspielen. Ich suchte nach einem angemessenen Gesprächsthema, hatte ich doch trotzdem das Bedürfnis einige erste Worte mit ihr zu wechseln.

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⏰ Last updated: Apr 10 ⏰

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