11 | Im Untergrund

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Hinter einer Kammer voller selbstgebauter Waffen wie Zip-Guns – bestehend aus Rohrteilen, Federn und Schlagbolzen-, simplen Steinschleudern, improvisierten Blasrohren, sowie einer Vielzahl von Schlag- und Stichwaffen aus Holz, Metall und sogar Knochen, die ordentlich in hohen Regalen lagerten, erreichten sie das Herzstück des Widerstandes. Der Überwachungsraum, obwohl klein, war äußerst gut organisiert. Mehrere Monitore waren an den Wänden angebracht, die verschiedene Bereiche des Untergrunds zeigten. Die Bildschirme flackerten leise vor sich hin und warfen flüchtige Schatten auf die Gesichter der Personen im Raum.

In der Mitte des Raumes stand ein großer Tisch, auf dem Karten, Pläne und Dokumente ausgebreitet waren. An diesem Tisch saßen einige Rebellen, ernst und fokussiert, während sie über Strategien und Einsätze diskutierten. Einige von ihnen trugen Funkgeräte, um mit den anderen Widerstandskämpfern in Verbindung zu bleiben. Aria winkte ihnen kurz zu, um sie nicht zu unterbrechen und schlich dann mit Julien weiter den Raum entlang.

Hinter der nächsten Tür lag eine Verpflegungsküche, in der man etwas Essen, und sich austauschen konnte. Doch dahinter befand sich der Raum, den der Doktor wohl am interessantesten finden würde. Aria hatte gerade die Tür zum Krankenzimmer geöffnet, als von der anderen Seite des Raumes mehrere Menschen hineinstürmten. "Legt ihn hierhin!", hörte sie eine bekannte Stimme rufen, gefolgt von der drängenden Frage: "Wo ist der verdammte Arzt?"

Wilde Hektik brach aus, als ein Mann ein paar Handtücher von der Liege fegte und einen Verletzten dort ablegte, einen Pfeil aus seinem Rücken ragend. Der Geruch von Blut und Angst lag schwer in der Luft, während sich die Anwesenden hastig um den Verletzten scharten. "Zieh ihn doch einfach raus", hörte Aria jemanden verzweifelt sagen. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, hörte sie Julien neben sich sprechen, klar und bestimmt: "Lasst den Pfeil stecken! Ich übernehme!"

Einige Gesichter wandten sich überrascht zu dem Mann um, den niemand von ihnen kannte, doch dann erblickten sie Aria. Ein Nicken von Thalia Twilight genügte, und man bot Julien seine Hilfe an.

Julien war in seinem Element. Trotz des Chaos um ihn herum blieb Julien ruhig und konzentriert. Mit geübten Händen begann er sofort mit der Versorgung des Verletzten, während er klare Anweisungen an die Anwesenden gab. Sein professionelles Auftreten und seine Entschlossenheit brachten einen Hauch von Ordnung in die unvorhergesehene Situation, und langsam, aber sicher kehrte eine gewisse Ruhe in den Raum zurück, während sie gemeinsam daran arbeiteten, das Leben des Verwundeten zu retten.

Erst als die Blutung gestillt und der Verletzte in einen unruhigen Schlaf gesunken war, legte sich eine kurze Stille über den Raum, die von der dumpfen Atmosphäre des Untergrunds durchdrungen war.

Aria zog sich die Gummihandschuhe von den Händen und legte anerkennend ihre Hand auf Juliens Schulter. Sie konnte nicht verbergen, dass ein gewisser Stolz sie in diesem Moment durchflutete. Stolz auf sich selbst und ihr Team, das so schnell und effektiv reagiert hatte. Doch vor allem auf Julien, der die Situation mit bemerkenswerter Ruhe und Geschicklichkeit unter Kontrolle gebracht hatte.

"Das ist Dr. Julien Noir", sagte sie mit einer gewissen Ehrfurcht in ihrer Stimme, die die Bedeutung seiner Anwesenheit unterstrich. "Er ist der Arzt, von dem ich euch schon erzählt habe."

Die Augen der Rebellen wandten sich Julien zu, und einige von ihnen murmelten Anerkennung oder Dank. Thalia Twilight trat vor, ihre Miene ernst, aber anerkennend. "Willkommen bei den Shadow Soldiers, Doktor", sagte sie mit einer Stimme, die Autorität und Respekt ausstrahlte. "Wir sind dir dankbar für deine Hilfe und deinen Mut."

Julien nickte knapp, sein Blick ruhte auf dem Verletzten, dessen Gesicht vom Schmerz und der Erschöpfung gezeichnet war. „Was ist passiert?", wollte er instinktiv wissen.

„Ein hinterhältiger Angriff", antwortete Thalia knapp und richtete ihr Wort dann an die Ärztin. „Aria, kann ich dich kurz sprechen?"

In einem Winkel des Raumes, wo das schwache Licht der Glühbirnen nur gedämpft auf die raue Betonwand fiel, fanden sich Thalia und Aria für ein Gespräch unter vier Augen zusammen.

"Können wir ihm vertrauen?", fragte Thalia leise, ihre Augen voller Zweifel. Aria zögerte keinen Moment, bevor sie antwortete.
"Ich würde ihm mein Leben anvertrauen", sagte sie mit fester Überzeugung in ihrer Stimme. Thalia nickte.
„Das dachte ich mir", meinte sie zufrieden und wandte sich dann einige Meter entfernt wieder einem großen Mann zu, dessen blonde Mähne in einem dicken Haarzopf am Hinterkopf zusammengehalten wurde. Seine Haut war über und über mit Tattoos und Narben übersät, die an vielen Stellen nicht mehr voneinander zu unterscheiden waren. Wahrscheinlich waren einige der schwarzen Zeichen eigens aus dem Grund gestochen worden, um eben diese Narben zu überdecken. Trotzdem trug Silas Shadowstrike seine Wunden des Kampfes mit Stolz.

Aria beobachtete die Anführerin der Rebellen und ihren stärksten Krieger, die über den Vorfall zu sprechen schienen. Sie konnte die beiden nicht verstehen, doch sie hing aufmerksam an ihren Lippen und verstand, dass dieser Mann auf der Liege keiner von ihren Leuten zu sein schien. Ein Gefangener? Ein Spion? Oder ein Verbündeter. Darüber schienen sich Thalia und Silas noch nicht einig zu sein, wenn man ihre Körpersprache den Wortfetzen hinzufügte. Plötzlich drehte sich Silas Kopf der Ärztin zu, und sie fühlte sich ertappt.

Bewusst freundlich lächelte sie dem Krieger zu und erntete ein ebenso freundliches Lächeln. Sie war froh, dass er Teil des Widerstandes war. Sie wusste, dass sie jede Person in ihren Reihen brauchten, vor allem solche, die wussten, wie man kämpft und die fit waren, um etwas zu bewirken. Die armen Menschen, die wie Willais und Elsies Mutter im Untergrund dahinvegetierten, konnten sich nicht mehr selbst wehren. Es lag an den Starken und Entschlossenen, für sie einzutreten und für eine bessere Zukunft zu kämpfen.

Elsie! Sie musste unbedingt zu dem kleinen Mädchen. Am besten noch heute. Und sie würde Julien mitnehmen. Wo er schon mal hier war. Ihre Augen suchten den Raum ab, doch sie fanden den Doktor nicht. Aria löste sich aus der Ecke, in der sie stand, und bahnte sich einen Weg zwischen den Menschen hindurch, sogar in die angrenzenden Räume. Doch der Doktor blieb verschwunden, als wäre er in den Schatten des Untergrunds verschluckt worden.

Neonlight Shadows - AufbruchWhere stories live. Discover now