Unterhalb der Bellmore Street

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Der helle Ton von Glöckchen erklang, als Raymond den Bücherladen unterhalb der Bellmore Street betrat

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Der helle Ton von Glöckchen erklang, als Raymond den Bücherladen unterhalb der Bellmore Street betrat. Der vertraute Geruch von Farbe, Papier und Staub hüllte ihn ein. Er schob die Tür zu und atmete tief ein. Mit Wehmut trat er an eines der Regale heran und zog eines der Bücher heraus. Er schlug es behutsam in der Mitte auf. Über alle Seiten erstreckten sich sinnlose Zeilen und er fragte sich, was er von einem magischen Buch erwartet hatte, das sein wahres Inneres nur seinem Seelenverbundenen offenbarte.

Mit zusammengepressten Lippen schob er das Buch zurück in das Regal. Dann trat er an den Tresen, auf dem ein Buch mit Ledereinband lag. Eine Notiz lugte darunter hervor:

Angesichts des drapierten Buches und der Notiz rätselte Raymond, wie sein Vater seinen Tod aus so heiterem Himmel hatte erahnen können

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Angesichts des drapierten Buches und der Notiz rätselte Raymond, wie sein Vater seinen Tod aus so heiterem Himmel hatte erahnen können.

»Mutig, dass du davon ausgegangen bist, dass ich persönlich herkomme«, grummelte Raymond.

Er strich über den Einband, in den das Wort Lagiator eingelassen war. Ein sanftes Flüstern schlich sich in seinen Kopf und er glaubte plötzlich die Stimme seines Vaters zu hören.

Die Glöckchen der Eingangstür erklangen. Erschrocken zog Raymond seine Hand zurück und sah auf.

Ein Mann in Trenchcoat und mit rot kariertem Schal trat ein.

»Mr Evans?«, fragte Raymond.

»Höchstpersönlich«, erwiderte dieser und grinste perfide. Dieser Kerl war genauso schmierig, wie Raymond ihn sich am Telefon vorgestellt hatte. Schlagartig spürte er, wie ihm schlecht wurde. Konnte er den Laden wirklich verkaufen?

Raymond schob die Hände in die Taschen seiner grauen Anzughose. »Sie sind ein wenig früh.«

»Ein wundervoller Laden. Sie erlauben?« Mr Evans zog bereits unverblümt ein Buch aus dem Regal. 

Raymond verzog das Gesicht und trat um den Tresen.

»Wundervoll«, bestätigte Mr Evans und schob das Buch zurück. »Ich möchte gerne alles nehmen. Zwanzigtausend. Was sagen Sie?«

Raymond stockte angesichts der maßlos übertriebenen Summe. Gleichzeitig spürte er, wie seine Knie weich wurden. »Verzeihen Sie, Mr Evans, aber wenn Sie auch die Bücher erwerben wollten, ist dies leider nicht möglich.«

»Seien Sie unbesorgt, Mr Pierce«, schmunzelte Mr Evans. »Ich weiß um die Besonderheit dieser Bücher. Ich habe meinen eigenen Seelenverwandten bereits hier.« Er klopfte sanft auf die ausgebeulte Tasche seines Trenchcoat.

Raymond presste für einen kaum sichtbaren Moment die Lippen aufeinander und verschränkte die Arme. »Diese Bücher werden für gewöhnlich von einem Lagiator verwaltet. Falls sich in Ihrer Tasche ein solches nicht befinden sollte, wird der Zirkel mit Sicherheit nicht einverstanden sein.«

Mr Evans lächelte schief. »Ich benötige kein Einverständnis vom Zirkel.«

Raymond verengte die Augen.

»Sie wissen sicher«, fuhr Mr Evans fort, »dass es ein paar sehr gefährliche Exemplare gibt, die sich genauso gefährliche Menschen als Seelenverbundene aussuchen. Wir verhindern diese Zusammentreffen.«

»Bitte was?«, fragte Raymond und merkte, wie sich seine Gedanken überschlugen.

»Die Restriktionsbewegung. Wir vernichten die gefährlichen Exemplare.«

Raymond erstarrte. Als Inhaber dieses Ladens war es die Aufgabe seines Vaters gewesen, dass jeder Suchende sein ihm bestimmtes Buch erhielt. Viele hatten eine ziellose Reise der Verzweiflung hinter sich, bis sie schließlich in den kleinen Laden unterhalb der Bellmore Street vom Schicksal gedrängt durch die Tür stolperten und ihnen ihr wahres Ich offenbart wurde. Das Wesen eines Magiers. Dies zu unterbinden bedeutete, dass die Suchenden niemals fündig werden würden. 

Eine Qual, die Raymond selbst allzu gut kannte – und für die Leute, wie Mr Evans verantwortlich waren, da sie alle Bücher vernichteten, die ihnen auch nur eine Spur zu mächtig erschienen.

»Verlassen Sie meinen Laden, Mr Evans.«

Mr Evans Gesichtszügen wich jegliche Freundlichkeit. »Wie konnte ich nur erwarten, dass die Brut eines alten Lagiators Verständnis aufbringen würde?« Er schnippte mit dem Finger und das Buch aus seiner Tasche tauchte wie aus dem Nichts vor ihm auf. »Allerdings sind Sie kein Lagiator, Mr Pierce, und werden mich nicht aufhalten.« Die Seiten seines Buches blätterten um, bis es an einer Stelle abrupt stoppte. Ein Sturm schwoll in dem kleinen Laden an, riss die Bücher aus ihren Regalen und zog sie in das Innere eines verschlingenden Stroms. 

Unter den um ihn peitschenden Büchern schlug Raymond die Arme über dem Kopf zusammen. »Nein, hören Sie auf!« Die Bücher kreischten auf, doch eines schrie für ihn lauter als alle anderen. Mit blankem Entsetzen sah er zu dem Tresen und hetzte los. Kurz bevor seine Finger das Buch seines Vaters erreichten, packte der Sturm es. »Nein«, schrie Raymond und versuchte vergebens, ihm ein weiteres Mal hinterher zu hechten. Sein Herz setzte einen Schlag aus. »Nicht das Lagiator!«

Die Welt stand still. Um das Buch seines Vaters tänzelten leuchtende Buchstaben.

Es flüsterte.

Es flüsterte nur zu ihm.

Raymond war durchströmt davon und trat nach vorn. Er streckte die Hand nach dem Buch und es senkte sich ab, um über seiner geöffneten Handfläche schweben zu bleiben.

Mit angespanntem Kiefer sah er zu dem eingefrorenen Mr Evans, auf dessen Gesicht ein triumphierendes Lächeln strahlte. Von dem Flüstern geleitet, schlug Raymond mit einer winkenden Geste das Lagiator auf. Die Buchstaben auf den Seiten bewegten sich. Sinnlose Zeilen ordneten sich in flinkem Tempo zu einem Zauberspruch an. Von dem Rauschen der Magie erfüllt, las Raymond die Worte der fremden und doch vertraut klingenden Sprache vor.

Eine neue Kraft ließ die Bücher aus dem Strom herausschießen. Sie krachten wie wilde Geschosse in jede Ecke des Ladens.

Mr Evans Augen weiteten sich.

»Verschwinden Sie!« Raymonds Stimme zitterte vor Wut.

Pikiert strich Mr Evans den Staub von seiner Kleidung und entgegnete mit kalter, ruhiger Stimme: »Sie werden das bereuen, Mr Pierce. Sie haben ja keine Ahnung von alldem.«

Raymond presste die Kiefer aufeinander, während Mr Evans das Kinn anhob, sich zur Tür wand und mit einem Fingerschnippen verschwand.

Das magische Buch schwebte immer noch zu Raymonds Rechten. Er musterte es eine Weile mit gemischten Gefühlen. »Deshalb hattest du mir jede andere Verbindung verwehrt? Heuchlerisches Taschenbuch. Und ich dachte, das hier alles würde heute enden ...« Ein wenig patzig, aber dennoch behutsam, pflückte er das Buch aus der Luft. Er schloss die Augen, lächelte und atmete tief den vertrauten Geruch von Staub, Papier, Tinte und einem Hauch Magie ein.

 Er schloss die Augen, lächelte und atmete tief den vertrauten Geruch von Staub, Papier, Tinte und einem Hauch Magie ein

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