Gedanken wie diese kreisten wie so oft durch meinen Kopf, während ich in der Straßenbahn sitzend, die strahlende Sonne im Gesicht, die wunderschöne Altstadt von Wien bewunderte. Ich würde mich wohl nie sattsehen können an den edlen Gebäuden und der wundervollen Ausstrahlung dieser österreichischen Hauptstadt. Gerade passierten wir die Wiener Staatsoper. In diesem prachtvollen Gebäude hatte vor rund einem Jahr meine Liebe zur Oper begonnen. Spontan entschied ich mich damals eine der billigen Stehplatzkarten an der Abendkasse zu kaufen und erlebte prompt Kate Wilson in einer fantastischen Darstellung des Orpheus in Glucks Orpheus et Euridice. Seit diesem Abend hatte es mir nicht nur besagte Mezzosopranistin, sondern auch diese wundervolle Gattung der Musik angetan. Von da an hatte ich mich mit diversen Opern und Personen in deren Umfeld beschäftigt und war, wie meine beste Freundin mich liebevoll betitelte: ein kleines, lebendes Opernlexikon.

"Parto Parto", dröhnte Elina Garancas Stimme aus den Lausprechern meiner Kopfhörer. Die bekannteste Arie aus Mozarts La Clemenza di Tito lenkte meine Gedanken zurück zu meinem Gespräch mit Professor Weber. Ich bei der Welttour der Wiener Staatsoper. Das klang noch so absurd, dass ich es noch nicht wirklich als Realität ansah. Mir stockte der Atem, als ich Webers Worte im Geist wiederholte: Künstlerbetreuung. Moment. Ich zückte mein Handy. Bis jetzt hatte ich nicht über die Besetzung nachgedacht. Die späte Mozartoper beinhaltet gleich zwei Rollen für Mezzosopranistinnen, was nicht ganz unschuldig daran war, dass ich diese zu eine meiner liebsten zählte.

Mit zittrigen Händen überflog ich die Besetzungsliste auf der Website der Wiener Staatsoper. Mein darauffolgendes, breites Grinsen musste jeder mitfahrenden Person in dieser Straßenbahn einen kleinen Schrecken eingejagt haben. Unter Sopranistin Francesca Pellegrini, die die Rolle der Vitellia übernehmen würde, prangte der Name Kate Wilson als Hauptpartie Sesto, Vitellias Liebhaber. Mein Herz machte einen Satz. Auch als ich weitere Namen wie Léa Dubois als Servilia, Diana Kleedorf als Annio sowie Jeffrey Lambert in der Titelpartie erblickte. So viele Sängerinnen und Sänger, die ich im Laufe meiner Recherchen zu schätzten gelernt hatte. Und ich sollte direkt mit ihnen zusammenarbeiten. Ich war so in diese Vorstellung vertieft, dass ich beinahe meine Haltestelle verpasste. In letzter Sekunde sprang ich aus der Bahn und machte mich die letzten Meter zu Fuß auf zu meiner kleinen und bescheidenen Studentenwohnung.

"Bin wieder zu Hause!", rief ich in den Hausflur, während ich Schlüssel an den Haken und Jacke an die eigens von mir installierte Garderobe hing und meine Schuhe auszog. "Hellooooo", kam die Antwort aus eins der hinteren Zimmer der Wiener Altbauwohnung. Wenig später erschien Amy im Türrahmen. Die Mitte zwanzigjährige, blondgelockte Frau mit athletischer Figur und grünen Augen war über die letzten Monate zu meiner engsten Freundin und Weg Begleiterin geworden. Wir teilten nicht nur unsere gemütliche Wohnung im 7. Bezirk, sondern auch Leidenschaft für Kunst und Kultur. Sie studierte Malerei im vierten Semester und arbeitete gerade an ihrer Semesterabschlussmappe. Auch wenige Minuten vor meiner Ankunft, wie ich unschwer an ihrer bunt besprenkelten Malerkluft erkennen konnte. Um nicht dreckig zu werden, gab ich ihr zur Begrüßung nur vorsichtig einen kleinen Kuss auf die Wange. Sie grinste. "Wie war dein Tag?" fragte sie und schüttelte dabei ihre Locken aus, die bis eben noch von einem Haarband vor Farbe geschützt wurden. Ich strahlte. War ich doch äußerst ungeduldig ihr die neusten Neuigkeiten mitzuteilen. "Sehr, sehr gut!", begann ich meine Euphorie in kleinen Happen ans Licht zu bringen. "Das klingt doch aussagekräftig! Ich habe übrigens mit dem Mittagessen auf dich gewartet." Sie winkte mit dem Kopf in Richtung Küche. Ich nickte etwas zu intensiv. "Danke dir, wie lieb!" "Was ist los? Warum grinst du so?" Ich war ihr in die Küche gefolgt und nahm mir etwas von dem Rührei, dass sie liebevoll zubereitet hatte. "Amy, du ahnst nicht, was Herr Weber mir heute angeboten hat.", platzte es aus mir heraus. Sie blickte mich erwartungsvoll an. "Erzähl!", sie trommelte mit den Fingern auf das Küchenholz um einen Trommelwirbel zu imitieren. "Ich darf Kate Wilson auf der Welttournee der Wiener Staatsoper betreuen!" Ihr Mund stand offen, genau wie meiner vor gut einer Stunde. Kate war ihr natürlich durch meine weitschweifenden Erzählungen rund um Thema Oper bekannt. Außerdem waren wir ein paar mal zusammen in der Staatsoper gewesen und früher oder später musste sich auch Amy eingestehen, dass sie Kate nicht minder attraktiv fand als ich. "Wie kommt das denn?" "Herr Weber hat einen Bekannten an der Staatsoper. Und als er hörte, dass sie noch Leute suchen, hat er an mich gedacht. Wie lieb von ihm, oder?" "Das ist ja megahammercool!", teilte sie meine euphorische Stimmung. "Oha, darfst du sie dann auch ausziehen?" Ich lachte. "Bitte was?" "Naja bei den Umzügen und so" "Das weiß ich nicht.", gab ich noch immer lachend zurück. "Natürlich nicht einfach so in der Garderobe. Das würde die Elo doch niemals tun!" Die Ironie war nicht zu überhören. "Nein, das ginge ja viel zu weit.", fügte ich grinsend an. "Nein, also ich muss mich nochmal genau über die Details informieren. Es sind ja auch noch andere Solisten dabei. Ich darf eben die Künsterbetreuung machen und Kate ist als Sesto besetzt." Ich schob mir die erste Gabel mit Rührei in den Mund. "Bor, auch noch Sesto. Elo, das wird der Sommer deines Lebens!"

Gleich am Abend setzte ich mich an meinen Schreibtisch, schrieb einen Textentwurf und fügte Lebenslauf in den Anhang ein. Etwas nervös kramte ich den kleinen Zettel mit der berüchtigten Mailadresse aus meiner Tasche hervor und tippte Buchstabe für Buchstabe in die Adresszeile ein. Jetzt noch überprüfen, abgeschickt und Laptop zugeklappt. Eine grundsätzliche Reaktion meines Körpers auf riskante oder wichtige Nachrichten: Abschicken und Weglaufen. Um mich abzulenken setzte ich mich an mein Klavier und klimperte eine Chopinsonate. Wie dankbar ich meinen Eltern war, dass sie damals mithalfen mein Klavier aus meinem alten Kinderzimmer in die neue Wohnung zu transportieren. Klavierspielen war meine Leidenschaft, mein Ausgleich. Wenn auch die Blütezeit meines täglichen Übens und zahlreichen Wettbewerben mit Beginn des Studiums ausgeklungen war, setzte ich mich hin und wieder gern an den alten Kasten um ein paar schöne Chopin- oder List- Melodien zum Leben zu erwecken. Wenn ich da so im gemütlichen Schein meiner Schreibtischlampe die Tasten drückte und jedes mal staunte, wie viel meine Hände noch konnten, kam mir wie so oft die Stimme meines Vaters in den Kopf, dar da sagte: "Eleonore. Hör nicht auf zu lernen. Die Musik, die du spielst, kann dir keiner mehr nehmen!"

Auch wenn ich damals seine Sprüche kaum noch hören konnte, wie dankbar und stolz ich doch jetzt war, die Möglichkeit zu haben auf einem akzeptablen Niveau Musik zu machen. Zum Studieren fehlte es mir eine Spur an Talent, so sagte zumindest meine damalige Klavierlehrerin und zerstörte damit jegliche Träume meines 10jährigen Ichs von gefeierten Solokonzerten in der Carnegie-Hall.

So vertieft in die Musik bemerkte ich Amy erst, als sie vorsichtig ihre Arme von hinten um meinen Hals legte. Ohne meine spielenden Hände von der Tastatur zu nehmen drehte ich meinen Kopf kurz hoch und schaute sie lächelnd an. Sie grinste zurück. Ich wusste worauf sie hinaus wollte. Wir waren kein Paar. Allein das meinen Eltern klarzumachen kostete mich einige anstrengende Gespräche. Allerdings gab es zwischen Amy und mir etwas, was man heutzutage unter dem Begriff Freundschaft Plus zählte. Sie war eine wunderschöne, attraktive Frau. Als es das erste mal passierte, war ich im nachhinein beinah stolz, dass sie mich auf diese Ebene begehrte. Ich mochte es mit ihr zu schlafen. Es war aufregend. Auf eine seltsame Art und Weise nahm es unserer Freundschaft jegliche Grenzen. Die Intimität die wir miteinander entwickelten schaffte ein dickes Band zwischen uns. Wir liebten uns auf unsere Weise.

Ernst klang der letzte Akkord des Chopin Walzers nach. Ich nahm mein Fuß vom Pedal und drehte mich zu Amy um. Sie drückte mir einen dicken Kuss auf die Wange. Ihre Haare waren noch nass. Sie duschte nach dem Arbeiten jedes Mal, um die hartnäckige Farbe von Fingern und Haut zu bekommen. Geschickt schob sie ihre Hand unter mein Schlafshirt, das ich mir vorhin bereits übergezogen hatte, und ließ mich von ihr in mein verhältnismäßig großes Bett ziehen.

Im Einklang des GesangesWhere stories live. Discover now