Schwestern sein

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Ich bin 13 Jahre alt, als ich Chrissie kennenlerne. Chrissie besucht uns mit ihrer Mama Rosi und möchte unsere Meerschweinchen kennenlernen. Das mit Rosi gefällt mir nicht. Gerade habe ich mich an das Leben zu dritt gewöhnt: nur Papa, Kim und ich. Was will Papa mit einer neuen Frau? Aber Chrissie, die gefällt mir von Anfang an gut. Ihr Papa ist vor fünf Jahren gestorben. Sie versteht, ohne dass Kim und ich viel erklären müssen. Auch Chrissie hat eine Oma, die es einem mit ihrer vielen Heulerei schwer macht, ein normales Leben zu führen. Und Rosi, die kann wirklich gut kochen. Eine willkommene Abwechslung zu Papas fader Tiefkühlkost.

Bevor ich Chrissie meine Schwester nenne, vergeht noch Zeit. Das erste Mal kommt dieses tiefe Gefühle von Familie auf, als wir gemeinsam nach Elba fahren. Chrissies Oma hat ihr für die Reise eine ganze Einkaufstasche voller Süßigkeiten mitgegeben. In der Plastiktüte sind bestimmt zwei Kilogramm feinster Leckereien. Chrissie will uns gerne etwas abgeben. Aber nicht mit uns! Wir haben 10 Stunden auf dem engen Rücksitz unseres Opels Zeit, um Chrissie zu überzeugen, dass echte Schwestern teilen. Kurz vor Genua haben Kim und ich Chrissie endlich so weit. Sie schüttet die Tüte aus und wir sortieren die Süßigkeiten in drei exakt gleichgroße Haufen. Es folgt ein herrlicher Urlaub, in dem wir zu unserem Glück nur eine Luftmatraze brauchen. Wir plantschen stundenlang im tiefblauen Meer und singen Schlager.

Seitdem sind sechs Jahre vergangen. Jede von uns geht ihre eigenen Wege. Da kommt Kim die Idee für einen letzten gemeinsamen Strandurlaub, als Erinnerung an alte Zeiten. Es hat etwas von Abschied, als wir auf dem Albrecht-Dürer-Flughafen einen Last-Minute Flug auf die griechische Insel Kos buchen. Kaum im Hotel angekommen, merke ich, dass wir inzwischen ganz schön unterschiedlich sind. Zwei oder drei Tage am Strand finde ich ja nett. Aber die allabendlichen Spaziergänge durch das Stadtzentrum von Kardamaina sind so richtig nervig. Chrissie arbeitet sich mit unglaublicher Ausdauer durch die Auslagen der Geschäfte. Sie sucht nach gestreiften Boxershorts für ihren Freund Hans. Hans macht eine Ausbildung bei Karstadt. Ich bin fest überzeugt davon, dass er sich dort jede Menge Boxershorts kaufen kann. Vielleicht bin ich auch eifersüchtig, dass Chrissie zu Hause sehnsüchtig erwartet wird.

Nach ein paar Tagen ohne Bewegung und Naturerlebnisse bekomme ich schlechte Laune. Ich will unbedingt eine Radtour zu einem entlegenen Strand machen. Kim und Chrissie finden aber, dass es bei 38 °C zu heiß zum Radfahren ist. Ich werde so richtig wütend und beschließe, kein Wort mehr zu sprechen, bis die beiden mitkommen. Schließlich haben wir bisher gemacht, was Kim und Chrissie Spaß macht. Jetzt bin endlich ich dran. Mit eisernem Schweigen kriege ich die beiden bis Mittag klein. Erfreut laufe ich zur Hotelrezeption und frage nach dem Weg zum einsamen Strand. "You want to go there by bike? This is not possible. This beach is quite far away. It would take you hours." Nach einer kurzen Schrecksekunde fange ich mich wieder. Fröhlich verkündige ich Kim und Chrissie, die im Hotelzimmer auf mich warten, dass es eine nette kleine Tour ist und ich den Weg jetzt kenne. 

Wir mieten direkt am Hotel drei klapprige Damenräder und ziehen los, ohne Wasser, Werkzeug oder Landkarte. Schon am Ortsausgang verfahren wir uns das erste Mal, finden aber bald den richtigen Weg. Eine frisch geteerte Landstraße führt bergan ins Landesinnere. Die Luft flimmert über dem heißen Asphalt. Die Sonne knallt gnadenlos auf uns nieder. Es herrscht viel Verkehr. Ständig überholen uns Autos. Nach etwa einer halben Stunde ruft Chrissie mit schwacher Stimme: "Ich kann nicht mehr. Ich möchte umdrehen." Umdrehen nach allem, was wir schon geschafft haben? Ich werde so richtig sauer und herrsche Chrissie an: "Du Simulant fährst weiter." Was bleibt der Armen übrig? Leise jammernd tritt sie in die Pedale. Irgendwann ist auch Kim erledigt. Sie sieht ganz blaß aus. Da dämmert mir, dass ich Scheiße gebaut habe. Wir finden einen Olivenbaum, etwas von der Straße entfernt, der Kim und Chrissie spärlich Schatten spendet. Ich radle bis zur nächsten Tankstelle weiter und kaufe von dem bisschen Geld, das ich in meiner Tasche finde, eine große Flasche Wasser. Kim und Chrissie trinken und trinken, bis sie wieder ansprechbar sind.

Nach einer Stunde machen wir uns auf den Rückweg. Auf dem kurzen Stück Feldweg habe ich einen Platten gefahren. Chrissie ist die leichteste von uns. Deshalb muss sie das kaputte Rad nehmen. Alle fünf Minuten halten wir am Staßenrand an und ich pumpe den Reifen wieder auf. Chrissie ist stinksauer, aber auch froh, als wir endlich wieder im Hotel ankommen. Die letzten Urlaubstage lasse ich reuevoll Strand und Stadtspaziergänge über mich ergehen. 

"Du Simulant fährst weiter" begleitet mich noch viele Jahre. Immer wenn Chrissie mit wenigen Worten ausdrücken möchte, was sie an mir stört, schaut sie Kim tief in die Augen, zuckt mit den Schultern und sagt: "Du Simulant fährst weiter."




 

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⏰ Senast uppdaterad: Nov 16, 2023 ⏰

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