Die Aussage des Mannes bewahrheitete sich. Als wir das Ende der Treppe erreichten, war weit und breit nur eine Tür zu sehen. Jace trat vor und klopfte. Von innen war zunächst nichts zu hören, dann kamen der Tür schnelle Schritte immer näher, bis sie schließlich aufgerissen wurde. Ein Mann mit schwarzen Haaren und dunklen Augen musterte uns eingehend. Er war groß und muskulös. Sein Blick war kalt und abschätzend und mir lief unwillkürlich ein Schauder über den Rücken. Ich trat einen Schritt zurück, sodass ich näher bei Cole stand.

„Wie kann ich euch behilflich sein?“, fragte er mit vor Kälte klirrender Stimme. Cole griff nach meiner Hand.

„Seid Ihr Richard Gale?“, fragte Jace freundlich.

„Wer will das wissen?“, kam die Gegenfrage.

„Ich bin Jace und das sind meine Schwester Mira, meine Freunde Cole und Linda und meine Tante Lorelay“, stellte Jace uns vor. Der Blick des Mannes vor uns sprang dabei von einem zum anderen. Vielleicht war es nur das Licht, aber ich meinte zu sehen, wie sich seine Augen noch mehr verfinsterten, falls das überhaupt möglich war.

„Kommt rein“, sagte er und trat zur Seite. Ich hatte ein komisches Gefühl, als ich über die Türschwelle trat. Der Raum war vollkommen weiß. Die Wände, der Boden, die Tische, die Stühle, die Lampen, selbst die Ordner, die in den weißen Regalen standen, strahlten in dem gleißenden Ton. Richard stach mit seinen schwarzen Haaren, Augen und seinem schwarzen Mantel deutlich hervor und zog sofort alle Blicke auf sich. Die eine Wand war vollständig aus Glas, sodass man einen guten Ausblick über die Stadt hatte.

„Setzt euch“, sagte Richard und deutete auf die Sofaecke mit den weißen Ledersofas. Wir setzten uns. Richard ließ sich auf einem Sessel uns gegenüber nieder. „Also, was verschafft mir die Ehre?“, fragte er und schlug das eine Bein über das andere.

„Wir wollten nur sehen, ob es Ihnen gut geht“, erzählte Jace.

„Ich bin ein Vampir. Ich bin die unzerbrechlichste Spezies im ganzen Universum“, meinte der Arzt und lachte leise.

„Ja, mein Vater war das auch. Trotzdem: Ich vermute, dass uns irgendjemand ausrotten will. Und wir haben herausgefunden, dass diese Person hier in Detroit lebt. Deshalb wollten wir sehen, ob Sie noch am Leben sind“, erklärte Jace.

„Was, Julian ist tot?“ Richard verengte die Augen und runzelte die Stirn. Jace nickte. „Wisst ihr, Julian war ein guter Freund von mir“, erzählte der Mann vor uns und starrte auf seine Hände. „Es ist lange her, aber als wir jung waren, gab es noch viele Vampire. So viele, dass es sich noch lohnte, eine Schule zu errichten. Wir haben zusammen gelernt und uns unterstützt, als bei uns die Veränderung stattgefunden hat und wir zu Vampiren wurden. Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er nicht mehr bei uns ist.“ Nachdenklich blickte er zur Decke. Unsicher sah ich zu Jace, er zu mir.

„Na ja, jedenfalls sind wir jetzt auf der Suche nach dem Mörder“, sagte Cole.

„Das wird wohl nicht schwer. Hier in Detroit leben nicht mehr viele Leute. Das sieht man ja hier im Krankenhaus. Es gab Jahre, da hatte ich kaum Freizeit. Ich war rund um die Uhr bei meinen Patienten, auch nachts, aber jetzt? Das liegt nicht an mir, das liegt an den wenigen Kranken. An den wenigen Menschen.“ Er seufzte.

„Und an was arbeiten Sie?“, fragte ich und deutete auf die vielen Computer und den Technik-Kram, der auf den Tischen lag.

Seine Augen verengten sich augenblicklich. Er musterte mich scharf. „Ich arbeite an einem Serum, das für uns einen Blutersatz darstellen könnte“, antwortete er schließlich.

„Oh“, sagte ich, „das wäre toll.“

Einige Sekunden herrschte Schweigen.

„Na jedenfalls“, sagte Lorelay und stand auf, „müssen wir jetzt gehen. Wir wollen keine Zeit verschwenden, den Mörder zu finden.“ Damit ging sie zur Tür.

Ich hielt Cole, der ihr wie Jace und Linda nachgehen wollte, am Ärmel fest und raunte: „Geht schon mal vor. Ich komme euch gleich nach.“ Er sah mich zwar erst verwundert an, tat aber dann, um was ich gebeten hatte. Als die Tür zu war, waren nur noch Richard und ich im Raum. Er sah mich mit hochgezogener Augenbraue an und sagte nichts. Ich fühlte mich unwohl unter seinem stechenden Blick, aber ich musste diese dringende Frage stellen. „Wie schaffen Sie es, so gut die Kontrolle zu bewahren, dass Sie sogar Arzt sein können?“

Er ging zum Fenster und schaute mit verschränkten Armen nach draußen in den grauen Himmel. Ich trat neben ihn. Sein Profil war nahtlos perfekt. Eine gerade Nase, lange Wimpern und volle Lippen. Ich wartete lange, bis er endlich antwortete: „Menschliches Blut ist längst nicht mehr das, was mich befriedigt.“

Jetzt war ich verwirrt. „Was ist es dann?“

Er drehte den Kopf und sah mir direkt in die Augen. „Kannst du dir das nicht denken?“, fragte er, grinste und entblößte dabei seine Vampirzähne. Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich war mit einem Vampirblut trinkenden und dazu viel älteren und stärkeren Vampir, als ich, alleine in einem Raum. Und meinen Freunden hatte ich gesagt, sie sollten schon mal vorgehen.

Ich wich einen Schritt zurück. Das war ein Fehler. Er war ein Raubtier und Raubtiere jagten das, was flüchtete, weil sie daran Spaß hatten. Richard schoss auf mich zu und sein Schwung katapultierte uns beide bis an die Wand. Er drückte mich gegen diese, für mich gab es kein Entkommen. Seine Zähne waren ganz nah an meinem Hals. Ich hatte gar nicht bemerkt, wie ich um Hilfe schrie. Sein Zahn ritzte meine Haut und ich fühlte das Blut meinen Hals entlang rinnen.

Vielleicht sollte es so sein. Vielleicht war für keinen, nicht Jace, nicht Cole, nicht Elena, nicht Anna, nicht ich, für keinen eine schöne Zukunft vorgesehen und für manchen auch gar keine.

Gerade als ich mich damit abgefunden hatte, richtete er sich wieder auf. „Ich kann doch nicht die Tochter meines besten Freundes umbringen. Was wäre ich für ein Mensch?“, fragte er und lachte, doch das Lachen klang freudlos und trocken. „Du kannst froh sein, dass ich mich, was Vampirblut angeht ebenfalls kontrollieren kann“, meinte er und zog ein weißes Taschentuch hervor. Damit wischte er mir zärtlich über den Hals bis zu meinem Ausschnitt. Als er es wieder wegnahm, war es rot von Blut, von meinem Blut. „Ich würde mir nur Ärger mit deinen Freunden einhandeln und auch wenn sie gegen mich keine Chance haben, wäre es doch nicht mein Wunsch“, säuselte er. „Und jetzt geh!“

Das ließ ich mir nicht zweimal sagen. Als ich an der Tür angekommen war, rief er nochmal meinen Namen. Ich sollte weiterrennen. Möglichst schnell möglichst viel Abstand zwischen uns bringen, aber ich bleib stehen und drehte mich noch einmal um.

„Wenn man Vampirblut trinkt, macht einen Menschenblut nicht mehr an. Den Durst nach Vampirblut kann man ebenso trainieren. Du musst dich entscheiden. Menschenblut oder das der Vampire. Cole oder Jace.“

Ich starrte in seine schwarzen Augen und er starrte zurück. Dann drehte ich mich um und ging.

Tränen von BlutOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz