.ೃ࿐ Prolog

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NEIN!

Zuerst war es nur ein Gedanke in meinem Kopf, der in eben jener Millisekunde entstand, in welcher ich sah, wie Beomgyu mit wild rudernden Armen über Bord ging. Genauer gesagt, wie ihn jemand – ich konnte nicht erkennen wer es war – schlichtweg über das abgeflachte Heck des Bootes stieß. Ein einzelner angsterfüllter Schrei begleitete das sowie mehrstimmiges, lautes Gelächter.

Und womöglich wäre das ja noch nicht das Schlimmste gewesen. Immerhin war es ein Badeboot, mit einer Leiter, die ins Wasser reichte, um bequem wieder an Bord klettern zu können. Wenn man dem Jungen die Chance dazu gegeben hätte. Aber das Boot fuhr in dem Moment an, wo Beomgyu wieder auftauchte.

„Nein!", schrie ich dann. Ich wusste nicht, ob mich jemand auf dem Boot hörte und wenn, wäre es ihnen wohl egal gewesen. „Nein, nein, nein! Nicht! Er kann nicht schwimmen!!"

Aber das Boot mit der feiernden Partymeute an Bord, fuhr einfach weiter.

„Yeonjun!", rief Soobin und ich spürte, wie er meinen Arm streifte, aber da hatte ich den Rucksack mit meinen Strandzeug schon fallenlassen und war losgerannt.

„Was tust du?", rief er mir nach. „Du...!"

Das aufgeregte Rufen meiner Freunde hallte hinter mir her, aber ich achtete nicht mehr auf ihre Worte. Ich rannte nur. Jagte über den Steg. Kein einziger vernünftiger Gedanke in meinem Kopf. Mein Blick war auf den einen Punkt fixiert, wo man gerade noch das still und hilflos rudernde Etwas ausmachen konnte. Keine Hilfeschreie, natürlich nicht. Er blieb ja kaum lang genug über Wasser, um Luft zu holen. Auch kein wildes Planschen und um sich schlagen. Tatsächlich wirkte es, als versuche er verzweifelt zu schwimmen.

„Cookie!", brüllte ich jetzt, wedelte meinerseits wild mit den Armen, um irgendwen auf das aufmerksam zu machen, was dort passierte, aber niemand reagierte.

Warum nicht?!

Warum sah niemand, dass dort jemand um sein Leben kämpfte?!

Rief ich um Hilfe? Gut möglich. Schrie ich Leute an, an denen ich vorbeirannte? Denkbar. Die Wahrheit jedoch war, dass ich von diesem schrecklichen Moment nicht viel in Erinnerung behalten hatte.

Ich erinnerte mich vor allem an das Poltern meiner Schritte auf dem Steg. So gut, dass ich beinahe das Vibrieren der Holzbalken unter meinen Füßen, das sich auf meine Beine übertrug, spüren konnte. Und dass sein Kopf noch über Wasser gewesen war, als ich vom Ende des Stegs abgesprungen war.

Ich erinnerte mich nicht an das Schwimmen, nur dass es gefühlt ewig dauerte, um die Stelle zu erreichen. Und dass er untergegangen und nicht mehr aufgetaucht war, als ich keine fünf Meter von ihm entfernt war.

Ich tauchte. Mein Herz hämmerte wie wild in meiner Brust. Die Panik hatte mich fest im Griff. Aber auch hier spielte mir meine Erinnerung einen Streich. Denn in meinem Gedächtnis ist eine unendlich lange Zeitspanne verankert. Minuten, Stunden, die ich in der kalten Dunkelheit zubrachte, umgeben von einem Element, das mir plötzlich so abweisend vorkam.

Ewigkeiten, in denen ich mich unkontrolliert bewegte, träge um meine eigene Achse drehte, in dem dunklen Wasser. Unendlichkeiten, bis ich ihn entdeckte, ein regloser Schemen in all dem Schwarz.

Ich weiß noch, wie schwer es war, ihn an die Oberfläche zu bekommen und ich hatte keinerlei Erinnerung mehr daran, wie ich es mit dem reglosen Körper im Arm zurück an den Strand geschafft hatte. Aber alle Aufzeichnungen, die später von Polizei und Rettungskräften gemacht worden waren, sprachen davon, dass es nur wenige Minuten gewesen waren.

Den leblosen Körper aus dem Wasser zu bekommen, schien ein Ding der Unmöglichkeit. Wie oft hatte ich ihn hochgehoben diesen Sommer? Wie oft hatte ich ihn dabei Fliegengewicht genannt? Ich hatte sein Lachen noch im Ohr.

Und jetzt konnte ich ihn kaum bewegen, zitterten meine Arme, gaben meine Beine nach. Ich atmete so schwer, dass mein eigenes Keuchen alles andere übertönte. Die Stimmen ringsum ein einziges wildes Rauschen, das an- und abschwoll.

Heißer Sand unter meinen Knien. Das war der einprägsamste Kontrast. Denn der Körper, den ich aus dem Wasser gezogen hatte, war eiskalt, Beomgyus Gesicht so weiß, dass es wächsern wirkte. Seine Augen geschlossen, die Lippen blau.

Atmete er noch?

Ich beugte mich hinab und versuchte mich an das zu erinnern, was ich irgendwann während meiner Schulzeit gelernt hatte. Atmung überprüfen, Puls. Nichts, nichts. Atemwege kontrollieren.

Die Panik flutete meinen Körper und ließ mich wohl eher instinktiv handeln. Handeln und erneut in Hilflosigkeit aufschreien.

„Ich brauche hier Hilfe! Bitte!"

Aber irgendwas von dem, was ich tat, musste richtig gewesen sein, denn irgendwann, zwischen den unmenschlichen Anstrengungen, den verzweifelten Bemühungen, ruckte Beomgyus Kopf herum.

Wasser sprudelte aus seinem Mund, er hustete und erbrach einen weiteren Schwall Wasser.

Ansatzlos brach ich in Tränen aus.

.ೃ࿐ ❤

Lover = LoserWhere stories live. Discover now