Wieder erklang der Text des mir unbekannten Liedes eines unbekannten Sängers aus einem unbekannten kleinen Kasten, den die mir unbekannten Schüler unbekannterweise Smartphone nannten. Es war mir viel zu viel unbekannt, doch wenn ich fragte, lachten sie mich nur aus und erklärten mir etwas über ein W-Land und ähnliche Sachen, die  jemand hier eingebaut hätte. Zu meiner Zeit hätte die Schulleitung etwas dagegen gemacht, doch Minerva konnte es nicht. Längst ging sie am Stock und versuchte ihre brüchige Stimme noch immer stark klingen zu lassen. 

Es regnete. Nein, es floss Wasser vom Himmel hinab und es würde so schnell nicht mehr aufhören. Vorsichtig ließ ich mich neben Minerva sinken, die auf dem Boden kauerte, direkt neben ihr ihre Frau. Es gab eine kurze Zeit, als ich die beiden zusammen nicht akzeptieren wollte, doch nun war es anders. Es war Liebe gewesen, dessen war ich mir sicher. Und meine beste Freundin nach all den Jahren so leiden zu sehen, brach mir das Herz. 

"Es tut mir so leid ...", flüsterte ich und legte einen Arm um sie. Ich wusste, dass Worte nichts ändern würden, doch ich hatte diesen Drang, mich zu entschuldigen, nachdem ich monatelang versucht hatte, sie von Sybill zu trennen. Es war kein halbes Jahr seit ihrer Hochzeit vergangen und trotz allem hatte mich Minerva damals als Trauzeugen gewählt. Viele wären aber nicht übrig geblieben, denn damals waren außer den beiden Frauen und mir niemand mehr in etwa unserem Alter da gewesen. 

Minerva antwortete nicht, sondern beugte sich nach vorne und strich ihrer Frau über die Wange. Ich selbst konnte kaum hinsehen, so schrecklich sah alles aus. Einer dieser halbrunden Kästen, die die Menschen immer benutzten, war über sie gerollt. Es war einfach grauenhaft, dass ihr das passiert war. Sie verdiente so etwas doch nicht! Sie hatte doch nichts getan! 

Ich wollte mich umdrehen und gehen, so übel wurde mir von alle dem, doch ich konnte Minerva nicht im Stich lassen. Nachdem sie sich all die Jahrzehnte lang für mich eingesetzt hatte, musste ich nun für sie da sein. Wer war denn sonst noch da? Es gab keinen mehr, den wir wirklich kannten. Nein, ich durfte sie nicht allein lassen. 

Eine Stunde später waren alle anderen gegangen. Alle Lehrer, die kurz vorbeigeschaut hatten, um ihr Mitleid auszusprechen und auch alle Schüler, von denen viele sich über den Tod der allseits verhassten Lehrerin freuten. Und dabei war sie doch immer eine Seele von Mensch gewesen! Sybill hatte doch immer nur das getan, was sie für richtig gehalten hatte! Wieso nur gab es niemanden außer uns beiden, die wir hier saßen, der auch nur etwas für sie empfand? Wieso waren alle nur so kaltherzig? 

Mittlerweile war auch Sybill weg. Man hatte sie abtransportiert, obwohl ich es ihnen verboten habe. Sie hatten so getan, als wäre sie nur ein Stein, der im Weg lag. Man hatte die Stelle abgesperrt und die Kästen fuhren weiter. 

Nicht einmal der Kerl, der sie getötet hatte, war noch da. "Ich trage keine Schuld daran! Die Olle stand plötzlich auf der Straße!" Noch genau erinnere ich mich an seine Worte. Keine Schuld ... als ob. Selbst ich, der es kaum ertragen konnte, wenn irgendein Tier verletzt worden war, wollte ihn in diesem Moment zusammenschlagen. Ich wollte ihm sein Gesicht zertrümmern, wie ich es bisher nur bei Du-weißt-schon-wem gewollt habe. Ja, genauso sehr hasste ich ihn. Hätte sich nicht Minerva an meinem Arm festgeklammert, als gäbe es sonst keinen Halt in der Welt, hätte ich es tatsächlich getan. Doch auch das hätte Minervas große Liebe nicht zurück in diese Welt gebracht. 

Plötzlich begann sie zu schluchzen. Ich hatte Minerva noch niemals vorher weinen gesehen, doch jetzt tat sie es. Sie krampfte sich zusammen und starrte immer noch auf die eine Stelle, wo ... Ich schluckte. Wieso war das nur passiert? Wieso so etwas? Wieso überhaupt? Wieso? 

"Ich bin da. Ich bin da für dich", flüsterte ich leise, auch wenn ich nicht wusste, weshalb. 

Als ob es eine Antwort wäre, klammerte sie sich noch stärker an meinem Arm fest. Sanft strich ich ihr über den Kopf. Die Menschen um uns herum starrten und schüttelten ihre Köpfe, doch ich ignorierte sie. Auch wenn sie mir auf den Mantel traten, tat ich gar nichts, obwohl es ein Leichtes wäre, sie mit einem Stupser bis an die Hauswand fliegen zu lassen. Doch das war nun nicht wichtig. Sybill war tot, Minerva vollkommen verzweifelt. Und es war meine Schuld. Nur meine Schuld. 

Durchnässt saßen wir noch den gesamten Tag bis in die Nacht hinein dort. Längst war das Blut fortgeschwemmt worden, doch es war, als wäre Sybill immer noch da. Dann, nach Stunden, rührte sich Minerva wieder. 

Als wäre nie etwas geschehen, ließ sie meinen Arm los und stand auf. Ihr Blick streifte den meinen und ihre Augen wirkten leer und tot. "Es ist Zeit zu gehen." Es war nicht mehr als ein Flüstern, das sie mit ihrer tränenerstickten Stimme zustande brachte. Gestern noch hatte sie in meiner Hütte gesessen und gelacht - doch nun schien jeder Lebenswille aus ihr verschwunden zu sein. Sie wirkte, als wäre sie an diesem einen Tag ein halbes Jahrhundert gealtert. Meine ehemalige Lehrerin und danach beste und längste Freundin bis heute noch war wie verschwunden und dageblieben war nur noch eine Hülle, die nur da war und sonst nichts. 

"Hallo!", rief jemand von der anderen Seite des Saals. Das Mädchen hatte das typische Gesicht einen Weasleys, wenn sie auch einen grünen Mantel trug. An ihrer Seite lief ein kleiner, dicker Junge, der mir seltsam bekannt vorkam. Wer waren sie nur? 

"Ich bin es, Molly Severa Snape-Weasley! Erkennst du mich nicht mehr?" Das kleine Mädchen grinste mich an. 

Natürlich, sie war es! Wie konnte ich das nur vergessen? Die Tochter von der wunderbaren Ginny und Professor Snape, wobei die junge Weasley damals durchaus bessere Entscheidungen in der Männerwahl hätte treffen können. Viele Möglichkeiten hatte es damals aber leider nicht gegeben, nachdem beinahe alle ihres Jahrgangs und der darüber in der großen Schlacht gestorben waren. Nun, vielleicht sollte ich es einfach akzeptieren. Besser als an die Zeit zurückdenken zu müssen, war es allemal. Wenigstens hat sie ihrer Tochter als Erstnamen den ihrer Mutter gegeben, was wenigstens das Andenken an ihre Familie aufrecht hält. 

"Natürlich, natürlich. Und du bist ...", wandte ich mich an den dicken Bengel. 

"Vernon. Vernon Dursley. Und diese heiße Schnecke hier ist meine Freundin." Er beugte sich zu ihr herüber und küsste sie, woraufhin ich mich angeekelt abwandte. Vielleicht sollte ich ihm auch einen Schweineschwanz zaubern? Leider war es mir nicht möglich, den schon seit Jahren fand ich meinen Regenschirm nicht wieder. 

"I still see your shadows in my room

Can't take back the love that I gave you

It's to the point where I love and I hate you

And I cannot change you, so I must replace you, oh

Easier said than done, I thought you were the one

Listenin' to my heart instead of my head

You found another one, but I am the better one

I won't let you forget me" 

Wieder dröhnte das Lied von vorne durch die Halle. Aus den Augenwinkeln bemerkte ich Minerva, wie sie sich in die Mitte der Lehrertafel stellt und ihren Kelch erhob. Die weihnachtliche Ansprache würde wenigstens nicht ausfallen, immerhin etwas. Auch wenn ich besorgt war, ob sie dieses Fest durchstehen würde, denn schon aus der Entfernung sah ich ihre  Hand zittern und die Flüssigkeit quer über den Tisch schwappen. 

Es wurde ruhig im Saal, jemand stellte die Musik ab und viele setzten sich. Gespannt wartete ich auf ihre Ankündigung, als sie plötzlich in sich zusammenbrach. 

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Und Schnitt! Den zweiten Teil gibt es gleich im Anschluss, denn dieser ist schon 1.800 Worte lang. 


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