Bücher über Bücher

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Der Geruch von Büchern stieg ihr in die Nase. Altes, bedrucktes Papier. Wie viele Seiten in diesem Großen Saal doch platz fanden. 

Wenn man sich manche Bücher ansah: groß, schwer und dick. Alt und zerfleddert. Oder neu und dünn. 

Und obwohl in diesem Moment so viele Buchtitel auf sie einprasselten. Obwohl Milliarden von Wörtern auf sie hinunterregneten, war sie doch irgendwie einsam. 

So hatte sie sich noch nie hier gefühlt, aber irgendwie schienen die Bücherregale plötzlich zu überfüllt. Zu voll um noch ein weiteres Buch tragen zu können. Sie schienen verlassen, die Gänge der Stadtbibliothek. Zu leer und gleichzeitig zu voll, zu einsam und gleichzeitig wie einzelne Geschichten, die alle erzählt werden wollten. 

Hazel Brown war noch nie ein Mädchen gewesen, dass viele Worte noch Gedanken für Menschen überhatte. Sie war nie abweisend gegenüber anderen Personen gewesen, hatte aber auch ungerne ein Gespräch begonnen, vor allem weil sie fürchtete, sie würde was Falsches sagen. Lieber verkroch sie sich den ganzen Tag in ihrem Zimmer, oder in der Bibliothek um zu lesen. 

Eigentlich las sie alles. Von Komödien über Fantasy zu Romancen. Von Horror (wobei sie sich hier eher zurücknahm, da sie deswegen schon so viele Albträume gehabt hatte) zu Krimi. Alles war dabei, und wenn sie wieder einmal mit einem neun Buch zuhause aufkreuzte, war es allererst ihr Bruder, der stöhnte: "Schon wieder ein Buch? Nicht dein Ernst Hazel? Du wirst doch sonst irgendwas zu tun haben!" 

Aber jetzt war es nicht hier, und sie verrenkte sich den Kopf am Regal auf und abschauen, denn es waren so viele Bücher hier drin und sie suchte immer noch das Perfekte. Nun war sie schon seit zwei Jahren auf der Sucher nach der perfekten Lektüre für sie, und sie hatte noch nicht mal die halbe Bücherei durch. 

Sie war komplett allein hier drin, nur die Bibliothekarin Mrs. Miller war noch da, aber die saß am anderen Ende der Halle und Hazel konnte sie somit nicht sehen. 

Das Mädchen sog noch einmal den Duft der Papierseiten und des Bucheinbandes tief in sich hinein und setzte ihren Weg fort. Die hellblauen Augen weiterhin fest auf die Buchrücken gehaftet und jedes noch so kleine Wort, das darauf stand, lesend. 

Bis sie an einem besonders dicken Exemplar, mit schwarzem Einband und blutroter Aufschrift vorbei kam, das sofort ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. 

"Ein Fluch, eine Familie, ein Schloss und ein Mord. Oder mehr?", las sie laut und etwas kratzig vor. 

Dann hörte sie eine zuckersüße Stimme von der Richtung, in der das Pult der Bibliothekarin stand rufen: "Ich bin mir nicht sicher, ob das was für dich ist, Liebes. Ich hatte schon Erwachsene, die es mir zurückgaben, bevor sie das Ende kannten. Es soll sooooo gruselig sein!" 

"Danke, für Ihre Meinung, Mrs Miller!", antwortete Hazel halb ironisch. Sie entschied, sich erst einmal selbst einen Eindruck machen zu wollen. 

Als das Buch aufgeschlagen auf einem der Tische im Herzen des Raumes lag und die Blonde gespannt zu lesen begann, kroch eine leichte Gänsehaut ihre Arme hinauf. Sie war gespannt, was dieses Buch bringen würde. 

Abends, wenn die Sonne untergeht, geschehen merkwürdige Dinge hier, sagen die Einwohner des kleinen Dorfes. Einige meinten, sie hätten es mit eigenen Augen gesehen. Das Grauen, dass über diesem Grundstück lag. Den Schrecken, den es verbreitete. Das was sich dort versteckte. Sie glaubten noch an den Fluch der vor Jahrzehnten über dieses Schlösschen gelegt wurde. An das, was darin vor sich gehen sollte. 

Oder sie wurden für verrückt erklärt. Ja, das konnte einem auch passieren, wenn man zu abstruse Theorien aufstellte und sie dann überall herumposaunte. 

So ging es auch dem Jungen Marcus, einem kleinen Bauernjungen, der nicht weit vom allseits bekannten Schloss entfernt, mit seiner Mutter wohnte. 

Also so schlimm klang das jetzt auch nicht, dachte Hazel. Sie war nicht so begeistert vom Anfang, es gab bessere. Aber wie jedes Buch, zog auch dieses sie in ihren Bann, sie wollte doch wissen, was dort drin, in diesem verrückten Schloss vor sich ging, auch wenn es alles nur Quatsch war. Aber immerhin hatte das Buch, sie schlug nach, 752 Seiten und auf denen musste doch irgendwas zu lesen sein! 

Und so schlug sie das Buch wieder zu und stopfte es in ihre riesige Büchertasche. 

Sie ging weiter, nahm Bücher aus den uralten Regalen, las den Klappentext und stellte sie zurück. Oder sie steckte sie in die Umhängetasche. 

Sie bekam gar nicht mit, wie die alte Bibliothekarin vorne mit jemandem redete, zu sehr war sie vertieft in ihre Buchwelt. 

Erst als sie ein Buch, das 'Die zauberhafte Geschichte der Zauberei' zurück in das Regal stellte, sich um drehen und die nächste Reihe inspizieren wollte, bekam sie mit, dass sie nicht mehr alleine war. Ein Junge, etwa gleichalt wie sie, stand vor ihr und hielt ihr ein Buch hin. 

"Suchst du vielleicht das?", fragte er grinsend. 

Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Sie schaute nicht einmal auf das Buch hinab, um den Titel zu lesen, sondern weiter starr in sein Gesicht. Sie kam sich plötzlich ziemlich doof vor, wie sie da so stand, seit ca. zwei Stunden und ihrer Schuluniform, obwohl es bald Abend wurde. 

Er trug keine Uniform, sondern einen schwarzen Hoodie, sowie schwarze Jeans. Ihr Mund wurde auf einmal staubtrocken. Dass so jemand wie er in eine Bibliothek ging, konnte sie sich fast nicht vorstellen. 

Mit einem Mal wurde ihr bewusst, dass sie jetzt schon satte 3 Minuten in seine braungrünen Augen starrte, und das langsam wirklich peinlich wurde. Sie senkte schnell und errötend den Blick auf das Buch, dass er ihr hinhielt. 

Es war ein Buch, dass sie noch nie hier drin gesehen hatte, mit mitternachtsblauem Einband, goldener, geschwungenere Aufschrift und auf dem ganzen Einband waren goldene Sterne eingeprägt. 

"Der Sternenhimmel", las sie laut lächelnd vor. 

Langsam schaute sie wieder zu dem Typen, der um die sechzehn war, auf und fragte interessiert: "Woher hast du das?" 

"Da hinten", er zeigte in die letzte Reihe, "Es ist ganz oben gestanden. Es ist wirklich ein super Buch!" 

Sie strich eine ihrer blonden Haarsträhnen weg und sagte lächelnd: "Danke!... Ich hab dich noch nie hier gesehen,..." 

"Alex." 

"Hazel."

"Ich weiß, ich war schon oft da, aber du warst glaub ich immer zu tief in deinem Büchern versunken!" 

"Woher..." 

"Mrs. Miller!" 

"Okay...?!", sie war etwas überfordert mit der Situation, da ihr Herz nun doppelt so schnell schlug, wie es eigentlich sollte. 

"Komm mal mit, ich zeig dir ein paar Bücher, sie ich besonders gut finde!", ohne auf ihre Antwort zu warten, zog er sie voll Euphorie, weiter. 

Als sie zwischen zwei Regalen nach dem Bibliothekars-Pult Ausschau hielt, sah sie die alte, grauhaarige Mrs. Miller zu ihnen herüberlächeln, mit den Lippen formte sie ein leises "Endlich." 



eisbaerlady 

Wettbewerbs Abgaben - random StuffWhere stories live. Discover now