XI. Sing, kleine Schwalbe, von den Feuern an Mittwinter

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Chaja konnte ihre Worte nicht hören, aber das Starren auf sich spüren – finster und grimmig zwischen den fröhlichen Gesichtern der anderen –, während Majda mit ihr durch den Raum wirbelte, anmutiger denn je. Selbst als sie mit Mladen tanzte, bemerkte Chaja, dass sie durch ihn hindurchsah. Stattdessen flogen die Blicke ihrer honigfarbenen Augen quer durch den Raum zu dem hochgewachsenen Soldaten, der sie ruhig von der Seite des Priesters aus beobachtete wie ein Wachhund zu Füßen seines Herrn.

Mladens ganze zerbrechliche Hoffnung wurde auf ein Spiel verschwendet, in dem er nicht einmal einen Mitspieler, sondern, wenn überhaupt, nur ein Mittel zum Zweck darstellte, und sie zerbröckelte mit jeder Sekunde und verwandelte sich in blanken Hass auf den blonden Soldaten. Chaja warf Majda einen verwirrten Blick zu und unterdrückte den Drang, sich zwischen sie und Kazminov zu stellen, denn sie spürte, dass es ihr nicht zu stand, sich einzumischen.

„Ich werde sie retten", flüsterte Majda und ihr Gesicht nahm für einen kurzen Moment den Ausdruck unerbittlicher Entschlossenheit an.

Mittwinter wurde zu Mittsommer, als Röcke und Zöpfe im schummrigen Licht des Feuers flogen und von Met benetzte Lippen das Haus mit Lachen und Gesang erfüllten. Sie alle waren trunken von dieser surrealen Glückseligkeit.

Es fühlte sich wie Wahnsinn an und ganz Lasow beobachtete sie dabei. Nein, nicht sie, sondern Majda. Sie allein. Vor ihren Augen verwandelte sie sich in eine Rusalka, die Jünglinge in ihren Tod lockte. Jede ihrer Bewegungen zog sie in ihren Bann und ihre Stimme, die mit so herzzerreißender Traurigkeit geschmückt war, als würde das alte Volkslied von ihrem eigenen Schicksal erzählen, verzauberte sie.

„Sing, kleine Schwalbe
Die Blumen blühen auf der Heide
Sing, kleine Schwalbe
Die Sonne macht golden die Felder
Flieg, kleine Schwalbe
Schon bedeckt der Schnee das Land
Nimm mit meinen Lieben in dein Reich
Flieg, kleine Schwalbe
Lass seine Seele mit dir ziehen
Und sing ihm, sing ihm, mein Lied."

Davors kalte Augen wichen von Majda nicht ein einziges Mal. Sie bohrten sich in sie wie eisiges Feuer. Wie ein Wolf, der seine Beute beobachtet. Und er beruhigte sie mit höflicher Gewandtheit und leise in der Dunkelheit geflüsterten „lastotschka"s, um seine Zähne dann im Fleisch zu versenken, wenn man es am wenigsten erwartete.

Aber diese Beute hatte ihre eigenen scharfen Krallen. Als Majda spät in der Nacht neben Chaja einschlief, tat sie es mit dem Lächeln eines Raubtiers, das frisches Blut auf den Lippen schmeckte.

Nur ein einziges Augenpaar, unter all den vielen anderen, fühlte Chaja den ganzen Abend über ausschließlich auf sich ruhen. Es leuchtete aus den dichten Schatten in der Ecke des Raumes.

Nach den Worten des Priesters hätten die Einwohner von Lasow vielleicht erwartet, dass die Welt an diesem Karatschun-Tag untergehen würde. Wie um ihrer Angst und ihren eifrigen Vorbereitungen – Symbole von Svet, Kräuter und Gebete, um böse Geister zu vertreiben, und gesegnete Waffen und ein Scheiterhaufen, um die Kreaturen der Dunkelheit zu vernichten – zu spotten, brach die Morgendämmerung friedlich an und die Abenddämmerung ebenso. Die Nacht kam auf sanften Schwingen.

Chaja konnte sich nur fragen, ob das Holz, das sie gesammelt und aufgeschichtet hatten, für sie bestimmt war. Aber obwohl er sie eindeutig für eine Hexe hielt, schwieg Davor Kazminov darüber und das tat er auch über ihr Gespräch auf dem Friedhof.

Ihn befreien? Wovon? Ein heimlicher Verdacht machte sich in ihr breit. Doch Chaja verscheuchte ihn wie alle anderen. Es war schließlich doch unmöglich. Nur so viel erlaubte sie sich zu denken: Wenn Davor und dieser Schatten – vielleicht Karatschun selbst – Recht hatten und sie wirklich eine Hexe war, dann würde sie nicht zögern, diese Ketten in eine Waffe zu verwandeln, den Fluch in einen Segen, wenn es darum ging, dem Todesgott gegenüberzutreten.

Vom Tode unberührtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt