Der Mann auf meinem Dach

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Leere. Ich fühlte mich leer. Verlassen. Gedemütigt. So wie jede Nacht meines Lebens. Ich erinnerte mich nicht daran, wann man mich das letzte Mal gefragt hatte, wie es mir ging. Es interessierte niemanden. Niemand sah meinen Wert. Niemand wollte es. Was war ich auch? Ein Sklave. Eine Kurtisane. Eine Hure, wenn man es denn so benennen vermag.

Meine Augen wanderten durch mein Zimmer, meinem Spiegel meiner Schandtaten. Mein Fenster war offen und erlaubte der warmen Sommernacht seinen lieblichen Duft zu verbreiten. Die Gardinen um den dunklen Fensterrahmen wankten sanft im Wind. Sie versuchten mich zu besänftigen. Versuchten nach mir zu greifen. Mich in den Arm zu nehmen.


Langsam stand ich auf und schlurfte zum Fenster. Das Vergnügen meines vorherigen Besuches rann an meinem nackten Bein entlang, auf der Suche nach einem Halt. Etwas, was es aufhielt. Doch ich ließ es zu. Sollte es doch bis zum Boden fließen. Eine Spur auf der innen Seite meiner Schenkel hinterlassen. Es war egal. Ein anderer würde mich noch diese Nacht beflecken. Schande über mich bringen.

Behutsam lehnte ich meinen unbekleideten Körper ans Fensterbrett. Die Kühle des Holzes schlängelte sich durch meinen Körper und hinterließ jene Stellen mit einer Gänsehaut. Ein leises Seufzen entfloh mir. Nur noch ein paar Stunden. Dann war im Freudenviertel Ruhe eingekehrt. Doch diese Stunden legten sich wie Bleiketten an meinen Körper. Sie hielten mich an Ort und Stelle. Ein trauriges Leben. Ein freudloses. Schon komisch, ich lebte an dem Ort, an dem sich der meiste Spaß sammelte. Dennoch war es die Hölle auf Erden. Zumindest für jemanden wie mich. Jemand, der den Trieben des stärkeren Geschlechts nachgehen musste. Das Geschlecht, welches damit prahlte, sich an den schönsten Frauen zu vergehen. Zumindest in diesem Viertel.

Meine Irden wanderten weiter zum Nachthimmel. Eine wundervolle wolkenlose Nacht breitete sich über mir aus. Kleine glitzernde Punkte erstreckten sich über das endlose Dunkel und brachten eine unvorstellbare Schönheit in mein Leben. Sie waren jedoch nichts im Vergleich zur unerreichbaren Anmut des Mondes. Heute strahlte er in seiner vollen Pracht, in seiner vollen Größe. Eine kalte Ruhe umspielte seine Rundung. Wachsam. Er herrschte über den Nachthimmel. Beobachtete alles, was sich hier bei uns abspielte. Wer wann welches Zimmer betrat. Wer wen befleckte. Wer starb. Wir waren bedeutungslose Wesen auf dieser Welt. Das stellte die runde kalte Eleganz jede Nacht zur Darbietung.


Ich wendete mich vom Mond ab. Mein Kopf reckte sich weiter aus dem Fenster und versuchte einen Blick auf das Dach zu erhaschen. Nacht um Nacht stand ich an diesem Fenster und schaute auf das Dach. Und Nacht um Nacht saß ein junger Mann dort oben und beobachtete die nächtliche Schönheit. Er sagte nichts. Bewegte sich nicht. Schenkte mir keine Aufmerksamkeit, obwohl ich mir sicher war, dass er meine Blicke spürte.

Auch in dieser Nacht saß er wieder an seinem Platz. Sein linkes Bein pendelte sanft im Wind, während er das andere anwinkelte und seinen Arm entspannt auf jenem Knie bettete. Seine Irden fixierten den Mond. Sie durchstachen ihn förmlich. Er blinzelte nicht einmal. Ich wusste nicht, wer er war oder warum er dort saß, aber diese Beständigkeit empfand ich sehr angenehm. Er berührte mich nicht. Brachte keine Schande über mich. Er war da. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass er mir in den dunklen Stunden Gesellschaft leistete. Ich wagte es nicht, ihn anzusprechen. Zu fragen, was er dort tat. Er sollte nicht gehen. Wir kannten uns nicht und doch fühlte ich eine Verbindung. Eine Verbindung, die undefinierbarer nicht sein konnte. Eine Faszination, die ich nicht in Worte fassen konnte. Seine Ausstrahlung. Sein Aussehen.

Ein junger Mann, vielleicht sogar so alt wie ich. Haut, so hell wie das leuchten der Sterne. Kein Sonnenlicht vermochte diese mit ihren warmen Strahlen zu küssen. Je angerührt zu haben. Dunkelblaue Bemalungen zierten seine doch fast grünlich schimmernde Haut. Eine dieser Linien durch zog sein Gesicht von der Mitte seines pinken Haaransatzes bis zu seinem Nasenrücken. Zwei weitere Bemalungen verliefen um seinen Hals wie Ketten. Die untere der beiden Halsbemalungen verzweigte sich zu weiteren drei Linien, welche sich ihren Weg zu seinem muskulösen Oberkörper bahnten. Weiter konnte ich den Linien, wegen meiner unvorteilhaften Position, nicht folgen.

Hiraeth || Akaza x OCWhere stories live. Discover now