Das Haus der Keuschheit

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„In deine Hände befehlen wir unseren Geist. Du hast uns erlöst, Herr, du treuer Gott. Bewahre uns in dieser Nacht nach deiner Gnade, beschirme uns unter dem Schatten deiner Flügel."

Mein Körper entspannte sich langsam, ich kämpfte weniger gegen meinen ungebetenen Gast und spürte die Erschöpfung durch meine Grübelei und die Widerstandsversuche der letzten Stunden, Tage, Wochen? Jedenfalls lauschte ich den Worten nur halbherzig und wollte sogar kurz die Augen schließen, als plötzlich ein alarmiertes Zittern durch meinen Körper lief. Erst Sekunden später verstand ich, dass es nicht meine Sorge war, die ich spürte, sondern dass der Engel in mir eine Gefahr wahrnahm. 

Dann war ein ohrenbetäubend lautes Klopfen an der Tür zu vernehmen und zeigte deutlich, dass jemand nach Einlass verlangte. Der Abt verstummte in seinem Gebet und blickte zur Kirchenpforte. Dann löste er sich aus seiner Starre, wollte bereits zur Tür eilen, um diese zu öffnen, als ich aufsprang und der Engel in mir die Stimme erhob.

„Lasst ihn nicht ein. Der Teufel steht vor der Tür und wird das Unglück in diese heilige Stätte tragen." 

Als wolle derjenige vor der Tür diese Worte bestätigen, rüttelte er nun heftig an der massiven Holzpforte und ein wütendes Schnauben war zu vernehmen. Ein gelblicher Schein drang durch den unteren Türspalt und dann quoll dichter gelber Rauch in den Raum.

Nun wichen selbst die Ordensbrüder soweit es ging vom Eingang zurück, bekreuzigten sich unablässig und begannen zu beten. Ihre Stimmen wurden immer schneller, verzweifelter und genauso wurde das Rütteln an der Kirchentür schlimmer. Beim nächsten kräftigen Ruck riss das Schloss aus den Angeln und die Tür wurde aufgestoßen.

Ich erstarrte, ebenso wie es der Engel tat.

Eine teuflische Gestalt trat in den Mittelgang und der gelbe Rauch löste sich langsam auf. Die Augen des infernalen Wesens waren immer noch strahlend gelb und scannten den Raum. Sogleich trafen sie auf meine Augen und diesmal erschrak ich. Nicht so sehr, weil ich Chan endlich wiedersah oder mir der gelbe Rauch Angst machte, sondern weil ich zum ersten Mal sein wahres Ich sehen konnte. Seine höllische Gestalt, die er mir bisher nie offenbart hatte. 

Ich war mir darüber bewusst, dass der Engel in mir momentan meine Sicht für das Dämonische  schärfte. Ich sah mehr, als mir lieb war und gleichzeitig wollte ich diesen Teil von Asmodeus nicht leugnen. Der Dämon, der jetzt in der Kapelle stand und ganz sicher nicht hierher gehörte, war viel größer als der Chan, den ich kannte. War er sonst schon muskulös und äußerst gut gebaut, so schienen sich diese Attribute nun geradezu potenziert zu haben. Er ragte hünenhaft zwischen den Menschen auf und seine Schultern oder allgemein sein Körper war wesentlich breiter und von Muskeln bedeckt. Am erschreckendsten für mich - oder auch den Engel - war sein Gesicht, das zunächst noch im Schatten gelegen hatte. Aber als er nun seinen dunklen Lockenschopf hob, waren die gewundenen Hörner kaum zu übersehen. Sie waren wie bei einem Widder, gedrungen, eng gewunden und mit spitzen Enden versehen, die bedrohlich nach vorn ragten.

Er betrachtete mich weiterhin, doch als der Abt die Hände hob und den Herren im Himmel anflehte, ihm die Kraft zu geben, diesen Teufel auszumerzen, richtete er seine Aufmerksamkeit widerwillig auf die Mönche.

„Zu dir komme ich gleich, Seungmin", sprach er mit rauchiger Stimme und die gelben Augen schienen einen Lichtstreifen zu hinterlassen, als der gehörnte Kopf sich nun in einer fließenden Bewegung zu den verbleibenden Menschen in dieser heiligen Stätte umwandte. Ein überlegenes Grinsen trat auf die Gesichtszüge des Höllenprinzen, als die Ordensbrüder nur noch eindringlicher um die Erlösung von dieser biblischen Plage baten. 

Seine Lippen kräuselten sich, als einer der Männer sogar versuchte, ihn mit Weihwasser zu besprenkeln. Dort wo das gesegnete Wasser seinen Körper berührte, stiegen kleine dunkle Dampfschwaden auf, doch dies schien Asmodeus nicht wirklich zu beeindrucken. Stattdessen streckte er die Hand aus, als wolle er sie jemandem zum Gruß reichen.

Dancing with Demons 2. TeilWo Geschichten leben. Entdecke jetzt