Achselzuckend verschwindet Oma im Flur und ich höre, wie sie die Haustür öffnet. Das darauffolgende Gemurmel verstehe ich jedoch nicht, da im selben Moment Königin Gunnhild unterm Tisch an einem Fellknäuel zu ersticken droht. Ihre verstörenden Geräusche, die sie von sich gibt, übertönen die Stimmen meiner Großmutter und des unangemeldeten Besuchers.

Vorsichtshalber werfe ich einen Blick unter den Tisch, nur um Sekunden später angewidert das Gesicht zu verziehen. Glücklicherweise ist Königin Gunnhild nicht erstickt, dafür hat sie das Fellknäuel zusammen mit ihrer morgendlichen Futterration auf den Teppich gespuckt. Hoffentlich erwartet Oma nicht von mir, dass ich die Sauerei wegmache.

„Jonatan, du hast Besuch", vernehme ich ihre Stimme direkt über mir und ich schrecke hoch, wobei ich mit dem Hinterkopf hart gegen die Tischkante knalle. Autsch.

Umständlich rapple ich mich auf. Im ersten Moment sehe ich noch Sterne, aber sobald sie verschwinden, trifft mich fast der Schlag. „Gigi!", keuche ich entgeistert, als ich den dunkelhaarigen, untersetzen Mann neben meiner Großmutter im Türrahmen entdecke. „Was, verdammt nochmal, machst du hier?"

„Das fragst du mich?", kontert mein Berater auf Englisch, allerdings mit unverkennbarem italienischem Akzent. „Du bist seit Wochen abgetaucht, keiner weiß, wo du steckst und jetzt kommst du mir so? Wie siehst du überhaupt aus, du stronzo? Erklär mir das, ma subito!"

„Ähm ..." Zum ersten Mal, seit ich vorhin aufgestanden bin, schaue ich an mir herunter. Peinlich berührt stelle ich fest, dass ich nur eine Unterhose und darüber Omas geblümten Morgenmantel trage, der mir nicht einmal bis zu den Kniekehlen reicht. Vage erinnere ich mich daran, wie ich gestern Abend ins Badezimmer getorkelt bin, meine stinkenden Klamotten abgelegt und stattdessen den Mantel angezogen habe, der zufällig dort herumlag.

„Entschuldigung, dass ich mich einmische", meldet sich meine Großmutter betont höflich zu Wort. „Aber darf ich Ihnen vielleicht etwas anbieten, Signor Donatelli? Kaffee? Tee?"

„Ein Grappa wäre nicht schlecht", antwortet Gigi, der mich immer noch ungläubig mustert und dabei den Kopf schüttelt. Mein Anblick scheint ihn dezent zu überfordern. Verständlich, denn neben Omas Morgenmantel trage ich auch nach wie vor Alfred, den Teddybären mit mir herum.

„Damit kann ich leider nicht dienen", meint Oma bedauernd. „Wie wär's mit Met, als Alternative?" Genau wie Gigi verschwendet sie offenbar keinen Gedanken daran, dass der Vormittag noch ziemlich jung ist.

„Sehr gerne. Grazie, Signora", erwidert mein Berater dankbar und setzt sich an den Tisch, ohne auf eine Einladung zu warten. Vor lauter Stress nimmt er seine Brille ab und beginnt, sie äußerst rabiat mit einem Taschentuch zu putzen. Dabei murmelt er leise italienische Worte vor sich hin, die sich nicht besonders freundlich anhören.

„Woher wusstest du, dass ich hier bin?", frage ich vorsichtig, während das Skolebrød in meinem Magen rumort. Ob es am Kater liegt oder am Schock über Gigis Auftauchen, vermag ich nicht zu sagen.

„Erst mal wusste ich gar nichts!", schnarrt er ungehalten und setzt seine Brille wieder auf. Seine Augen funkeln hinter den frisch polierten Gläsern. „Du bist ja einfach von heute auf morgen abgehauen ohne ein Wort. Ich habe bestimmt mit tausend Leuten gesprochen und telefoniert, bis Rui mir erzählt hat, dass ihr an dem Abend nach Bergen geflogen seid."

„Rui?", wiederhole ich stirnrunzelnd, weil ich den Namen gerade zum ersten Mal höre. „Wer ist denn das?"

„Na, wer wohl?", poltert Gigi los und erschreckt damit Königin Gunnhild, die trotz ihres dicken Bauches flink wie ein Wiesel die Treppe hochflitzt. „Der Pilot natürlich! Oder saß außer euch etwa noch jemand in diesem verdammten Flugzeug?"

Wortlos schüttele ich den Kopf und sehe zu, wie Oma unserem Gast einen Krug Met reicht, den dieser prompt zur Hälfte leert. „Mi piace", stellt er positiv überrascht fest und fährt sich mit der Zungenspitze über die Lippen. „Um auf deine Frage zurückzukommen: Mir war klar, dass du dich nicht bei deinen Eltern verstecken würdest. Deswegen habe ich es hier probiert. Du hast mir ja oft genug von deiner Großmutter in Knarvik erzählt. Ich muss zugeben, es gibt schlimmere Orte, um unterzutauchen."

In dem Moment, als er meine Eltern erwähnt, spucke ich ihm beinahe meinen Ingwertee ins Gesicht. „Du hast ihnen doch nichts verraten, oder?", krächze ich und versuche, den sich anbahnenden Hustenanfall zu unterdrücken.

„Dass du hier bist? Früher oder später werden sie das von alleine rausfinden", entgegnet Gigi ungerührt und ich fürchte, er hat Recht. Vielleicht sollte ich schon mal anfangen, mein Testament zu schreiben.

Oma hat derweil ebenfalls am Tisch Platz genommen und unserer Unterhaltung stirnrunzelnd beigewohnt. „Habe ich das richtig verstanden?", wendet sie sich nun an mich, wobei Misstrauen in ihrer Stimme mitschwingt. „Du bist untergetaucht?"

„Ja", gebe ich kleinlaut zu, während Gigi sich Met nachschenkt. Offenbar ist er bereits auf den Geschmack gekommen.

„Du hast mich also angelogen", bemerkt Oma nüchtern, ohne durchblicken zu lassen, wie sie darüber denkt. „Von wegen Freistellung wegen Überlastung. Wieso bist du wirklich hier?"

Ich seufze und würde am liebsten auf der Stelle im Erdboden versinken. „Weil ein Sex-Video von mir veröffentlicht wurde und der Verein mich daraufhin suspendiert hat." Dieses Geständnis gegenüber meiner Großmutter treibt mir die Schamesröte ins Gesicht.

Gigi verschluckt sich an seinem Met und hustet geräuschvoll, während Oma mich ungläubig anstarrt. „Ein Sex-Video?", hakt sie nach, weil sie es scheinbar nicht so richtig fassen kann. Die beiden unheilvollen Worte betont sie so, wie ich das Wort „Darmspiegelung" betonen würde.

Ich nicke mit gesenktem Kopf und bin fast froh, als mein Berater sich plötzlich einschaltet. „Wisst ihr was?", sagt er überraschend ruhig. „Ich schlage vor, Jonny und ich unterhalten uns mal ganz in Ruhe. Aber vorher duschst du dich und ziehst dir was anderes an. In diesen Oma-Klamotten kann ich dich nicht ernstnehmen. Nichts für ungut, Signora Castberg", fügt er an meine Großmutter gewandt hinzu, die stumm ihre Zustimmung signalisiert.

Dankbar, dass er mir eine Gelegenheit gibt, um der peinlichen Situation zu entfliehen, erhebe ich mich und verlasse den Raum. Auf dem Weg ins Badezimmer vibriert etwas in der Tasche des Morgenmantels. Ich greife hinein und finde mein Handy, das offensichtlich soeben eine Nachricht empfangen hat. Sie ist von Rikard und der Inhalt besteht aus einem einzigen, kurzen Satz:

Rikard (10:35 Uhr): Bruder, ich bin tot.

„Ich auch", murmle ich halblaut vor mich hin und beschließe, ihm später in Ruhe von den jüngsten Ereignissen zu berichten. Wenn sein Kater nur halb so schlimm ist, wie ich es vermute, würde er jetzt ohnehin nicht durchblicken.


Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteOpowieści tętniące życiem. Odkryj je teraz