Rückkehr nach Cerriv

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          Jemand musste Adriels Onkel verboten haben, sie in ihrer Zelle zu besuchen. Vermutlich, weil er bisher immer seinen Schlüsselbund hier unten verloren hatte. Oder- und dieser Gedanke hätte Ana noch viel weniger gefallen- er wollte sie nicht sehen.

So wie die Dinge lagen, gefielen Ana einige Dinge nicht. Zeit verschwamm für sie in einer Form von undenkbarer Folter, die nur für sie erleichtert wurde durch den Gedanken, dass Adriel sie ebenfalls durchleben musste. Ihr Körper befand sich in einer dauerhaften Fight-or-Flight-Modus, der Puls schnell, die Handflächen schweißnass.
Anfangs lief sie ständig ihre winzige Zelle ab, auf der Flucht vor Bildern, die niemals kamen. Das Essen vergessen auf der obersten Stufe. Im Mondlicht und bei Sonnenschein.

Sie lauschte nach oben. Kletterte die Treppe hinauf und polterte gegen die Luke. Oder presste ihr Gesicht gegen das Bullauge. Doch irgendwann wurden ihre Kreise kleiner. Die Schritte schlurfender. Ihre Fingernägel waren blutig abgewetzt und ihre Füße nackt und wund.

Adriel fand sie wie eine fortgeworfene Puppe im Eck sitzend, die Arme schlaff an ihren Seiten und die Beine ausgestreckt. Sie erinnerte ihn an den Tag, da er sie das erste Mal gesehen hatte. Aber er konnte sich nicht dazu aufraffen, Mitleid mit ihr zu empfinden.
Stattdessen stemmte er die Luke vollständig auf, bis das Licht der Deckluke auf ihr Gesicht fiel.
„Wir haben Cerriv erreicht."

Sie sah ihn nicht an. Entweder weil es sie nicht interessierte oder- und er vermutete stark, dass es das letztere war- aus Trotz. Denn obwohl sie es sicherlich erwartete und beinahe selbst angetan hätte, war sie dort unten nicht verrückt geworden. Sie hatte ein Problem mit geschlossenen Räumen. Adriel hatte das gewusst, als er sie hier unten reingebracht hatte. Er wollte nicht darüber nachdenken, wie sie zu dieser Angst kam. Aber schlussendlich hatte sie nicht den Verstand verloren und ihre Angst war umsonst gewesen. Und er war sich sicher, dass sie ihn dafür hasste.

Sie sprach nicht mit ihm, als sie ihm auf wackeligen Beinen hoch auf Deck folgte. Aber sie streckte ihre Nase den ersten winterlichen Sonnenstrahlen entgegen und schloss für einen kurzen Moment die Augen.

Im Vorbeigehen bot ihm jemand einen Flachmann gegen die Kälte an, doch mit einem Seitenblick auf sie, lehnte er ab. Stattdessen nahm er sie am Ellenbogen und schob sie zum Bug des Schiffes, vor dem sich langsam die schwarzen Felsen Cerrivs aus dem Wasser hoben.

Er spürte ihren Ärger und den Versuch, ihn abzuschütteln. Doch als sie ihren Blick von seiner Hand loseiste und endlich in die richtige Richtung sah, spürte er sein eigenes Herz mit ihrem stocken. Sie blieb so abrupt stehen, dass er sie beinahe umgeworfen hätte.

Ähnlich irritiert blieb er neben ihr stehen, mehrere Blicke von ihr zu der Inselgruppe werfend, die Cerriv als Stadt ausmachten. Sie waren beeindruckend, wie sie sich mehrere dutzend Meter horizontal aus dem Wasser erhoben. Schwarze Felsen zeichneten sich wie eine dunkle Kronenzacken gegen die aufgehende Sonne am Horizont ab. Es waren bestimmt zwanzig Stück, kluftig, hoch und zusammengehalten durch eine Vielzahl an steinernen und hölzernen Brücken, Leinen und Leitern. Beeindruckend, sicherlich. Aber Anas Gefühle erinnerten ihn mehr an einen bodenlosen Fall.

Sie starrte wie in Trance hoch zu den Häusern auf den abgeflachten Spitzen, ihn und das gesamte Schiff vollkommen vergessen. Ihre nassen Dächer reflektierten das Licht der aufgehenden Sonne und tauchten die Stadt in silbriges Licht. Mehrere Schiffe ankerten um die unterschiedlichen Felsen herum, friedlich in der Morgendämmerung.

Ana blinzelte heftig und mehr als einmal wünschte Adriel sich, nicht nur ihre Emotionen lesen zu können. Sie wusste etwas. Aber er war nicht so dumm, dass er eine Antwort von ihr erwartete.

The Demon Stone - Der Weltenwandler IWo Geschichten leben. Entdecke jetzt