»Es ist nicht deine Schuld, dass du so bist, sondern die deiner Mutter«, sagte sie vor Jahren zu mir und versuchte mich so mal wieder nach einer harten Woche voller Selbstzweifel aufzumuntern.
Meine Ma, geprägt durch meine herrschsüchtige Grandma, impfte mir schon seit Kindertagen die Regeln und Pflichten einer Lady ein.

»Du musst gehorchen.«
»Lächle stets und denk dir deinen Teil - niemals das aussprechen, was du denkst.«
»Sei eine gute Gastgeberin und komme deinen Gästen immer zuvor.«
»Spiel dich nicht auf und mach dich nicht wichtig.«
»Sei deinem Gatten eine aufopferungsvolle Hausfrau und stehe immer in seinem Schatten - das gehört sich so für eine Frau...«

Meine Ma hatte schon immer ein veraltetes Weltbild, welches sie auf ihre einzige Tochter übertrug und letztendlich dafür verantwortlich war, dass ich niemals für mich selbst einstehen konnte.

So richtig bewusst wurde es mir erst, als ich mein erstes Weihnachtsfest bei Holly verbrachte.

Während wir bei mir zuhause immer ein Weihnachtsessen für die reichen Freunde meiner Eltern veranstalteten, wobei ich sauber gestriegelt eine Lady präsentieren musste, wurde bei Holly gefeiert und jeder konnte dabei so sein, wie er war!

Ihre Eltern luden jedes Jahr die gesamte Familie Gilbert ein, obwohl das Haus nicht genügend Platz für die Gäste hatte und viele Familienangehörige auf dem Boden schliefen.

Den ganzen Abend wurde gesungen, über Politik gestritten, viel gelacht und eine jede Menge Glühwein getrunken. Grandma Polly trank dabei immer besonders viel, auch wenn sie immer sagte, dass sie offiziell dem Alkohol abgeschworen hatte und sich nur ein Glas genehmigen würde.

Bei meiner Familie undenkbar...
Bei meiner Familie drehte sich immer alles nur um Etikette und Ansehen. Die Freunde meiner Eltern, die gleichzeitig auch ihre Geschäftspartner waren, durften auch nicht nur ein Makel feststellen können.

Die Stunden bei den Gilberts waren also immer wie Balsam für die Seele, denn jeder hatte so seine Eigenarten und ich musste nicht in ein selbst errichtetes Konstrukt passen.

Dass Hollys Familie alles andere als perfekt war, hat das alles nur noch besser gemacht. Hollys Mutter Catherine, hatte sich früh von Hollys Vater scheiden lassen und war bis zu dem 15. Lebensjahr ihrer Tochter alleinerziehend. Als ihr neuer Freund Shawn und seine vier Kinder bei Holly einzogen, musste sie sich erst einmal an ihr neues, noch chaotischeres Leben gewöhnen, welches ich auf anhieb liebte, da es so fernab von dem meinen war.

Die ersten Jahre mit ihren drei kleinen Kindern Lissy, Collin und Piper, der pubertierenden Holly und dem zwei Jahre älteren Aiden waren nicht leicht für die Patchwork Familie, aber Holly pflegte mittlerweile ein außergewöhnlich enges Verhältnis zu ihren Geschwistern und alles hatte sich irgendwie eingependelt - so wie sich immer alles einpendelte in dieser Familie...

Catherine hatte ihre Tochter zu dem gemacht, was sie war - eine selbstbestimmte, anmutige, großartige junge Frau.
Und meine Mutter hatte eben aus mir das gemacht, was ich war - ein von der Welt verängstigtes, introvertiertes, graues Mäuschen, was sich für sich selber nicht stark machen konnte und leicht manipulierbar war.

Jedes Schicksal war von Anfang an besiegelt und hatte anscheinend doch einen höheren Ursprung...

                                      ***

Das ist keine gute Idee, dachte ich als ich nervös nochmal alles in meiner Wohnung zurecht rückte und aufgeregt auf- und abging.

Ich hatte es wirklich getan! Ryan Eastwood war auf dem Weg zu MEINER Wohnung, um den Abend mit mir zu verbringen. Ich hatte ihn wirklich eingeladen!

I never thoughtWhere stories live. Discover now