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Lisa

2 Monate später...

»Danke, dass du mitgekommen bist«, flüstert Nora erleichtert. »Ich mag Tom, aber einen Abend nur unter Kerlen würde ich nicht überstehen. Zu viel Testosteron, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Kein Problem. Nur tu mir einen Gefallen und halt mich von zu viel Alkohol und Männern fern.«
»Dein Wunsch sei mir Befehl!« Nora drückt mich an sich und gibt mir einen Kuss auf die Wange.
»Ach ja – und sag deinem Verlobten, dass du nicht sein Eigentum bist und ich dich für heute Abend beanspruche«, sage ich gerade so laut, dass Lucas mich hören kann. Seine Augen funkeln verschmitzt, als er mir durch den Rückspiegel einen Blick zuwirft.
»Die Message ist bei ihrem Verlobten angekommen. Ob ich sie allerdings den ganzen Abend entbehren kann, wage ich lieber nicht zu versprechen«, antwortet er und zwinkert uns zu. Nora errötet leicht und sieht ihn verliebt – man könnte sogar so weit gehen, ihren Blick als verträumt zu bezeichnen– an. Wieder einmal gerate ich ins Stocken. Kaum vorstellbar, dass Nora noch vor gut zweieinhalb Jahren dachte, dass sie nicht lieben könne. Aber so war es. Und jetzt ist sie bis über beide Ohren verliebt und wird diesem superheißen Geschäftsmann die Leine anlegen. Nora scheint wohl Ähnliches zu denken, denn sie spielt verzückt mit ihrem eleganten Verlobungsring. Lucas hat es ziemlich gut gemeint. Ein schmaler goldener Ring mit einem Brilliant, der das Licht bricht, wenn die Sonne auf ihn scheint. Mir persönlich ein bisschen zu sehr schickimicki, doch Lucas hat das nötige Kleingeld für so einen Ring, und warum sollte er es nicht für seine Zukünftige ausgeben? Aus verlässlichen Quellen weiß ich, dass Nora den Ring zwar auch zu protzig findet, ihn aber trotzdem liebt. Und ich freue mich  für die beiden. Auch, wenn ich im ersten Moment ziemlich geschockt war und mich, nüchtern betrachtet, recht kindisch verhalten habe. Es ist schließlich etwas Tolles, wenn die beste Freundin heiratet. Es ist nur … Nora und ich waren immer eine Einheit. Und jetzt, da sie verlobt ist, habe ich Angst, dass sich dieses Bündnis lösen könnte. Trotzdem bin ich froh, dass Nora ihr Glück gefunden hat. Nur wäre es echt schön, wenn auch mir langsam mal der ultimative Traummann über den Weg laufen würde. Aber bisher keiner in Sicht. Also habe ich seit der Nacht mit Tom beschlossen, dass ich so lange abstinent lebe, bis der Eine kommt. Komme, was wolle. Dass ich aber Tom heute wieder begegnen werde, macht mich trotzdem nervös. Seit dem Vorfall habe ich ihn nämlich nicht mehr gesehen. Nora musste ziemlich lange betteln, bis ich mich dazu breit schlagen ließ, sie zu begleiten. Aber ich werde es überleben.
»Mach dir keinen Kopf. Es wird bestimmt nicht so schlimm«, raunt Nora mir zu. Sie weiß ganz genau, worüber ich nachdenke. Schließlich kennt sie die ganze Geschichte.
»Tue ich nicht«, lüge ich unumwunden. Nora bedenkt mich mit einem wissenden Blick, kommt aber nicht dazu, etwas zu sagen, da Lucas uns mitteilt, dass wir da sind. Ich danke Gott, dass er mich vor diesem Lüg mich nicht an, ich weiß ganz genau, dass du dir einen Kopf machst-Gespräch gerettet hat und steige aus, kaum dass Lucas eingeparkt hat. Nora folgt mir, bleibt aber stehen, als Lucas ihr die Hand entgegenstreckt. Sie wirft mir einen entschuldigenden Blick zu und ergreift sie.
»Na los, küss sie, damit ich sie den Rest des Abends für mich haben kann«, stöhne ich scherzhaft. Lucas tut wie geheißen und zieht Nora in seine Arme. Irgendetwas sticht in meiner Brust, als ich mit ansehen muss, wie ihre Körper miteinander verschmelzen. Schnell drehe ich mich weg, sonst erleide ich noch einen Herzinfarkt oder so.
»Dann lasst uns mal reingehen, Ladies.«
Ein Glück, dass das vorbei ist. Nora zuliebe setze ich mein strahlendstes Lächeln auf und folge ihr in die schicke Bar. Und mit ›schick‹ meine ich supermegateuer. Wahrscheinlich kosten die Barhocker schon mehr als die Hälfte meiner Einrichtung. Aber es ist schön. Brechend voll, laut und irgendwie schräg, aber toll. Jedenfalls ist es etwas anderes als die Bar, in der Nora, Leo, meine Schwester und ich uns immer treffen. Im Grunde sind es zwei verschiedene Welten. Unsere Bar ist eher für das gemeine Fußvolk. Aber hier? Hier feiern die Reichen. Ich komme mir ein wenig fehl am Platz vor. Nora anscheinend auch, denn ihre Augen sind geweitet, und sie wirkt etwas ängstlich, was mich ernsthaft überrascht. Ich hätte viel eher gedacht, dass sie solche Etablissements kennt. Nicht nur seit sie mit Lucas zusammen ist, sondern wegen der ganzen Escort-Jobs, die sie früher gemacht hat. Na ja, mir soll es recht sein. Dann bin ich zumindest nicht die Einzige, die sich hier unwohl fühlt.
»Na, das nenn ich mal protzig«, bemerkt Lucas und grinst. »Kommt, suchen wir Tom. Der dürfte wohl eher nicht hier unten sein. Sonst hätten wir ihn schon längst entdeckt.«
Und Lucas hat recht. Tom befindet sich tatsächlich oben. Im Privatbereich, um genau zu sein. Also, das nenne ich protzig. Und irgendwie übertrieben. Seine Abschiedsparty im engsten Kreis feiern, schön und gut, aber gleich so abgeschottet? Vielleicht ist das ja üblich unter diesen Leuten, und ich habe davon nur keine Ahnung?
Zugegebenermaßen etwas überrumpelt, lasse ich die neue Location auf mich wirken. Alles wirkt sehr elegant und ruhiger als da unten. Immerhin kann man sich so entspannt unterhalten, ohne gleich angegraben zu werden. Das hilft meiner selbstauferlegten Abstinenz ungemein.
»Hey. Toll, dass ihr da seid!« Toms unverkennbare Stimme reißt mich aus meinen Gedanken. Er umarmt Lucas und küsst Nora auf die Wange, wofür er einen bösen Blick kassiert, und widmet sich dann mir. Ich versuche, meine Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, was mir aber ordentlich missrät. Noras Miene verrät alles.
»Hey. Also danke, dass ich kommen durfte«, murmle ich verlegen.
»Klar. Schließlich bist du eine Freundin. Warum solltest du nicht kommen dürfen?« Toms Stimme klingt wie eh und je. Locker und ein kleines bisschen arrogant. Für ihn scheint das keine große Nummer zu sein. Warum also bin ich dann so eingeschüchtert? Normalerweise habe ich auch eine ziemlich große Klappe. Warum also den Schwanz einziehen? Doch bevor ich mir eine Antwort überlegt habe, hat Tom seine Lippen auf meine Wange gedrückt. Doch anstatt sie zu küssen, beginnt er leise zu flüstern: »Übrigens … wenn du dein Shirt wieder haben willst, musst du mir meines bringen. Ich liebe dieses T-Shirt nämlich.« Augenblicklich erstarre ich zur Salzsäule. Ich hätte nicht damit gerechnet, dass er sofort darauf zu sprechen kommen würde.
»Ich gebe es Lucas bei Gelegenheit mit. Meines kannst du behalten oder wegwerfen. Ich brauche es nicht«, erwidere ich stockend.
»Zu schade. Es stand dir wirklich gut.« Sein Flüstern hat einen rauen Unterton angenommen, der mir etwas Angst macht, da ich genau weiß, was dieser in mir auslösen kann.
»Hey Kumpel. Das reicht. Lass sie doch erstmal ankommen.« Lucas zieht Tom von mir weg und ich kann endlich wieder atmen.
Nora sieht mich betreten an, als wolle sie sich für Tom entschuldigen. Ich schüttle den Kopf, um ihr zu signalisieren, dass alles in Ordnung ist. Jetzt, da Lucas ihn aus meiner Nähe geschafft hat, kann ich mich wieder entspannen. Vielleicht sollte ich mir doch ein Glas Sekt oder so was gönnen. Solange es kein hochprozentiger Alkohol ist, kann ja nichts schiefgehen. Außerdem ist Nora da. Die wird mir heute nämlich wirklich nicht entkommen können. Und wenn wir uns aneinander ketten müssen.
Zufrieden mit meinem Vorsatz, dirigiere ich Nora zur Bar.
»Jetzt guck mich nicht so an. Ich bestell mir schließlich keinen Tequila«, murre ich auf Noras skeptischen Blick hin.
»Ich hab nichts gesagt. Sei nur vorsichtig.«
»Und genau dafür habe ich ja dich!«, sage ich lachend und bestelle uns beiden einen Sekt.
»Du bist unmöglich.«, erwidert Nora ebenfalls kichernd.
»Und du eine Spaßbremse!« Ich strecke ihr provokant die Zunge raus und proste ihr zu. Mit dem Glas an den Lippen lasse ich meinen Blick durch den Club schweifen und halte inne. Zwischen Lucas und Tom steht ein Kerl, den ich nie wieder vergessen werde. Jonas! Der extrem heiße Kerl, der mich dabei ertappt hat, wie ich aus Toms Wohnung geschlichen bin. Der Typ, der mich vorm Genickbruch bewahrt hat. Der Mann mit den schönsten Augen, dem süßesten Grinsen und dem verlockendsten Duft der Welt. Ob er sich noch an mich erinnert? Ich hoffe nicht! Denn das wäre einfach zu peinlich! Meine Wangen werden heiß. Ob vor Aufregung, der allgemeinen Hitze oder Scham, weiß ich nicht genau, aber es ist wohl besser, wenn ich mich rarmache. Doch noch bevor ich meinen Blick von ihm abwenden und verschwinden kann, fängt er ihn auf und hält ihn fest. Ein unverschämt attraktives Lächeln huscht über seine Lippen. Er hat mich wiedererkannt. Scheiße!

Munich Lovers - Verbotene Früchte (LESEPROBE)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt