Anvertraut

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Meine liebe Leserschaft!
Aus mir unerklärlichen Gründen wurde das Kapitel nicht hochgeladen, daher versuche ich es noch einmal.
Quintessenz meins Statements vor dem fehlgeschlagenem Veröffentlichen des Kapitels war folgendes:

Gewalt hat viele Gesichter und jedes davon ist hässlich.

Weil der Poet in mir es in Moment kein zweites Mal schafft, ausführlicher darüber zu reden, werde ich es vor dem nächsten Kapitel tun.

Euer Eichhorn

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Wien, 4. April 2022
20:11
Ich starrte auf Monets Brücke über dem Seerosenteich. „Wie fühlen Sie sich dabei?“ Mein Blick schwenkte vom Kunstdruck zurück zu meiner Therapeutin. Vielleicht hätte ich doch einfach warten sollen, anstatt einen Notfalltermin anzufordern. Die zierliche Frau mir gegenüber sah mich hoffnungsvoll an. „Nun, der Gedanke daran, dass ich meinem Kollegen das Kiefer demoliert habe, macht mich nicht sonderlich stolz“. Sie seufzte kurz, aber fing sich wieder. Über den Rand der gegen ihr Gesicht riesig scheinenden FFP2-Maske fixierten mich erneut ihre hellbraunen Augen. „Anstatt die Dinge aufzuzählen, die Sie nicht fühlen, könnten Sie vielleicht all das, was Sie schon verspüren, benennen?“, versuchte sie es erneut. „Ich schäme mich“. Sie nickte, setzte aber nicht an, etwas dazu zu sagen. „Und ich würde… ich würde, wenn ich es könnte, mich davon abhalten auf Adrian… nein, das ist gelogen. Ich glaube, ich hätte, wenn ich wieder in diese Situation komme, wieder so viel Wut im Bauch, dass ich ihn erneut schlagen würde. Aber… ich möchte das nicht. Ich möchte ihm nicht wehtun… ich möchte doch nur… er soll verstehen, wie ich mich fühle. Er soll verstehen und begreifen… er soll selbst erleben, was ich erlebt habe! Dann weiß er… dann…“. Ich unterbrach mich selbst. „Sie wollen von Ihren Kollegen verstanden werden, ist das richtig?“- „Ja“, seufzte ich. „Das Erzählen dieser Erlebnisse schließen Sie nach wie vor aus und das ist auch wirklich verständlich… aber denken Sie, dass es eine andere Möglichkeit geben kann, sich ihren Kollegen mitzuteilen und bereits im Voraus anzusprechen, was Sie triggern könnte?“- „Ich will nicht mit ihnen reden. Ich will nicht anfangen zu weinen, ich will diese Schwäche nicht zeigen“. Sie nickte wieder. „Sie wollen nicht, wie wir gesehen haben, dass der Balkaneinsatz ins Lächerliche gezogen wird, kann das sein?“- „Ja“. Wieder wanderte mein Blick durch den Raum und blieb erneut an der Brücke über den Seerosenteich hängen. „Um zu verdeutlichen, wie ernst die Lage damals war…“- „Und ist!“, unterbrach ich sie. „… und ist, genau… könnten Sie sich irgendein anders Medium als Sprechen vorstellen, Ihren Kollegen etwas mitzuteilen? Einen Brief schreiben zum Beispiel“. Ich stockte und dachte nach. Dann schüttelte ich den Kopf. „Beim Schreiben müsste ich zu viel zugeben. Wie schlimm das alles ist. Und das will ich nicht“. Sie nickte erneut und hatte dabei eine Engelsgeduld mit mir. „Wieviel wissen Ihre Kollegen denn genau?“- „Ich denke, alles, was damals über den missglückten Einsatz aufgekommen ist. Was alles schiefgelaufen ist. Und sie wissen, dass ich verletzt worden bin. Man sieht es immerhin“. Meine Therapeutin faltete ihre Hände und fragte: „Also auch, dass Sie Menschen getötet haben?“- „Ja“- „Auch, dass Sie nicht alle Kinder retten konnten?“- „Ja“- „Auch, dass Sie angeschossen worden sind?“- „Möglicherweise. Ich denke ja. Zumindest denke ich, dass sie es vermuten“- „Wissen Ihre Kollegen, dass Sie miterlebt haben, wie ihr Kollege ums Leben gekommen ist?“. Ich schüttelte den Kopf. „Ich erwähne es deshalb, weil dieses Erlebnis, allen Anschein nach, eine zentrale Rolle spielt. Nickend starrte ich die Seerosen an und versuchte den immer wieder aufkommenden Schmerz in meinen Knochen zu kontrollieren. „Adrian wusste, dass ich getötet habe, reicht das etwa nicht?! Reicht es etwa nicht-“, meine Stimme versagte und ich fing an zu weinen. Der Schmerz in meinen Schultern und der Brust war nicht mehr auszuhalten. „Severin ist vor meinen Augen zerrissen worden, aber reicht es nicht… muss er das auch wissen, um mich zu respektieren, reicht es nicht… reicht es nicht, dass… dass ich, dass ich… ahh!“ Ich krümmte mich zusammen und ließ die Schübe über mich ergehen. Jeden Abend erneut überkamen mich Erinnerung. Die Erinnerung, noch einmal eine Kugel in den Kopf eines Menschen zu jagen. Ihm ein Loch in den Kopf zu schießen. Dieses Bild hatte sich in mein Hirn eingebrannt und ich wurde es nicht mehr los. Ich hatte die Pistole auf seiner Stirn angesetzt. Presste den Lauf so fest dagegen, dass er nach dem Abzug hineinglitt. „Aber es ist mir… ein Bedürfnis, dass… wenn jemand einem Kind so etwas antut… dann… dann… ist das… ahh!“ Gerechtfertigt. Dann ist das besser, als diesen Menschen… Bestien… Monstern auch nur die Chance einer Gelegenheit, sich aus allem rauswinden zu können, zu geben. „Ich würde das… würde das wieder tun“. Ich würde es wieder tun. Hundert, ja tausend Mal, um ein einziges Kind davor bewahren zu können. Meine Therapeutin verzichtete auf die Frage, ob ich mich auch töten lassen würde, um ein einziges Kind beschützen zu können. Sie hatte die Antwort darauf bereits oft genug gehört, als noch einmal nachfragen zu müssen. So viel Angst ich auch davor hatte, jemanden zu töten, so effektiv und nachhaltig schien mir jeder einzelne Mord. Ein Toter kann keine Straftaten mehr begehen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Dec 01, 2022 ⏰

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