Vingt-quatre

Beginne am Anfang
                                    

Weil ich keine besonders gute Autofahrerin war, hatten Thierry und ich beschlossen, dass er fahren und ich gleichzeitig tippen würde, weil die Fahrten so ziemlich unsere einzige Zeiten waren, in denen wir uns um den Artikel kümmern konnten.
Während der fast zweieinhalbstündigen Fahrt nach Neapel begannen wir also mit der Schreibarbeit, überarbeiteten das Konzept, das wir vor Antritt der Reise entworfen hatten und schrieben uns die essentiellsten Dinge aus den bisherigen Gesprächen auf.

In Neapel angekommen, bekamen wir im Hotel ein kleines Abendessen, bevor wir fix und alle in unsere Betten fielen. Meine Augen schlossen sich vor Müdigkeit sofort von selbst, aber bevor ich einschlief nahm ich mir noch einen kurzen Moment Zeit, um festzustellen, dass diese Reise wohl sehr viel erschöpfender sein würde, als ich angenommen hatte.

~~~

Die nächsten Tage wurden noch anstrengender als die ersten, weil wir jetzt teilweise mehrere Regionen am Tag durchackern mussten. Vormittags Gespräche mit Politikern, Sprechern irgendwelcher Gruppierungen und Bürgern, die wir auf der Straße ansprachen, um uns ein Bild vom Durchschnitt der Bevölkerung zu machen, mittags fuhren wir dann in die nächste Region, wo das Spiel von vorne losging, und abends setzten wir unsere Reise schon wieder fort, stopften irgendwas zu Essen in uns rein, weil wir den ganzen Tag über zu nichts gekommen waren, und schliefen dann in unseren Betten ein, kaum dass unsere Körper die Laken berührten.

Von Rom aus war unsere Reise erstmal an der Westküste entlang Richtung Süden gegangen, an der unteren Landesspitze angekommen drehten wir dann quasi wieder um und legten den Rückweg an der Ostküste zurück. Unser Zettel mit dem Ablaufplan war mittlerweile vom vielen Auseinander- und wieder Zusammenfalten so abgegriffen, dass man ihn kinderleicht hätte zerreißen können, aber er war das Einzige, was uns noch irgendeine Orientierung gab.

Meine Befürchtungen, zwischen Thierry und mir könnte während der Reise mehr passieren und die Stimmung würde seltsam werden, waren vollkommen unbegründet gewesen, denn für Annäherungen hatten wir überhaupt keine Zeit und Energie. Als er verkündete, dass wir beinahe Halbzeit hatten, fielen mir fast die Augen aus dem Kopf, doch im nächsten Moment wurde mir klar, was das bedeutete.

Als wir unser Hotel in Bologna erreichten und ich einen Blick aufs Datum des heutigen Tages warf, spürte ich einen stechenden Schmerz in der Brust. Morgen würde das Rennen in Monza stattfinden, gerade mal etwas mehr als zwei Stunden entfernt von mir. Und es würde eines von den wenigen Rennen sein, die ich verpasste, was sich auf eine seltsame Art und Weise wie ein Verrat an Pierre anfühlte.

Als Thierry den Motor des Wagens abschaltete, bemerkte er meine Niedergeschlagenheit und schaute mich besorgt an.

"Hey, was ist los? Hab ich was falsches gesagt?", erkundigte er sich, woraufhin ich sofort den Kopf schüttelte.

"Nein, hast du nicht. Mir ist nur gerade aufgefallen, was für ein Tag morgen ist", antwortete ich.

"Sonntag?", entgegnete mein Kollege verwirrt, was mich für einen kurzen Augenblick zum Schmunzeln brachte.

"Ja, das auch, aber morgen ist ein besonderer Sonntag. Nicht weit von hier findet ein Formel-1-Rennen statt."

"Oh, hätten wir die Route noch ändern lassen sollen? Nicht, dass wir morgen ins totale Verkehrschaos kommen."

"Alles gut, das wird schon nicht passieren. Das Rennen ist in Monza, davon sind wir weit genug weg. Es ist nur so, dass ich normalerweise kein Rennen verpasse und dieses Mal hab ich nicht die Zeit, um es mir anzuschauen", erklärte ich.

"Wow, du scheinst ja ein richtiger Fan zu sein, das wusste ich noch gar nicht."

Überrascht sah ich ihn an.

"Wirklich nicht? Hast du im August nicht das ganze Drama im Büro mitbekommen?"

"Drama im Büro? Nein, was war denn los?"

"Kurz gesagt: Ich hab einen Kollegen aus dem Sport beim Formel-1-Rennen in Südfrankreich vertreten und zwei Artikel geschrieben und wegen Fotos und Videos von einem Rennfahrer und mir glaubte das Internet, ich sei seine neue Freundin und es wurde ein riesiges Fass aufgemacht. Vor dem Büro haben Paparazzi und Reporter herumgelungert und Monsieur Roux hat mich sogar ins Home Office geschickt, damit das Chaos nachlässt."

"Ach das waren die vielen Leute vor dem Gebäude. Ich hab mich schon gefragt, was die da wollten, aber ich hab nicht nachgefragt."

"Und unser Flurfunk? Es wurde überall über mich getuschelt."

"Klatsch und Tratsch sind nicht so meins, da halte ich mich raus. Außerdem war ich Anfang August ein paar Tage lang wegen eines Auftrags in England, vielleicht ist es auch deswegen an mir vorbeigegangen", antwortete Thierry und brachte mich damit zum Lächeln.

"Es ist schön mal mit einem Kollegen zu reden, der das alles nicht mitbekommen hat", stellte ich fest und der Dunkelhaarige nickte zustimmend, dann stiegen wir aus dem Auto aus, schnappten uns unsere Sachen und betraten das Hotel.
Nach einem leckeren Abendessen kletterten wir wenige Stunden später erschöpft in unsere Betten und wünschten uns eine gute Nacht, doch zu meiner Überraschung erklang Thierrys Stimme, als er gerade das Licht ausgeschaltet hatte.

"Darf ich dich noch was fragen?"

"Natürlich. Ich kann dir nur keine Antwort versprechen", antwortete ich in die Dunkelheit hinein.

"Dieser Rennfahrer, von dem das Internet dachte, du wärst mit ihm zusammen... War da was dran?"

Einen Moment lang schwieg ich und rang mit mir, dann entschied ich mich für die Wahrheit.

"Wir waren verlobt, aber das ist lange her."

"Okay. Schlaf gut Louanne", erklang die leise Antwort und ich schloss müde die Augen.

"Du auch."

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt