Sobald Monsieur Bernard uns aufgefordert hatte uns hinzusetzen, fiel ein kleiner Teil der Anspannung ab und stattdessen wuchs die Neugier, wieso ich mit einem mir unbekannten Kollegen einbestellt worden war.

"Ich gehe nicht davon aus, dass Sie beide sich schon kennen, deshalb werde ich Sie einander kurz vorstellen", begann Monsieur Bernard mit tiefer Stimme, "Das ist Louanne Vinet. Sie arbeitet im Bereich der nationalen Politik und ist mit ihren Artikeln schon oft positiv aufgefallen. Gemeinsam mit ihrem Abteilungsleiter bin ich zu dem Schluss gekommen, dass sie mit ihrem modernen Schreibstil und ihren hervorragenden Kenntnissen der französisch Innenpolitik genau die Richtige für diese Seite des Autorenteams ist."

Ich konnte nicht leugnen, dass mich diese Vorstellung meiner Person mit Stolz erfüllte und als ich in den Augen meines Kollegen Anerkennung aufblitzen sah, grinste ich leicht.

"Das ist Thierry Di Lorenzo, den ich - und das möchte ich betonen - nicht nur wegen seiner italienischen Wurzeln ausgesucht habe. Er schreibt über europäische Politik und seine Artikel sind immer sehr beliebt bei den Lesern. Mit seinen bereits vorhandenen Kenntnissen über die Geschichte und das aktuelle Geschehen zwischen Frankreich und Italien ist er für dieses Projekt ideal geeignet. Ich bin optimistisch, dass Sie beide ein sehr gutes Team sein werden und ihr Artikel ein großer Erfolg wird."

Jetzt war es an mir, anerkennend nach rechts zu schauen. Monsieur Di Lorenzo war offensichtlich ein hoch angesehener Kollege, auch wenn ich ihn als nicht viel älter als mich selbst schätzte. Wieso Monsieur Bernard seine italienischen Wurzeln angesprochen hatte, war mir noch nicht ganz klar, aber ich sollte es gleich erfahren.

"Wie Sie sicher wissen, ist das Verhältnis zwischen Frankreich und Italien schon seit längerem sehr angespannt und eine Besserung scheint vorerst nicht in Sicht, besonders wenn die italienischen Wahlen Ende September in die falsche Richtung ausgehen. Sie beide wurden ausgewählt, um nach Italien zu reisen und genau darüber einen Artikel zu schreiben.
Wieso hat sich diese Beziehung verschlechtert?
Wie denken die Italiener darüber?
Bekommt der durchschnittliche Bürger von diesen Spannungen überhaupt etwas mit?
Was glauben die Leute, wie sich die Situation mit Frankreich entwickeln wird, wenn die Wahl zugunsten der Rechten ausfällt?
Ich möchte, dass Sie diese und noch mehr Fragen beantworten, damit unsere französischen Leser ein besseres Bild von der französisch-italienischen Verbindung bekommen."

Ich versuchte mir meine Überraschung nicht ansehen zu lassen, aber es fiel mir wirklich schwer. Ich arbeitete erst seit einem halben Jahr bei Le Courrier und wurde jetzt schon mit einem so besonderes Artikel beauftragt?
Von dieser Art Herausforderung hatte ich schon lange geträumt, sowohl thematisch als auch aufgrund der Tatsache, dass ich den Artikel mit jemand anderem zusammen schreiben würde, der mir gegenüber offensichtlich ein wenig im Vorteil war.

Monsieur Di Lorenzo hatte italienische Wurzeln und befasste sich im Rahmen der Politik in Europa mit Sicherheit schon länger mit der französisch-italienischen Beziehung. Ich würde ganz schön hart arbeiten müssen, damit unser Artikel am Ende ein 50/50-Werk werden würde, aber das spornte mich nur noch mehr an.

"Sie werden zwei Wochen in Italien verbringen und ich warne Sie jetzt schon vor, dass das alles andere als ein Urlaub wird. Tagsüber treffen Sie sich mit Politikern, politischen Organisationen und Gruppierungen, befragen Unternehmen mit Bezug zu Frankreich und einzelne Bürger, abends fahren Sie zum nächsten Stop Ihrer Reise. Sie fliegen nächsten Montag nach Rom, dort beginnen Sie und bleiben ausnahmsweise auch über Nacht, weil es nunmal der Dreh- und Angelpunkt der italienischen Politik ist und Sie dort Termine mit hohen Politikern haben werden. Von da an werden Sie jeden Tag in ein bis drei verschiedenen Regionen des Landes unterwegs sein bis Sie letztendlich nach Rom zurückkehren und von dort wieder nach Frankreich fliegen. Den genauen Plan bekommen Sie von meiner Sekretärin und dann haben Sie von jetzt an vier Tage Zeit, um sich vorzubereiten."

Ein wenig erschlagen von all diesen Informationen starrte ich Monsieur Bernard einfach nur an und aus dem Augenwinkel sah ich, dass es Monsieur Di Lorenzo genauso ging, woraufhin ein winziges Schmunzeln über das Gesicht unseres Chefs huschte.

"Ich weiß, dass das sehr viele Informationen auf einmal sind und das alles sehr kurzfristig kommt, aber aus Gründen, mit denen ich Sie nicht langweilen möchte, sind die finalen Entscheidungen erst gestern gefallen und der Job als Journalist ist nunmal sehr dynamisch. Also, an die Arbeit."

Etwas überwältigt standen Monsieur Di Lorenzo und ich auf und verließen das Büro, die Sekretärin gab uns wie angekündigt den Zeitplan und ich schluckte schwer, als ich ihn durchlas. Das würden zwei sehr stressige Wochen werden, aber natürlich mussten wir den Artikel noch vor den Wahlen in Italien rausbringen, weshalb jetzt alles so schnell gehen musste.

"Die Fahrtzeiten sind ganz schön knapp berechnet", murmelte Monsieur Di Lorenzo, der mir gegenüberstand, "Da ist keinerlei Zeit für Staus mit eingerechnet. Aber wenigstens haben sie Sardinien und Sizilien weggelassen, damit sparen wir uns nutzlose Bootsfahrten."

Ich schaute ihn bloß positiv überrascht an, denn ich war in meinem ganzen Leben noch nie in Italien gewesen und konnte die Fahrtzeiten deshalb kein bisschen einschätzen. Mein Gegenüber bemerkte meinen Blick und begann dann zu grinsen.

"Hallo erstmal, ich bin Thierry."

Schmunzelnd ergriff ich seine ausgestreckte Hand und schüttelte sie.

"Freut mich, ich bin Louanne."

"Okay Louanne, wie wäre es, wenn wir morgen Abend essen gehen und dabei das Projekt besprechen?"

Für einen kurzen Moment zuckten meine Augenbrauen überrascht nach oben, dann nickte ich mit einem verschmitzten Grinsen.

"Das halte ich für eine sehr gute Idee."

"Alles klar, wir treffen uns um 20 Uhr am Haupteingang."

Mit diesen Worten drehte er sich um und ging und ich blieb einen Moment lang stehen und fragte mich, ob wir wirklich Essen gingen, um über das Projekt zu sprechen oder ob ich gerade unwissend einem Date zugestimmt hatte.





Was denkt ihr? Geschäftsessen oder Date? Oder ein Mittelding mit Potenzial zum Date?

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