"Erstens ist das doch völlig egal und zweitens geht es dich nichts an. Wie gesagt, das ist alles lange her und kein Thema mehr", antwortete ich entschlossen.

"Na ja, es ist für dich vielleicht kein Thema mehr, aber für sehr viele Menschen im Internet ist es eins. Was wirst du jetzt machen?"

"Gar nichts. Gerüchte kommen, Gerüchte gehen. Ich warte einfach ab bis sie verschwinden."

Jolie wollte gerade etwas antworten, als mein Telefon klingelte und den Namen von Monsieur Roux' Sekretärin anzeigte. Schnell hob ich ab und wurde aschfahl, als sie mich umgehend in sein Büro beorderte. Kaum hatte ich aufgelegt, begegnete ich Jolies mitfühlendem Blick.

"Warten bis es verschwindet scheint keine Option mehr zu sein", stellte sie sachlich fest und ich biss mir verzweifelt auf die Lippe.

"Es könnte ja auch um was völlig anderes gehen", versuchte ich mich selbst zu überzeugen und erntete bloß hochgezogene Augenbrauen von Jolie.

"Warum sollte er das tun? Er hat dich doch gestern schon zu sich kommen lassen, da hat er bestimmt nichts Wichtiges vergessen."

Ich schwieg, weil ich wusste, dass meine Kollegin vollkommen Recht hatte, dann stand ich auf und richtete meine Kleidung.

"Wie sehe ich aus?"

"Wie immer super, aber ausnahmsweise bin ich mir heute nicht sicher, ob dir das bei Monsieur Roux helfen wird."

Gequält erwiderte ich ihren Blick, dann verabschiedete ich mich von ihr und machte mich auf den Weg zum Chef. Unterwegs hatte ich ständig das Gefühl beobachtet zu werden und begann mich unweigerlich zu fragen, wie viele Leute wohl schon von den Gerüchten gehört hatten.

Als ich mein Ziel erreichte, wollte ich mich am liebsten übergeben, aber stattdessen klopfte ich an Monsieur Roux' Tür und betrat auf seine Anweisung hin das Büro.
Zum ersten Mal seit ich hier arbeitete, wurde ich nicht mit einem charmanten Lächeln begrüßt und mir wurde sofort klar, dass das alles andere als ein angenehmes Gespräch werden würde.

"Mademoiselle Vinet, gut. Setzen Sie sich."

Ich folgte seiner Aufforderung, dann herrschte einige Sekunden lang Schweigen und mein Chef sah ein paar Unterlagen auf seinem Tisch durch. Schließlich nahm er zwei Blätter und legte sie vor mich hin und ich spürte sofort, wie mein Herzschlag sich beschleunigte.

Das eine war ein Bild von früher, etwa sechs bis sieben Jahre alt. Pierre und ich standen eng umschlungen am Strand und grinsten in die Kamera und wenn die Situation gerade eine andere gewesen wäre, hätte mir der Anblick wahrscheinlich ein nostalgisches Lächeln auf die Lippen gezaubert.
Das zweite Foto war von Sonntagnachmittag und zeigte, wie Pierre mir sein T-Shirt gab.

Unsicher löste ich meinen Blick von den Aufnahmen und schaute wieder zu meinem Chef, dessen Miene wie versteinert wirkte. Erst als er zu sprechen begann, konnte ich ihm ansehen, dass er wütend und enttäuscht war.

"Diese und weitere Bilder kursieren gerade in sämtlichen sozialen Netzwerken und ich war zugegebenermaßen sehr überrascht, als ich erfahren habe, dass sie existieren und was dahintersteckt. Möchten Sie sich dazu äußern, Mademoiselle?"

"Ich kann Ihnen die Bilder erklären, wenn es das ist, was Sie hören wollen", antwortete ich so ruhig wie möglich.

"Ich habe mich noch nicht entschieden, was ich von Ihnen hören möchte, aber mir die Bilder zu erklären wäre sicherlich ein guter Anfang."

Nervös legte ich meine Hand auf das linke Bild und versuchte dem Blick meines Chefs nicht zu sehr auszuweichen, ihn aber auch nicht mit anhaltendem Blickkontakt zu provozieren.

"Das müsste ein Urlaubsschnappschuss von vor sechs oder sieben Jahren sein. Zu sehen sind mein damaliger Freund und ich. Und das hier", meine Hand wanderte zum rechten Blatt, "ist eine Aufnahme von Sonntagnachmittag. Ein Mechaniker hat Wasser weggekippt und mich dabei getroffen. Weil ich klatschnass war, hat der Formel-1-Fahrer, der zufällig in diesem Moment aufgetaucht ist, mir geholfen, indem er mir sein T-Shirt zum Überziehen gegeben hat. Ich hatte eine weiße Bluse an, durch die man alles durchgesehen hat, deshalb hat er das gemacht und mir anschließend einen Hoodie von sich gegeben, weil ich natürlich keine trockenen Wechselsachen dabei hatte."

Ich verstummte und unterdrückte den Drang, auf meiner Lippe herumzubeißen.

"Haben Sie bei Ihrer Erklärung nicht noch etwas vergessen? Zum Beispiel die Tatsache, dass Ihr damaliger Freund und der hilfsbereite Formel-1-Fahrer ein und dieselbe Person sind?"

"Nein, das habe ich nicht vergessen, sondern bewusst weggelassen, weil es keine Rolle spielt", antwortete ich so selbstsicher wie möglich.

"Es spielt sehr wohl eine Rolle, Mademoiselle Vinet! Glauben Sie wirklich, ich hätte Sie mit diesem Artikel betraut, wenn ich gewusst hätte, dass einer der Fahrer, den sie interviewen sollten, Ihr Exfreund ist?"

"Ex-Verlobter", korrigierte ich, weil ich Angst hatte, dass ich es bloß noch schlimmer machen würde, wenn Monsieur Roux von jemand anderem als mir erfahren würde, dass Pierre nicht bloß mein Exfreund war.

"Sie waren verlobt? Das wird ja immer besser!"

Die Stimme meines Chefs war zunehmend lauter geworden und ich zuckte zusammen, als er mit der Faust auf den Schreibtisch donnerte.

"Ich habe Ihnen diese Chance gegeben, weil ich davon ausging, dass sie am besten dafür geeignet sind. Aber offensichtlich sind Sie dümmer, als ich gedacht habe, denn sonst wären Sie von selbst darauf gekommen, dass Sie alles andere als die Richtige für den Job sind!"

"Bei allem Respekt, ich war die Richtige für den Job. Sie haben mich selbst für meine Artikel gelobt und den ersten Kommentaren in der Online-Version habe ich entnommen, dass auch die Leserschaft meine Arbeit als sehr gut erachtet. Meine Beziehung mit Pierre Gasly ist seit fünf Jahren beendet und spielt deshalb absolut keine Rolle mehr und das ist der Grund, weshalb ich Ihnen nichts davon gesagt habe, als Sie mir den Auftrag erteilt haben. Es hatte keinerlei Relevanz für mich und für ihn auch nicht, wie sich bei unserem Interview herausgestellt hat. Sie können seinen Pressemanager gerne fragen, aber er wird Ihnen versichern, dass wir uns vollkommen professionell verhalten haben."

Meine Stimme war ebenfalls lauter geworden, aber ich brüllte bei weitem nicht so wie Monsieur Roux, was vielleicht auch daran lag, dass ich ihn gerade angelogen hatte.
Es war mir nicht völlig egal gewesen, dass ich Pierre interviewen musste und auf unsere Professionalität hatten wir uns auch erstmal einigen müssen, weshalb ich schon jetzt zu beten anfing, dass mein Chef meinem Vorschlag nicht Folge leisten und Pierres Pressemanager anrufen würde.

Angespannt beobachtete ich, wie Monsieur Roux sich die Bilder ansah, die bis eben noch vor mir gelegen hatten, dann seufzte er tief und schüttelte leicht den Kopf. Ich befürchtete das Schlimmste, aber als er den Blick hob und mich ansah, hatte ich das Gefühl, dass er nicht mehr ganz so sauer war wie vorher.

"Dass ich sehr enttäuscht über Ihr Verhalten bin, haben Sie sicher bemerkt. Ich pflege hier ein Prinzip der Transparenz und Offenheit und das erwarte ich auch von all meinen Mitarbeitern, besonders von denen, die eine solche Chance von mir bekommen. Um eine bezahlte Reise nach Südfrankreich hätten sich einige Ihrer Kollegen ohne zu Zögern gerissen, das ist Ihnen hoffentlich klar. Und Ihnen sollte auch klar sein, dass ich so etwas nie wieder erleben möchte. Ab jetzt sprechen Sie solche Dinge sofort aus, damit sämtliche Aspekte in eine Entscheidungsfindung miteinbezogen werden können. Weil Sie erst seit einem halben Jahr hier sind und das der erste Vorfall dieser Art war, sehe ich von Sanktionen ab und möchte Sie jetzt auch nicht weiter von Ihrer Arbeit fernhalten. Seien Sie jedoch versichert, dass ich Ihren Chef dazu anhalten werde, in nächster Zeit ein besonders strenges Auge auf Sie zu haben, um sicherzugehen, dass meine Botschaft wirklich bei Ihnen angekommen ist."

Ich nickte, um zu zeigen, dass ich verstanden hatte, dann ließ Monsieur Roux mich gehen und ich kehrte drei Zentimeter kleiner in mein Büro zurück, wo ich den Rest des Tages meinen ursprünglichen Plan in die Tat umsetzte und mich vor der Welt zu verstecken versuchte in der Hoffnung, dass wenn ich das nächste Mal in die sozialen Medien schauen würde, sämtliche Fotos von mir verschwunden wären.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now