"Das wäre wirklich cool", stimmte ich ihr zu, dann ließ sie mich los und ich wandte mich an Esteban.

"Du kannst dich ja mal melden, wenn es dich zufällig nach Paris oder in die alte Heimat verschlägt und dann schauen wir mal, ob wir was daraus machen können", schlug ich vor und er nickte lächelnd.

"Das mach ich auf jeden Fall. Mach's gut, Lou."

"Du auch. Tschüss Elena."

"Tschüss Lou."

Ich hob zum Abschied die Hand und die beiden taten es mir gleich, dann drehten sie sich um und liefen weg. Einen Moment lang schaute ich ihnen hinterher, dann drehte ich mich ebenfalls um und lief in die entgegengesetzte Richtung.

Aus irgendeinem Grund zog es mich zur Rennstrecke, denn ich wollte noch einen letzten Blick riskieren.
Einen Blick auf das, was meine Zukunft mit Pierre bedeutet hätte.
Einen Blick auf das, was hätte sein können.

Mittlerweile war deutlich weniger los, die Teams hatten längst mit dem großen Aufräumen begonnen und ich war eine der wenigen, die zur Strecke hin und nicht von ihr weg liefen.
Als ich die Boxengasse erreichte, hielt ich instinktiv inne und ließ meinen Blick wandern. Vor und in den Garagen herrschte reges Treiben von Mechanikern und anderen Teammitgliedern, einige Reporter und Kamerateams liefen noch herum und auf den Tribünen konnte ich auch noch ein paar Leute entdecken.

Nachdenklich lief ich weiter und kletterte durch ein Loch im Zaun auf die Rennstrecke, was mir unwillkürlich ein Lächeln auf die Lippen zauberte.
Der Asphalt war noch warm und wenn mich hier nicht jeder hätte sehen können, hätte ich mich wahrscheinlich auf den Boden gelegt und mir von den Gummiabrieben der Reifen erzählen lassen, was heute alles passiert war.
Aber ich tat es nicht, sondern blieb lächelnd stehen und atmete tief den Geruch ein, der mir von früher noch so vertraut war.

Seit Pierre und ich uns getrennt hatten, war ich nie wieder auf einer Rennstrecke gewesen und erst in diesem Moment wurde mir klar, wie sehr ich es vermisst hatte. Allein der Geruch erinnerte mich an meine Kindheit und Jugend, an unbeschwerte Zeiten, an Versteckspiele zwischen herumstehenden Karts und heimliche Küsse hinter Reifenstapeln.

Seufzend ließ ich meinen Blick ein letztes Mal über die Umgebung schweifen, dann lief ich zurück in die Boxengasse und trat den Heimweg an.
Allerdings kam ich nicht weit, denn als ich um eine Ecke bog, wurde ich plötzlich von einer eiskalten Ladung Wasser erwischt, die mich komplett durchnässte. Sofort entfuhr mir ein spitzer Schrei und ich riss erschrocken die Augen auf, dann entdeckte ich einen Mechaniker, der mich entschuldigend ansah.

"Oh verdammt, das tut mir wahnsinnig Leid! Ich hab dich nicht um die Ecke kommen sehen und das Wasser einfach weggekippt", entschuldigte er sich sofort und ich brauchte bloß ein schwaches Nicken zustande.

Mein Schrei hatte mir natürlich jede Menge Blicke eingebracht und als ich bemerkte, dass mindestens zwei große Kameras auf mich gerichtet wurden, spürte ich, wie sich Panik in mir breit machte. Zu allem Überfluss erklang in diesem Moment eine mir nur zu gut bekannte Stimme.

"Was ist hier los?", fragte Pierre und ich drehte mich ruckartig zu ihm um.

"Ich hab sie aus Versehen mit dem Wasser getroffen", erklärte der Mechaniker und erst jetzt fiel mir auf, dass er einen AlphaTauri-Overall trug. Na toll, hätte mir das nicht wenigstens bei einem anderen Team als dem von Pierre passieren können? Entnervt schaute ich an mir runter und stieß im nächsten Moment einen Fluch aus.

"Verdammt!"

Ich trug eine weiße Bluse. Eine weiße Bluse, die jetzt klatschnass war. Super, wenn es mal scheiße lief, dann natürlich gleich so richtig.

Pierre war meinem Blick gefolgt und bevor ich etwas tun oder sagen konnte, hatte er sich sein T-Shirt über den Kopf gezogen und hielt es mir hin.

"Zieh das an, die Kameras dahinten warten nur darauf deine nasse Bluse und alles, was drunter ist von Nahmen aufzuzeichnen."

Weil ich wusste, dass er Recht hatte, zögerte ich nicht eine Sekunde und schlüpfte in sein Shirt. Womit ich nicht gerechnet hatte, war die Tatsache, dass sein Geruch, der mir dabei in die Nase stieg, alle meine Sinne betörte. Ich hatte plötzlich das Gefühl, keinen klaren Gedanken mehr fassen zu können und mein Herz klopfte mir bis zum Hals.

"Wenn du nicht in spätestens einer halben Stunde eine Internetberühmtheit sein willst, solltest du hier weg und dich abtrocknen", bemerkte Pierre mit ruhiger Stimme und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: "Komm mit, ich hab sicher noch irgendein trockenes T-Shirt für dich."

Einen Augenblick lang starrte ich ihn einfach nur an und konnte nicht glauben, was hier gerade geschah, dann nickte ich wie ein Roboter und folgte Pierre in die Garage.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now