Zu dritt liefen wir hoch aufs Dach und machten es uns dort eine Weile gemütlich, dann musste Esteban los und Elena und ich blieben allein zurück, was kein Problem war, weil wir genau wie gestern genug Themen fanden, über die wir uns unterhalten konnten.
Nachdem wir das dritte freie Training geschaut hatten, kehrten wir aufs Dach zurück und machten im warmen Sonnenlicht ein paar Fotos voneinander und zusammen, wobei ich Elena bat, kein Foto mit mir zu posten, was sie ohne zu zögern akzeptierte. Dann kam Esteban bereits zurück ins Motorhome und wir aßen wieder alle gemeinsam zu Mittag bevor die Qualifikation anstand.

Weil Elena von der Garage aus zuschauen wollte, ich aber nicht riskieren wollte, dass mich dort irgendwelche Kameras entdeckten und ich auch nicht alleine im Motorhome bleiben wollte, verabschiedete ich mich von den beiden und machte mich auf die Suche nach einem anderen Ort dafür.

Aber natürlich hatte das Schicksal wieder einen Schlag ins Gesicht für mich parat, denn kaum hatte ich einige Meter im Paddock zurückgelegt, entdeckte ich zwei bekannte Gesichter, die mich im selben Moment ebenfalls bemerkten. Weil ich nicht unhöflich sein wollte, bemühte ich mich um ein schwaches Lächeln und blieb genauso wie Pierres Eltern stehen, weil sie offensichtlich mit mir reden wollten.

"Lou, das ist aber eine Überraschung", begrüßte Pascale mich und ich schaffte es nur unter großer Anstrengung, dem Blick von Pierres Mutter nicht auszuweichen. Stattdessen kämpfte ich um das Lächeln auf meinen Lippen und nickte. Ihre Überraschung schien echt zu sein, also hatte Pierre meine Anwesenheit seinen Eltern gegenüber wohl nicht erwähnt.

"Ja, für mich auch", antwortete ich lahm, weil ich keinen blassen Schimmer hatte, was ich hätte sagen sollen.

"Was machst du hier?", erkundigte Jean Jacques sich mit ruhiger Stimme, aber im Gegensatz zu Pascale und mir ohne den kleinsten Hauch Freundlichkeit im Gesicht.

"Ich bin Journalistin und muss für den Kollegen einspringen, der normalerweise über Sport berichtet."

"Journalistin, wie schön", kommentierte Pascale meine Aussage zögerlich, dann brachte sie endlich die Frage über die Lippen, die ihr wahrscheinlich schon auf der Zunge brannte seit sie mich entdeckt hatte: "Weiß Pierre, dass du hier bist?"

"Ja, ich hatte am Mittwoch ein Interview mit ihm für meinen Artikel."

"Oh, er... er hat gar nichts... na ja, nicht so wichtig. Wir müssen dann jetzt zur Box, um das Qualifying zu sehen", antwortete Pierres Mutter hastig und ich nickte verständnisvoll.

"Natürlich, es geht ja schon bald los. Also dann... dann macht's gut und habt noch ein schönes Wochenende", verabschiedete ich mich unsicher und bekam zumindest von Pascale ein gequältes Lächeln.

"Ja, du auch."

Mit diesen Worten setzten Pierres Eltern ihren Weg fort, ich dagegen blieb einen Moment lang stehen und schloss die Augen. Oh mein Gott, war das unangenehm gewesen!
Wieso mussten sie ausgerechnet an dem Wochenende hier sein, an dem ich auch hier war?

Aber jetzt war es passiert und ich konnte nichts daran ändern, also versuchte ich das Aufeinandertreffen mit Pascale und Jean Jacques zu vergessen und setzte stattdessen meine Suche nach einem Ort zum Qualifyingschauen fort. Letztendlich fand ich einen Bildschirm, vor dem jede Menge andere Leute mit Presseausweisen standen und stellte mich einfach dazu.

Pierres Trainingssessions waren recht gut gelaufen, aber leider konnte er diesen Trend nicht fortsetzen, sondern schied knapp in Q1 aus, was mich mitleidig das Gesicht verziehen ließ. Esteban hatte im Training nicht wirklich gute Zeiten setzen können und auch im Qualifying lief es für ihn nicht wie erhofft, aber er schaffte es zumindest auf P12. Ihre jeweiligen Teamkollegen hatten es beide in Q3 geschafft, was sowohl Pierre als auch Esteban ärgern würde, aber Punkte gab es erst morgen im Rennen, also war noch nichts entschieden.

Nach der Session traf ich mich wieder mit Elena im Motorhome von Alpine, wo wir auf Esteban warten wollten, aber kaum hatten wir es betreten, klingelte mein Handy und zeigte eine mir unbekannte Nummer an, was mich nachdenklich die Stirn runzeln ließ.

Ich sagte Elena schnell, dass ich kurz hierbleiben würde, um zu telefonieren und sie schonmal aufs Dach gehen sollte, wo wir eigentlich hin wollten. Sie tat es und ich nahm so schnell wie möglich den Anruf entgegen.

"Vinet?"

"Mademoiselle Vinet, hier ist Etienne Roux."

Als mein Chef seinen Namen nannte, spannte ich mich automatisch an.

"Hallo Monsieur Roux."

"Ich möchte Sie gar nicht lang aufhalten, aber ich habe gerade Ihren Artikel über die beiden Rennfahrer gelesen und er ist großartig. Ich habe keine Sekunde lang daran gezweifelt, dass Sie tadellose Arbeit abliefern werden, aber mit ein paar Schwierigkeiten wegen des unbekannten Fachbereichs hatte ich durchaus gerechnet."

Die Freude über das Lob ließ mich ein wenig erröten und ich begann unwillkürlich zu lächeln. Es war sowieso schon etwas besonderes, dass Monsieur Roux den Artikel überhaupt gelesen hatte, aber dass er mich dann auch noch extra anrief, um mir zu sagen, dass er ihn gut fand, war der Wahnsinn.

"Vielen Dank für das Kompliment. Ich hoffe, dass Ihnen der zweite Artikel genauso gut gefallen wird."

"Mit Sicherheit, mit Sicherheit. Nun, ich möchte Sie nicht weiter aufhalten, Mademoiselle. Ich erwarte den zweiten Artikel genauso pünktlich und gut ausgearbeitet wie den ersten."

"Natürlich. Vielen Dank für den Anruf."

"Gern geschehen. Auf Wiedersehen, Mademoiselle Vinet."

"Auf Wiedersehen."

Er legte auf und ich starrte einige Sekunden lang fassungslos auf mein Handydisplay, dann breitete sich ein stolzes Grinsen auf meinen Lippen aus. Monsieur Roux gefiel meine Arbeit richtig gut, vielleicht würde er sich das merken und es meinem Abteilungsleiter sagen, sodass meine Chancen auf eine Beförderung stiegen.

Die ganze Quälerei, das Wiedersehen mit Pierre und all den anderen Schatten meiner Vergangenheit hatte sich gelohnt! Dieser Gedanke konnte mich tatsächlich ein bisschen über die Strapazen dieser Woche hinwegtrösten und für den restlichen Tag war das Grinsen nicht mehr aus meinem Gesicht zu kriegen.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now