[prologue] the lighter

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"Als ich dich das erste Mal sah, sah ich dich an, wie es jeder Fremde tun würde.
Ich war nicht im Besonderen erregt, ich war nicht wie vom Blitz getroffen, ich dachte nicht einmal, wie ich es sonst immer tat, 'scheiße, wie hübsch, und tja, dich sehe ich hier einmal und dann nie wieder'.

Ich muss sagen, hätte ich dich genauer angesehen, wärst du vielleicht ein kurzer Crush gewesen, der mir mal wieder vor Augen führt, wie blöd es ist, nicht den Mut zu haben, andere anzusprechen.

Aber ich war beschäftigt mit meinen eigenen Gedanken; mein Vater, meine Mutter und meine Schwester waren bereits vorgefahren und ich hoffte dringend darauf, dass der Bus sich nicht verspätete.

Ich war auf dem Weg zu einer Party - einer der vielen Veranstaltungen, auf die meine Mutter mitsamt Begleitung geladen wurde, weil sie Mitglied bei einer Tanzgruppe war.

Sie selbst tanzte nicht mehr, aber trotzdem verbrachte sie fast jeden Nachmittag und Abend im Beisein der anderen Mitglieder; es war für sie wie eine Art Familie.
Ich war früher oft mitgekommen. Doch nun verbrachte ich die Abende und Nächte mit dem Lernen, mehr oder weniger, da mein Abschluss bevorstand.

Mehr blickte ich natürlich auf mein Handy - ich legte unvorteilhaft lange Pausen ein und überredete mich am Ende dann doch dazu, mich schlafenzulegen - 'das war doch eh alles bloß Grundwissen', 'wird schon schiefgehen'.

Ich hatte einen Cousin, Milan, den ich beim letzten Familientreffen vor zwei Monaten getroffen hatte.
Er und ich waren draußen gewesen, auf der Terrasse, und er hatte mir eine Zigarette angeboten.

Seitdem rauche ich, und ich komme nicht davon los.

Der Bus hatte sich inzwischen schon acht Minuten verspätet. Ich zog mir eine Zigarette aus der zerfledderten Packung.

Normalerweise traute ich mich nicht, in aller Öffentlichkeit zu rauchen.
Meistens verzog ich mich von Zuhause aus hinter irgendein Gebüsch und hockte da dann in dem nassen Gras und im Matsch, bis ich fertig war.

Ich steckte mir die Zigarette zwischen die Lippen und suchte in meiner Jackentasche nach einem Feuerzeug. Vergeblich, ich hatte es vergessen.

Wütend wollte ich die Zigarette wieder einstecken, als ich sah, wie du rauchtest. Und die Worte kamen aus meinem Mund, ein Glück, dass ich nicht erst fünf Minuten überdacht habe, ob und was und wie ich dich ansprechen soll.

'Hey, hast du ein Feuerzeug?'

Und du blicktest mich an, vielleicht kam es mir nur so vor, aber für mich war es eine Ewigkeit, in der du mein Gesicht mustertest.
Und ich muss sagen, ich fühlte mich unwohl, denn ich war nicht gerade begeistert von meinem Aussehen, fand mich vielleicht sogar hässlich, also blickte ich zur Seite.

'Klar, hier', sagtest du plötzlich.

Dein Feuerzeug hatte kleine Herzen darauf gemalt, was mich irgendwie irritierte. Ich sah dich nochmal an, du blicktest bereits wieder in die Richtung, aus der der Bus kommen sollte.
Mein Bauch kribbelte plötzlich, denn ich realisierte, wie attraktiv du warst.

Vielleicht war das der Grund, weshalb meine Finger plötzlich unfähig waren, das Feuerzeug anzuknipsen.

'Es funktioniert nicht', informierte ich dich nach einigen erfolglosen und erbärmlichen Versuchen.
'Soll ich es dir anzünden?', fragtest du und ich zuckte mit den Schultern.

Und das war der Moment, in dem du dich vorbeugtest, mein Kinn ein wenig anhobst, und die entzündete Flamme an meine Zigarette hieltst.

Wir waren uns so nah, dass ich deinen Atem auf meiner Haut spürte - zugegeben kein besonders toller Atem, er stank nach Nikotin, aber trotzdem wurde mir schlecht vor Aufregung.

Ich erwartete beinahe, dass du mich gleich wie in einem Traum küsstest - würden wir nicht beide je eine Zigarette zwischen den Lippen klemmen haben.

Sobald meine Zigarette brannte, war die Nähe auch wieder weg, der warme Atem, das warme Feuer, bloß noch Kälte und Gestank. Du stecktest das Feuerzeug ein.

'Danke', meinte ich kaum hörbar und drehte dir ein wenig den Rücken zu; ich erwartete, dass ich rot angelaufen war, mir war heiß.
'Kein Problem', sagtest du und räuspertest dich, anscheinend hattest du dich verschluckt. Warst du etwa auch aufgeregt? Oder bildete ich mir das bloß ein?

Für mich war das Gespräch vorbei. Adios, hübscher Junge, wir werden uns nicht mehr sehen, sobald wir aus dem Bus steigen.
Aber scheinbar wolltest du das Gespräch nicht enden lassen.
'Wohin fährst du?'

Ich drehte mich wieder deinem Gesicht zu und sah dich an. 'Eine Tanzveranstaltung.'
Du hattest tolle Haare.

'Nein, ich auch!', meintest du ein wenig überrascht.
Ich realisierte, dass ich nun mit dir im Bus reden müsste, mit dir aussteigen, mit dir zu spät kommen - war das hier ein wahr werdender Traum oder Albtraum?

'Der Bus', sagtest du, bevor ich antworten konnte. Wir traten unsere Zigaretten auf dem Boden aus und stiegen ein.

'Wie heißt du?', fragte ich, nachdem ich mich neben dich gesetzt hatte.
Du lehntest deinen Rücken ans Fenster; wir hatten die hintere Reihe erwischt, mit fünf Sitzen, und du kostetest beinahe den gesamten Platz aus.
'Eugene', sagtest du. 'Du?'

'Laurie.' Ich überlegte, was ich nun sagen sollte. 'Was tust du auf der Veranstaltung?'

'Tanzen.' Du grinstest. 'Ich habe dich dort noch nie gesehen. Was tust du also auf der Veranstaltung?'

'Meine Familie begleiten. Meine Mutter ist Mitglied und meine Schwester tanzt.'

'Meine Familie kommt nicht einmal, sie interessiert sich nicht besonders dafür.'

'Das tut mir leid.' Ich sah die Trauer in deinem Gesicht, du hattest das Thema bloß angeschnitten, aber es verletzte dich tiefer, als du mir, einem Fremden, je sagen würdest, dass es tut.

'Ist schon gut, ihr Fehler, sie verpassen was. Du musst heute aber auch tanzen." In deiner Stimme klang Herausforderung mit.

'Mit dir?', fragte ich, dumm wie immer. Du sahst ein wenig erschrocken aus. Scheiße. Dann lachtest du. 'Das meinte ich eigentlich nicht. Aber neben der Aufführung, den Danksagungen und dem Büfett sollen heute alle tanzen können, sofern sie wollen.'

'Oh', machte ich nur.

'Wir müssen raus', sagtest du. Ich nickte erleichtert und stand auf.

Als wir aus dem Bus ausgestiegen waren, mussten wir bloß um die Ecke gehen, um zu dem Eingang des Gebäudes zu kommen. So lange redeten wir nicht.

'Ich muss mich beeilen, in die Umkleide zu kommen, wir sind spät dran', sagtest du, als wir mit unseren Einladungen passiert hatten.

'Natürlich, geh nur', sagte ich.

Und ich glaube, du zwinkertest mir zu, bevor du durch die Tür zu den Umkleiden verschwandst."

QuietWhere stories live. Discover now