"Dein Ernst? Glaubst du wirklich, Schweigen bringt dich hier raus? Zur Not schwänze ich die paar Termine, die ich heute noch hab, die sind eh nicht so prickelnd. Also von mir aus können wir hier auch noch bis morgen sitzen."

Genervt verdrehte ich die Augen und brach dann doch mein Schweigen.

"Können wir nicht und das weißt du genau. Solche Eskapaden kannst du dir an einem Rennwochenende nicht leisten."

"Ich hab theoretisch noch Chancen auf den Weltmeistertitel, du wärst überrascht, was die mir deswegen alles durchgehen lassen", antwortete er schlagfertig und grinste dann kurz.

"Glückwunsch dazu übrigens. Nach den beschissenen letzten Jahren wurde es aber auch mal Zeit, meinst du nicht?", fragte ich mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen und verpasste meinem Gegenüber damit einen verbalen Gegenschlag, der ihm das Grinsen aus dem Gesicht wischte. Allerdings nur für ein paar Sekunden, dann hellte sich seine Miene wieder auf und er nickte wissend.

"Du verfolgst also weiterhin die Formel 1, sonst wüsstest du nichts von unseren Schwierigkeiten in den letzten Jahren. Und du beschäftigst dich sicherlich nicht damit, weil du wissen willst, was so passiert. Du guckst es, weil du dich immer noch für Pierre interessierst."

Ich ärgerte mich darüber, dass er diesen - leider korrekten - Schluss aus meinen Worten gezogen hatte und zuckte gespielt unbeteiligt die Schultern.

"Ich verfolge die Formel 1 noch, na und?"

"Du verfolgst in erster Linie Pierre, gib's zu. Wahrscheinlich hast du jedes seiner Rennen geguckt."

"Und wenn? Er war viele Jahre lang ein wichtiger Teil meines Lebens, da wird es ja wohl noch gestattet sein, sich weiterhin dafür zu interessieren, ob er seinen Traum verwirklicht", verteidigte ich mich und erntete bloß ein ungläubiges Kopfschütteln.

"Ich versteh dich nicht, Lou. Du hast Pierre geliebt, das kannst du nicht leugnen. Und wenn du daran gezweifelt hättest, dass du ihn heiraten willst, dann hättest du dich nicht so schnell auf ein Datum festgelegt und dir erst recht noch kein Kleid gekauft. Aber all das hast du getan und dann betrügst du Pierre, erzählst es ihm und kämpfst kein bisschen darum, dich wieder mit ihm zu versöhnen."

"Pierre hätte mir niemals verziehen, dass ich ihn betrogen habe, egal wie sehr ich darum gekämpft hätte", entgegnete ich sofort, auch wenn das gelogen war. Dass Charles das wusste, wurde mir spätestens bei seiner Antwort klar.

"Das ist Blödsinn und das weißt du auch. Er war verrückt nach dir und hätte alles für dich getan. Aber du hast dich nur ein einziges Mal entschuldigt und dann einfach den Dingen ihren Lauf gelassen."

"Willst du mir eigentlich noch irgendeine Frage stellen oder nur deine Vorwürfe loswerden?", platzte es aus mir heraus, weil es mir immer schwerer fiel die Tränen zurückzuhalten, die sich hinter meinen Augen ankündigten.

"Ich will vor allem endlich verstehen, wieso du das getan hast."

"Was, wenn ich das selbst nichtmal weiß?"

"Dann hätte ich mich wahnsinnig in dir getäuscht, denn seit ich dich kenne hast du nur ein einziges Mal etwas getan, ohne darüber nachzudenken."

"Ach ja, und was?"

"Pierres Heiratsantrag. Du hast nicht eine Sekunde gezögert bevor du Ja gesagt hast."

Ich schluckte hart und spürte, wie mir bei der Erinnerung an diesen Moment ein Stich durchs Herz ging.

"Vielleicht war das ja genau der Fehler. Vielleicht hätte ich den Antrag abgelehnt, wenn ich darüber nachgedacht hätte", wisperte ich leise und konnte nur unter größter Anstrengung den Blickkontakt zu Charles aufrechterhalten.

"Das hättest du nicht und das wissen wir beide. Du hast ihn genauso sehr geliebt, wie er dich. Und deshalb weiß ich auch, dass du gelogen hast. Du wusstest genau was passiert, wenn du Pierre betrügst und das lässt mich vermuten, dass du es absichtlich getan hast. Aber wenn das stimmt, dann... dann bist du wirklich ein Monster und wir haben uns alle in dir getäuscht. Haben wir uns alle in dir getäuscht?", fragte der Monegasse mit ruhiger Stimme und einen Augenblick lang erwiderte ich seinen Blick einfach nur stumm.

Das hier hätte der Moment sein können.
Der Moment der Wahrheit.
Der Moment, um mein Handeln von damals zu erklären und reinen Tisch zu machen.

Aber ich brachte die Worte einfach nicht über die Lippen. All die Jahre war es Cocos und mein Geheimnis gewesen, sogar meine Eltern glaubten, ich hätte Pierre betrogen. Es war so viel leichter eine Lüge zu leben, wenn alle um einen herum sie glaubten.

Anfangs hatte nichtmal meine Schwester die Wahrheit gekannt, aber dann... dann waren unvorhergesehene Dinge passiert und ich hatte mich jemandem anvertrauen müssen. Doch bis heute war Coco außer mir der einzige Mensch, der meine Seite der Geschichte kannte und deshalb auch sicher wusste, dass der Betrug ausgedacht gewesen war.

"Lou", unterbrach Charles das Chaos in meinem Kopf, "Haben wir uns alle in dir getäuscht?"

Richtig, er hatte ja eine Frage gestellt, auf die ich ihm immer noch eine Antwort schuldig war.
Hatten sie sich alle in mir getäuscht?
War ich ein Monster?
Ich wusste es nicht.
Ich wusste nur, dass ich dringend hier raus musste, weil ich sonst zusammenbrechen würde. Also krallte ich meine zitternden Finger fester in meine Tasche und stand ruckartig auf.

"Keine Ahnung, aber ich kann nicht hierbleiben."

Mit diesen Worten drehte ich mich auf dem Absatz um, ignorierte Charles, der meinen Namen rief, und stürmte aus dem Motorhome, als sei der Teufel hinter mir her.

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Where stories live. Discover now