Prolog

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Wien, 31. März 2022
Das Ticken der Uhr in der Zentrale machte die unangenehme Stille zwischen meinem direkten Vorgesetzen und mir noch unangenehmer. Wir starrten uns wortlos an. Er war verzweifelt. Ich war es ebenfalls. Aber auch stur und nicht gewillt, meine Meinung zu ändern. Und genau das brachte ihn fortwährend zur Verzweiflung. Die Finger an meiner vernarbten linken Hand hatte ich, wie Krallen ausgefahren, auf die Tischplatte gedrückt. „Nein! Nein, ich werde die unfähigen Kollegen nicht ersetzen und Kanzler-Taxi spielen!“ Mein Vorgesetzter lehnte sich seufzend zurück. „Und was glauben Sie, was Sie sonst noch bei der Cobra machen können?“, fragte er erneut. „Ich bin nicht traumatisiert!“, blaffte ich und sprang vom Stuhl auf. „Sie waren nicht monatelang arbeitsunfähig, um nicht traumatisiert zu sein, verdammt nochmal! Diese Stelle ist Ihre einzige verdammte Chance eines Tages zurück in Ihren ehemaligen Berufsalltag zu gelangen! Wenn Sie diese nicht nutzen, können Sie nicht weiterarbeiten!“, schrie er zurück. Ich blitzte ihn an „Ich kann ganz normal weiterarbeiten! Ich brauche diese lächerliche Stelle nicht, um das zu beweisen!“- „Das sieht Ihr Therapeut aber anders!“- „Zum Teufel soll der sich scheren!“ Ich holte kräftig mit der Hand aus und fetzte den Stapel Unterlagen über meinen Zustand vom Tisch, welcher mir zum Verhängnis geworden war. „Kollegin Zerbes!“, brüllte er mich an, noch bevor die Unterlagen den Boden berührten. „Ich arbeite im Spezialeinsatz für die Polizei und nicht in der Erwachsenenbetreuung!“- „PERSONENSCHUTZ!! Es heißt Personenschutz!“- „Mir doch egal, wie das heißt!“, keifte ich. Er schnaubte. „Sie sind traumatisiert! Und damit können wir Sie nicht länger unmittelbar drohenden Gefahren aussetzen!“- „WIESO NICHT?!“, keifte ich zurück. Er schnaubte erneut. Sein Gesicht war bereits rot angelaufen. „Ich erkläre das nicht noch hundert Mal…“
Vor acht Monaten hatte meine Cobra-Einheit einen besonders schwierigen Fall zugeteilt bekommen. Es galt einen Stützpunkt der albanischen Mafia auszuheben, wofür wir kurzfristig unsere Kollegen am Balkan vor Ort unterstützten. Das sollte ein Einsatz werden, den ich niemals wieder vergessen sollte. Mindestens 63 Schüsse hatte ich während des Einsatzes mit meiner eigenen Waffe abgegeben und mindestens sieben Menschenleben gingen dabei auf mein Konto. Von all den Kindern konnte ich nur zwei retten. Eines davon verlor an Ort und Stelle noch das Augenlicht und ich beinahe meinen linken Arm. Und mein Kollege unmittelbar vor mir das Leben. Nach diesem Einsatz war nichts mehr, wie es vorher war und ja, ich gebe zu, ich bin auch nicht mehr die, die ich vorher war. Aber genau deshalb sah ich keinen Sinn darin, mich meiner Einheit abzuziehen und mich zu „normalen“ Menschen mit „normalen“ Leben zu schicken. Ich hatte Wut im Bauch und mein Hass wollte ein weiteres Mal Mafiosi Kugeln in den Kopf schießen. Ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Rücksicht darauf, ob nicht auch am Ende des Tages in meinem Kopf eine Kugel stecken könnte.
„… und Sie wissen auch, dass sich sowieso nichts ändern wird!“ Er blitzte mich ein weiteres Mal an. „Wenn ein frühzeitiger Ruhestand für Sie nicht in Frage kommt, dann haben wir nur diese eine Möglichkeit für Sie, weiterhin bei der Cobra zu arbeiten!“ Meine Mundwinkel fingen an zu zucken und ich ließ mich zurück in den Sessel fallen. „Nochmal, ich bin kein Kindermädchen, sondern Mitglied einer Polizeispezialeinheit! Warum kann ich nicht zumindest innerhalb der Staatsgrenzen noch Einsatzbereitschaft haben??“ Er schlug mit der Faust so kräftig auf den Tisch, dass Kaffeetassen klirrten und sich noch weitere Papiere in Richtung Boden begaben. „Entweder Sie nehmen diese verdammt gute und verdammt nochmal einmalige Gelegenheit wahr, bei der Cobra zu bleiben, oder Sie gehen. Das ist dann Ihre Entscheidung und auch Ihre Verantwortung! Sie… Sturschädel!“ Ich kniete mich wütend auf den Boden und zerriss jedes meiner psychologischen Gutachten, das mir bei der unterkam. „Frau Zerbes… Felicitas… FELICITAS!“ Ich unterbrach mein kopfloses Zerreißen und blickte ihm in die Augen. „Ich verspreche Ihnen, Sie können jeden verdammten Tag zu mir kommen und kündigen. Und vom Morden, egal ob mit oder ohne Dienstmarke, kann ich Sie nicht abhalten. Aber bitte geben Sie sich selbst die Chance, irgendwann einmal wieder ein halbwegs normales Leben zu haben“. Ich versuchte, die Tränen zurückzuhalten. „Versuchen Sie es, bitte“- „Ich kann das nicht“- „Natürlich können Sie das! Das ist Ihre Chance, noch einmal umzukehren und einen anderen Weg einzuschlagen. In dieser Position können Sie beweisen, dass Sie nach wie vor geeignet sind, bei der Cobra zu arbeiten. Ich kann Ihnen nicht versprechen, dass Sie wieder ihre ehemalige Stellung zurückbekommen, aber ich kann es auch nicht ausschließen. Das ist die einzige Chance, die Sie haben“.
Ehe ich mich versah und ich es richtig begreifen konnte, durchwühlte ich die auf dem Boden liegenden Zettel nach dem Dienstvertrag, den ich unterschreiben sollte. „Gott, Felicitas, ich habe noch mindestens vier weitere Kopien!“, seufzte er. Zumindest zwei Kopien hat es gebraucht, da ich die erste Ausfertigung in Brand gesteckt und die zweite vor seinen Augen zerrissen hatte. Es wunderte mich wirklich, weshalb man mich noch überhaupt mit Menschen arbeiten ließ. Ich setzte mich wieder hin und mein Vorgesetzter legte mir den Vertrag vor. Er hatte zweifelsohne darum gekämpft, mich bei der Cobra halten zu können. Aber ich konnte ihm dafür nicht dankbar sein. Einmal ganz schnell fetzte ich meine Unterschrift mit so viel Druck, dass das Papier zerriss, neben das X vor dem Strich und pfefferte dieses meinem Vorgesetzten entgegen. „Da“. Ich stand auf und verließ sein Büro. Noch bevor ich die Zentrale verlassen hatte, riss ich mir das Zopfgummi von den Haaren, schlug mit Fäusten und trat mit Füßen gegen Wände und schrie. Nein, ich war absolut alles andere als geeignet für den Dienst im Personenschutz.

Die Staatsaffäre 2Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt