Kapitel 1

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 Liam pov.

In einem prunkvollen Schloss zu leben, kann schön sein. Lange Flure, riesige Säle und teuer gestaltete Schlafräume. Jeden Tag drei warme Mahlzeiten, zubereitet von Angestellten, die dafür sorgen, dass man selbst keinen Finger rühren muss. Der große Garten mit Pool, den man dank der Heizung auch an kalten Tagen benutzen konnte. Eine Bibliothek, die so umfangreich ist, dass man in seinem ganzen Leben nicht alle Bücher darin lesen könnte. Ja, das Leben in einem Schloss klingt wundervoll, nicht wahr?

 Tja, lasst euch eins sagen: Das ist es ganz und gar nicht. Zumindest nicht, wenn man von dem ganzen luxuriösen Zeug nichts abbekommt, sondern im dunklen Keller des Schlossen in einem, nicht gerade gemütlichen, Zimmer leben muss. Kaum vorstellbar für den Sohn der Königin, oder? Aber so ist das nun mal, wenn der König nicht will, dass irgendjemand von deiner Existenz erfährt, weil du aus der Untreue deiner Mutter entstanden bist. Der König möchte unter keinen Umständen einen Jungen als Nachfolger haben, der nicht von seinem Blut abstammt. Und weil er die Macht über ein ganzes Land verfügt, dachte er wohl, er könnte jetzt auch die Kontrolle über mich übernehmen.

 Aus diesem Grund saß ich jetzt auf meinem kleinen Bett und schlang die dünne Decke enger um meinen, vor Kälte zitternden, Körper. Die Tür meines 'Zimmers' war abgeschlossen. Nicht, dass ich noch irgendwem über den Weg lief. Das einzige, was ich den ganzen Tag machte, war lesen, obwohl sich selbst das als schwierig erwies, wenn man nur drei Bücher zur Verfügung stehen hatte. Ich durfte mein Zimmer nur verlassen, wenn es Essen gab oder ich in den Garten ging, der zum Glück von hohen Hecken umrundet war. Insgesamt ist mein Leben also nicht wirklich das, was man sich von einem Leben in einem Schloss wünschte. Nicht einmal Freunde hatte ich. Es gab viele Jugendliche in meinem Alter, aber mit Leuten, die man nie traf, konnte man schlecht Freundschaften aufbauen. Niemand kannte meine wahre Identität außer meiner Mutter, der König und einer der Diener. Daran würde sich wohl nie etwas ändern. Alle anderen in diesem Schloss kannten mich entweder nicht oder hielten mich für den Sohn einer der Angestellten.

Mit einem leisen Knarzen öffnete sich die Tür und die Silhouette meiner Mutter erschien im Türrahmen. Verwirrt schaute ich sie an. Sie kam selten zu mir und wenn dann im Auftrag des Königs, allerdings war es mitten in der Nacht und der König lag schon längst im Bett. Sie trat in den Raum und legte wortlos einen Stapel mit Decken und Pullovern auf mein Bett. Dann drehte sie sich um und verließ den Raum so schnell wie sie ihn betreten hatte. Nicht einmal schaute sie mich dabei an. Die Tür fiel ins Schloss und hinterließ eine angenehme Stille. Das einzig gute hier unten. Die lauten Geräusche, die tagsüber und auch nachts von den arbeitenden Dienern ausgingen, wurden hier unten von den dicken Wänden verschluckt. Ich schnappte mir den dicksten Pullover von dem Stapel und zog ihn über meinen Kopf. Dann legte ich mich wieder hin und kuschelte mich in die Decken.

 Das erste Mal seit sehr langer Zeit wurde ich von Wärme umhüllt. Meine Gliedmaßen tauten wieder auf und ich konnte endlich wieder meine Fingerspitzen bewegen. Ich schloss seufzend die Augen und konzentrierte mich auf das warme Gefühl, das sich in meinem Körper ausbreitete. Es wunderte mich nicht, dass meine Mutter mich ignorierte und gleichzeitig versorgte. Der König hatte sie genauso unter Kontrolle wie alle anderen. Sie hatte den strikten Befehl so zu tun, als wäre ich ein niemand, kein lebendiges Wesen und schon gar nicht ihr Sohn. Wenn sie sich nicht an die Regeln hielt, würde der König sie verlassen und das hieß für meine Mutter ewige Verspottung der Bevölkerung. Wenn ein König seine Königin verließ oder andersrum, musste das einen schwerwiegenden Grund haben.

 In den Augen der Menschen konnten dafür nur zwei Dinge verantwortlich sein: Untreue oder finanzielle Gründe. Dass die zwei einfach die Liebe zum anderen verloren hatten, kam nicht in die Tüte. Wenn der König also meine Mutter verließ, würde sie all das Geld verlieren und dazu noch zum Gespött unter allen Leuten werden. Dass ich ein Fehler war und immer noch bin, wurde mir oft genug klargemacht. Trotzdem weiß ich, dass meine Mutter mich nicht so sah. Bevor der König von mir erfahren hatte, war sie eine liebende Frau, die sich um mich gekümmert hat. Zwar war ich zu dem Zeitpunkt auch schon ein Geheimnis, aber wenigstens nicht in einen dunklen Keller eingesperrt.

 Erst als meine Mutter ihrem Mann alles gebeichtet hatte, wurde sie kalt und nach außen emotionslos. Sie war damit einverstanden, mich wegzusperren und meine Existenz zu verleugnen. Ihr war es auf einmal egal, wie es mir ging oder ob ich genug gegessen hatte. Aus der barmherzigen Mutter wurde eine Marionette des Königs. Alles war ihr lieber als vor dem Volk der Ehebrechung beschuldigt zu werden, selbst wenn das hieß ihren eigenen Sohn wie eine Kanalratte behandeln zu müssen. Mit Tränen in den Augen versuchte ich endlich einzuschlafen, doch der Wind, der immer wieder gegen das Fenster wehte, hielt mich ab. 

Nach 5 Minuten setzte ich mich genervt auf und schaute raus aus dem Fenster. Ein dicker Ast kratzte an die Fensterscheibe und selbst in der Dunkelheit konnte ich die weißen Spuren sehen, die er hinterließ. Plötzlich tauchten in dem Dunkel der Nacht zwei rote Punkte auf und der Ast wurde von einer Hand runtergedrückt. Geschockt beobachtete ich die leuchtenden Augen, die mich fixierten und in weniger als einer Sekunde verschwunden waren. Ich kniff meine Augen zusammen und schaute nochmal nach draußen, aber statt roten Augen war das einzige, was ich sah der Ast des Baumes, der im Wind hin und her wippte. 

Der Schlafentzug wirkte sich wohl schon auf mein Gehirn aus. Ich ließ mich zurück in das unbequeme Kissen fallen. Morgen würde adeliger Besuch aus dem benachbarten Land kommen und der König hatte ausnahmsweise erlaubt, dass ich mit den Gästen speisen durfte, wenn ich mich ruhig verhielt und keine unnötige Aufmerksamkeit erregte. Wahrscheinlich würde mich das Königspaar sowieso nicht wahrnehmen oder denken ich wäre ein obdachloser Junge, dem der König, so nett wie er war, eine warme Mahlzeit spendierte. Meine Mutter würde nur daneben sitzen, den Worten des Königs lauschen und sich so wenig wie möglich in das Gespräch einbringen. Ich wusste, dass sie mich immer noch liebte, nur war es ihr untersagt diese Liebe nach außen hinauszutragen.

Whisper Inside (Ziam/ Side Larry)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt