05 - November : Even better than the real thing

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So, die Weinreise, zu der sie eigentlich am nächsten Tag aufbrechen sollten, war auf den Vierundzwanzigsten verschoben worden. Und nun? Einen richtigen Plan, was sie mit dem angebrochenen Nachmittag anfangen konnten, schien keiner von ihnen zu haben. Nur in einem Punkt waren sich Derek und John einig: Ab ins Hotel und die Füße hochgelegt. Litt der Bassist der Simple Minds unter einem Jet Lag, weil seine innere Uhr bereits auf Mitternacht eingestellt war, so versuchte Partylöwe John, gegen seinen Kater von seiner letzten Nacht in den angesagtesten Clubs anzukämpfen.

Wellness und Massagen halfen da nur bedingt, und Derek war sowieso fix und fertig. Adam dagegen fühlte sich fit wie ein Turnschuh. Sollten die beiden Angeschlagenen doch ruhig in ihren Suiten verschwinden, er und Garry nahmen den Lift in den zwanzigsten Stock, um an der Poolbar auf dem Dach noch ein paar Bierchen zu zischen und den Sonnenuntergang zu genießen. Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf die Hollywood Hills frei. Adam war überwältigt: Besser hätten sie es nicht treffen können. Wie gut, dass Suzis Wahl für die kommenden vier Tage auf dieses Luxusresort gefallen war anstatt das von John vorgeschlagene Ritz-Carlton in Betracht zu ziehen, denn an das Hotel mit diesem Namen wollte Garry nur ungern erinnert werden. Seit der Geschichte vor zwanzig Jahren beschlich den INXS-Bassisten massives Unwohlsein, sobald er Wind davon bekam, dass er dort logieren sollte.

Ein Hoch auf Suzis Feinfühligkeit! Eines musste er ihrem Händchen für stilvolle Unterkünfte lassen: Zwar hatte das Chardonnay keinen Infinity Pool, aber mit dieser fantastischen Aussicht schlug es nicht nur das Waldorf Astoria, sondern auch das feudale Anwesen der Taylors um Längen, obwohl es dort nicht nur um einiges zwangloser, sondern auch persönlicher gewesen wäre. Bestimmt gab es dafür eine simple Erklärung, und die ließ nicht lange auf sich warten. Garry nahm noch einen Schluck, blickte nachdenklich an Adam vorbei auf die von Villen durchzogenen Bergketten und ließ zwei Worte fallen: „Dicke Luft."

Oha, er ahnte es schon: Was da auch immer schon vorher vor sich hingeschwelt hatte, das Fass zum Überlaufen gebracht hatte die „liebe Familie". Schwiegermutter-Alarm! Und zwar noch bis Thanksgiving - ein Fest, zu dem keiner von ihnen einen Bezug hatte. Da hatte es wohl so richtig gekracht, doch das allein konnte nicht der Grund für Garrys Einsilbigkeit sein. Sehr löblich, dass er sich nicht hinter dem Rücken seines Freundes über dessen Probleme ausließ, aber dass ihm Johns Familiendrama so nahe ging... Nein, der Hund musste woanders begraben liegen.

„Schon seltsam, manche Zufälle..." - nanu? Hatten sie nicht immer geglaubt, dass es so etwas wie Zufälle nicht gab? - „... wenn ich so darüber nachdenke, dass wir hier doch nicht wegkommen, da könnten wir doch eigentlich übermorgen..."

So gern er Garry auch hatte, aber die Angewohnheit des Australiers, sich jeden Wurm einzeln aus der Nase ziehen zu lassen, wurde mit den Jahren nicht besser. Warum nimmst du nicht noch einen Schluck? Vielleicht fällt's dir dann leichter, und dein Herumgedruckse hat endlich ein Ende.

Ob Gedankenübertragung oder nicht, nachdem er sein Bier geleert hatte, deutete Garry mit dem Flaschenhals auf einen unbestimmten Punkt in der Ferne, irgendwo in den Hollywood Hills und grübelte laut darüber nach, ob sie bei der Gelegenheit nicht einen Abstecher dorthin unternehmen sollten, schließlich sei ja übermorgen der Zweiundzwanzigste, und überhaupt... Zunächst hatte Adam keine Ahnung, wovon sein Freund redete, doch dann fiel es ihm wieder ein. Eine kleine Notiz, eigentlich nur ein Schnipsel, die ihm Garry damals per Post zugeschickt hatte.

Am 20. November 1999 versammelten sich Patricia, Ross und Tina und einige enge Freunde Michaels, um seine Asche auf einem Friedhof in den Hollywood Hills beizusetzen.

Forest Lawn Memorial Park: Natürlich. Wie hatte er nur Michaels zwanzigsten Todestag vergessen können? Für ihn stand außer Frage, dass sie sein Grab besuchten. Da brauchte ihm Garry nicht damit zu kommen, es sei nicht seine Absicht gewesen, ihnen allen die Stimmung zu verderben. Jetzt, wo sie nun schon einmal da waren und die Gelegenheit dazu so bald nicht wiederkommen würde, wusste er nicht, was dagegen sprach.

Sollten Johns Familie und Nachbarn doch ruhig ihr Thanksgiving feiern - sie dagegen würden zu viert auf das Wohl ihres Kumpels trinken, der viel zu früh von ihnen gegangen war.

„Und uns einen richtig hinter die Binde gießen, können wir danach immer noch", kommentierte Derek die Planänderung am nächsten Morgen ganz pragmatisch und nahm damit John den Wind aus den Segeln. Der hatte zunächst einen eher skeptischen Eindruck gemacht, zeigte sich dann aber überraschenderweise angetan von dem Vorschlag. Gewöhnliches Sightseeing konnte schließlich jeder.

Fehlte nur noch, dass er dem Verstorbenen ein Ständchen bringen wollte, doch Adams Sorge erwies sich als unbegründet. Statt seiner Bassgitarre zog John einen Flachmann aus der Tasche, der reihum vom einen zum anderen wanderte, während sie gemeinsam ihren Erinnerungen an gemeinsame Begegnungen nachhingen und den Besuch mit einem Schluck für die Engel beendeten. The Angels' share. Bono wäre sicher gerne dabei gewesen, um ein paar Worte zu sprechen, dachte Adam.

Obwohl... bei ein paar Worten wäre es bestimmt nicht geblieben. Viel wahrscheinlicher wäre eine längere Rede gewesen, die sich darum drehte, wie sehr er ihnen doch allen fehlte. Leider nur zu wahr - und würde er noch leben, sie hätten bestimmt noch jede Menge Spaß zusammen gehabt und vielleicht sogar eine gemeinsame Jubiläumstour auf die Beine gestellt. Ja, so eine Tournee hätte Michael sicherlich gefallen.

Adam kam es vor, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Kaum hatten sie den Memorial Park hinter sich gelassen, wechselten seine Freunde aus ihrer melancholischen Stimmung in den Urlaubsmodus, so als hätten sie auf ein geheimes Zeichen hin beschlossen, dass sie nun genug Trübsal geblasen hätten.

Wie ausgedehnte Kneipentouren doch die Wahrnehmung trüben und vier Wochen auf wenige Ereignisse reduzieren konnten.

Wieder im Flugzeug, ließ Adam sie Revue passieren: ihre Jam Session am Hotelpool, ihre Weinproben im Napa Valley und vor allem den Rest ihrer gemeinsamen Zeit in Johns Villa, nachdem der zeitweilig in Ungnade gefallene Bassist wieder hatte einziehen dürfen. Bei ihren gemeinsamen Grillabenden, an denen reichlich von den flüssigen Neuerwerbungen geflossen war, hatten sie nicht nur in gemeinsamen Erinnerungen geschwelgt.

Mit wachsender Begeisterung war einer nach dem anderen in das beliebte „was wäre wenn"-Spiel eingestiegen, ohne zu bemerken, wie sich jene Frage einschlich, die Adam schon im Memorial Park beschäftigt hatte.

Nur, dass sich die Idee von einer Jubiläumstournee plötzlich in die von einer 80s-All-Star-Band verwandelt hatte. Und was musste eine All-Star-Band? Richtig: proben.

Der Anfang vom Ende.

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⏰ Last updated: Aug 31, 2022 ⏰

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