Kapitel 1

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Seufzend schob er ein Blatt nach dem anderen von sich, kam zu keiner guten Lösung. Er wusste bereits jetzt, dass die Überstunden nur so nach ihm schrien. Genau wie jeden Monat, doch diesen war es besonders schlimm. Es war noch kälter als sonst, die Mädchen froren und er musste leider mehr heizen als sonst. Also musste er auch höhere Heizkosten zahlen. Doch für seine Mädchen nahm er das in Kauf. Für sie nahm er in Kauf, dass er sich irgendwann tot gearbeitet hatte. Denn er aß nicht so viel wie die Mädchen, damit das Essen länger hielt und die Kleinen mehr essen konnte. Er war eindeutig zu gutmütig für diese Welt. Doch trotz allem, was er tat, konnte er seine Rechnungen nicht bezahlen. Er nahm seine Brille ab, massierte sich mit mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken und runzelte die Stirn. Es waren einfach zu viele Rechnungen, zu hohe vor allem. Und das schlimmste war, er musste sie irgendwann zahlen. Denn sonst würde man ihnen noch den Strom oder das Wasser abdrehen. Und das wäre fatal, vor allem für die Mädchen. Die Mädchen. Sein Blick schweifte zu einem Bild, dass an der Wand hing. Vier kleine Mädchen, ein junger Mann sowie ein strahlendes Ehepaar waren darauf zu sehen. Schwer schluckte er, die Tränen stiegen ihm automatisch in die Augen. Er vermisse sie so sehr. Obwohl Dan nicht einmal sein leiblicher Vater war, er vermisste ihn. Er war mehr Vater gewesen, als es sein richtiger Vater jemals hätte sein können. Mit zusammengekniffenen Augen vergrub er sein Gesicht in seinen Händen. Warum war er nur so gestraft? Durch den Unfall, bei dem seine Mutter und Dan umkamen, waren sowohl seine Schwestern, als auch er mit einem Mal Waisen. Er hatte zwar seinen Vater noch irgendwo, doch der interessierte sich einen feuchten Kehricht für Louis, also interessierte er sich genauso wenig für ihn. Eine kleine Träne löste sich aus seinem Auge, schnell wischte er sie sich weg. Er durfte jetzt nicht schwach werden, die Mädchen waren nebenan, sie durften ihn nicht so sehen. Energisch blinzelte er die letzten Tränen hinfort, rappelte sich auf, räumte all die Zettel weg, damit die Mädchen sie nicht sahen. Vor allem Lottie würden sie bestimmt verstehen, und das musste nicht sein. Sie waren nie wohlhabend, aber ihre Eltern hatten immer genug verdient, um ihnen ein normales Leben zu bieten. Sie hatten nie viel, aber immer genug. Und genau das wollte Louis beibehalten. Seine Schwestern sollten nicht auf Geburtstags- und Weihnachtsgeschenke verzichten müssen. Sie sollten jeden ihrer Wünsche erfüllt bekommen, sollten eine glückliche, sorgenfreie Kindheit haben und ihre Schule gut beenden. Mehr war ihm nicht wichtig, denn leider hatte er selber die Schule nicht beenden können, er hatte abbrechen müssen, damit er Vollzeit arbeiten konnte, um sie zu ernähren, ihnen zu kaufen, was sie brauchten. Und das hielt er jetzt schon seit knapp 1 ½ Jahren durch. Allerdings wurde es dieses Weihnachten wohl ein wenig knapp, denn mit all diesen Rechnungen würde es schwer werden, gleichzeitig genug Geld für Weihnachtsgeschenke zu finden. Es tat Louis im Herzen weh, da er ihnen sowieso nicht schenken konnte, was sie sich so sehr wünschten. Ein Treffen mit Harry Styles, dem berühmten Model. Seine Mädchen vergötterten ihn und er verstand es, denn der Mann sah wirklich gut aus. Doch er würde ihnen niemals Zugang zu einem Autogrammtreffen oder ähnlichem verschaffen können, das war alles zu teuer. Zu jedem Geburtstag musste etwas anderes herhalten, bisher hatte ihnen das gereicht. Louis hatte sich zwar geschworen, ihnen zu Weihnachten irgendwie Zugang zu einer Modenschau mit ihm zu verschaffen, aber er hatte es einfach nicht geschafft. Das Geld würde niemals reichen. Mit sorgenvollem Gesichtsausdruck zog er sich seine Jacke und Schuhe an, verabschiedete sich von seinen Schwestern und machte sich, natürlich zu Fuß, ein Auto war viel zu teuer, auf den Weg zu seiner Arbeit. Er nahm immer wieder kleine Minijobs an, so wie diesen, bei denen er irgendeine Halle oder ähnliches putzen musste. Egal was, er brauchte das Geld. Also musste er auch heute wieder ein Halle putzen, in der wohl eine Modenschau stattgefunden hatte. Müde, geschlaucht und mit schweren Gliedern räumte Louis die gesamte halle auf, um dann schließlich in die Hinterräume zu gehen. Dort hatten sich die letzten Models noch umgezogen, das war immer so. Es war nicht die erste Modenschau, bei der Louis putzen musste, sie zahlten akzeptabel und so wahnsinnig viel Arbeit war es nicht, da gerade die Räume der Models einigermaßen sauber waren. Keine Fast Food Verpackungen oder ähnliches, maximal eine Salat Verpackung oder so etwas, aber das war nicht viel. Mit kleinen, schleifenden Schritten lief er in den Bereich, zog die Augenbrauen hoch. Hier sah es aus, als hätte bereits jemand aufgeräumt. Verwundert ging Louis in die Umkleideräume, in denen sich auch Duschen befanden, die aber fast keiner benutzte. Die meisten hatten wahrscheinlich Angst, dass in diesen Duschen zu viel Dreck war. Seufzend stieß er die Türe auf, blieb dann aber verwundert stehen. In der Umkleide hing eine Tasche, daneben lagen einige Klamotten. Aus der Dusche hörte er das Wasser rauschen und jemanden leise singen. Langsam, unsicher ob er das wirklich tun sollte, lief er hinein. Sollte er nachsehen, wer da war? Sollte er dieses Risiko wirklich eingehen? Sein Herz klopfte bis zu seinem Hals, langsam näherte er sich den Duschen. Als er endlich davor stand, schob er vorsichtig seinen Kopf hinein, nur um ihn dann mit großen Augen zurück zu ziehen. Er hatte nicht viel gesehen, doch es reichte. Harry Styles war da drin. Louis hatte nur seine Locken und seinen Arm, mit all seinen Tattoos gesehen, doch er hatte die Tattoos durch die unzähligen Bilder in den Zimmern seiner Schwestern auswendig im Kopf und erkannt. Das war die Chance, etwas für seine Mädchen zu bekommen. Aber wie sollte er das machen? Er war verdammt schüchtern und traute sich selten, irgendjemanden anzusprechen. Aber jetzt musste er sich irgendwie überwinden, für seine Schwestern. Doch würde er ihm etwas geben? Oder würde er einfach lachen? Ihn ignorieren? Louis sah an sich herunter. Zerrissene Jeans, verwaschener, großer Pulli, gebrauchte, dreckige TOMS. Schwer schluckend lehnte er seinen Kopf an die Wand. Er musste etwas tun, diese Chance durfte er sich nicht entgehen lassen. Aber er musste die Möglichkeit, dass er ihn auslachen oder sonst wie demütigen würde, umgehen. Sein Blick wanderte umher, blieb an einem Baseballschläger hängen, der dort stand. Warum auch immer. Schluckend schloss er die Augen. Sollte er das wirklich tun? Sollte er tun, was er nie tun wollte? Sollte er seine Prinzipien verraten, nur um seine Schwestern glücklich zu machen? Seine Schwestern, die seit 1 ½ Jahren die Hölle auf Erden durchmachten. Tief Luft holend fällte er eine Entscheidung, die sein ganzes Leben verändern würde.

Stockholm syndrome // L. S. Short storyWhere stories live. Discover now