Außer meiner Schwester kannte niemand die Wahrheit und ich war unsicher, ob ich mich Esteban anvertrauen sollte. Aber nachdem ich einige Augenblicke lang mit mir gerungen hatte, begriff ich, dass ich es nicht konnte.

"Ich werde dir den wahren Grund nicht nennen, das wäre nicht fair, weil Pierre ihn selbst nicht kennt."

Esteban erkannte die Feinheiten in meiner Aussage und starrte mich schockiert an, nachdem er eins und eins addiert hatte.

"Also hast du ihn angelogen? Du hast ihn gar nicht betrogen? Er hat gelitten wie ein Hund und das weiß sogar ich, obwohl wir abgesehen von der Arbeit nichts mehr miteinander zu tun haben."

Eindringlich sah er mich an und ich biss mir mit schmerzverzerrtem Gesicht auf die Lippe.

"Das tut mir wirklich Leid für ihn."

"Ich hoffe, dass dein Grund gut war, denn alles andere wäre Pierre gegenüber mehr als unfair."

Ich seufzte und wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, aber ich bekam gar nicht erst die Gelegenheit, denn in diesem Moment betrat eine hübsche Blondine das Dach und ich erkannte sie sofort von den Fotos. Es war Elena, Estebans Freundin, und ich erkannte neidlos an, dass sie in echt sogar noch hübscher war als auf den Bildern.

Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen kam sie zu uns und als ich einen kurzen Seitenblick zu Esteban riskierte, sah ich ihn mindestens genauso breit grinsen. Die beiden begrüßten sich mit einem kurzen Kuss, dann schaute die Blondine fragend zu mir.

"Hi, ich glaube wir kennen uns noch nicht. Ich bin Elena."

"Louanne, freut mich."

"Lou ist Journalistin und hat mich interviewt, aber wir kennen uns noch aus alten Zeiten, deshalb hab ich sie nach hier oben eingeladen und wir haben uns ein bisschen unterhalten", mischte Esteban sich erklärend ein und ich nickte lächelnd.

"So ist es. Aber jetzt werde ich euch beide nicht länger aufhalten, außerdem möchte ich zeitnah mit meinem Artikel anfangen, der muss so schnell wie möglich fertig werden."

Mit diesen Worten stand ich auf und griff nach meiner Tasche, kontrollierte nochmal, dass ich alles dabei hatte, und verabschiedete mich dann lächelnd.

"Es war wirklich schön dich wiederzusehen, Esteban. Und natürlich hat es mich auch gefreut, dich kennenzulernen, Elena."

"Du hast vorhin gesagt, dass du Pierre hoffentlich nie wiedersehen wirst, aber... wäre es okay, wenn wir beide uns vielleicht wiedersehen? Oder wenigstens in Kontakt bleiben und ab und zu schreiben?", fragte Esteban zu meiner Überraschung und ich hielt wie erstarrt inne.

Für einen kurzen Moment rang ich mit mir, ob das nicht eine Verbindung zu Pierre darstellen würde, die ich eigentlich vermeiden wollte. Aber mit Esteban zu reden hatte mich an früher erinnert und das war schrecklich und schön zugleich.
Also griff ich kurzerhand in meine Tasche und zog eine meiner Visitenkarten heraus, die ich dem Dunkelhaarigen in die Hand drückte.

"Wir können gerne schreiben. Komm nur ja nicht auf die Idee, mich zu einem Rennen einzuladen", warnte ich ihn zwinkernd und entlockte uns beiden ein kurzes Lachen, dann verabschiedete ich mich endgültig und verließ das Motorhome von Alpine.

Aber ich kam nicht weit, denn ich begegnete schon nach wenigen Sekunden einer weiteren Person aus Pierres und meiner Vergangenheit.
Und dieses Mal war es jemand, von dem ich wusste, dass er Pierres Version unserer Trennung bis ins letzte Detail kannte. Er schaute mich mindestens genauso überrascht an, wie ich ihn.

"Lou?"

"Charles, hey."

"Hey, was... was machst du hier? Weiß Pierre-"

"Ja, er weiß es. Ich musste beruflich ein Interview mit ihm führen, deshalb bin ich hier."

Die hübsche Brünette an seiner Seite schaute verwirrt zwischen uns hin und her und ich konnte es ihr nicht verdenken. Ich vermutete, dass sie Charles' Freundin war und ihr Gesicht kam mir irgendwoher bekannt vor.

"Ähm, kann mich mal jemand aufklären? Wir kennen uns glaub ich noch nicht."

Im selben Moment wurde mir klar, wo ich ihr schon einmal begegnet war, auch wenn es eine gefühlte Ewigkeit her war.

"Ich glaube wir haben uns schonmal gesehen. Das müsste bei irgendeiner Geburtstagsfeier von Giada gewesen sein."

Es tat mir beinahe Leid, den Namen von Charles' Ex-Freundin in den Mund zu nehmen, weil ich einige üble Gerüchte darüber gehört hatte, wie es zur Trennung der beiden gekommen war. Andererseits hatte es über Pierre und mich wohl auch viele Gerüchte gegeben, von denen ich sicher sagen konnte, dass sie falsch waren.

"Wow, dann- dann ist das wohl schon eine Weile her und ehrlich gesagt kann ich mich nicht an dich erinnern, sorry", antwortete Charles' Freundin und ich beeilte mich, ihr mein freundlichstes Lächeln zu schenken.

"Kein Problem, ich bin Louanne."

"Charlotte, freut mich. Bist du eine Freundin von Pierre?"

"Das kann man so sagen", murmelte Charles, bevor er kurz ernst zu mir schaute und Charlotte dann verriet: "Sie ist seine Ex-Verlobte."

"Oh."

"Ja, oh. Aber das ist lange her", fuhr ich entschlossen dazwischen.

"Für Pierre nicht. Er tut vielleicht so, aber-"

"Ich glaube nicht, dass mitten im Paddock der richtige Ort ist, um über sowas zu sprechen und ehrlich gesagt... ehrlich gesagt will ich darüber auch gar nicht sprechen. Ich will mir jetzt einfach nur einen ruhigen Ort suchen und dort anfangen an meinem Artikel zu arbeiten", unterbrach ich Charles, weil mir bewusst war, dass wir uns hier zwischen lauter gespitzten Ohren befanden.

"Dann komm mit zum Motorhome von Ferrari, da können wir ungestört reden und du kannst danach meinetwegen dort an deinem Artikel schreiben."

Überrascht starrte ich den Monegassen an und auch Charlotte schien nicht damit gerechnet zu haben. Mit skeptisch hochgezogener Augenbraue musterte ich Pierres besten Freund.

"Dir ist klar, dass du damit gerade eine Journalistin in euer Motorhome einlädst? Ich könnte versuchen Interna zu erfahren und einen Enthüllungsartikel darüber zu schreiben", versuchte ich mich rauszureden, aber Charles schüttelte entschlossen den Kopf.

"Das wirst du nicht tun. Zumindest nicht, wenn wir uns nicht alle vollkommen in dir getäuscht haben. Haben wir das?"

Er sah mich durchdringend an und obwohl ich wusste, dass es klüger gewesen wäre zu lügen, brachte ich es nicht zustande und schüttelte stattdessen den Kopf.

"Nein, habt ihr nicht."

"Okay, dann komm mit. Wir haben einiges zu klären."

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Onde histórias criam vida. Descubra agora