Entschlossen drehte ich mich um, um mir etwas zu trinken kaufen zu gehen, prallte dabei jedoch volle Kanne in jemanden rein. Wir taumelten beide und ich konnte mich gerade noch aufrecht halten, dann bemerkte ich, wen ich da angerempelt hatte.

Vor mir stand ein etwas genervter Max Verstappen und daneben ein lachender Carlos Sainz, der die ganze Situation wohl für urkomisch hielt. Genauso wie Pierre waren die beiden erwachsener geworden und für einen kurzen Moment blitzten Erinnerungen an alte Zeiten vor meinem inneren Auge auf.

Max und Pierre waren damals im selben Jahr ins Förderprogramm von Red Bull aufgenommen worden, Carlos war schon vier Jahre länger dabei gewesen und wir hatten oft gemeinsam irgendwas unternommen.
Tja, und jetzt war ich natürlich ausgerechnet in Max reingelaufen.

"Sorry, das war meine Schuld, ich hab euch nicht gesehen. Es tut mir echt Leid."

"Jaja, schon– Lou? Bist du das?"

Überrascht und ein wenig unsicher schaute Max mich an und für einen kurzen Moment spielte ich mit dem Gedanken, einfach zu lügen und zu behaupten er würde sich irren. Aber das wäre nicht fair gewesen, also nickte ich schwach.

"Ja, ich bins. Schön euch beide mal wieder zu sehen, ist schon eine ganze Weile her."

"Allerdings. Wie geht's dir? Was machst du hier?", erkundigte Carlos sich grinsend und ich zwang mich, ebenfalls zu lächeln.

"Arbeiten. Ich bin Journalistin, eigentlich für Politik, aber weil es in der Sportabteilung gerade einen Engpass gab, musste ich einspringen, über das Rennen berichten und die beiden französischen Fahrer interviewen."

"Oh, also musst du–"

"Auch mit Pierre sprechen, ja", vollendete ich Max' Gedankengang und versuchte weiterhin zu lächeln, "Ist schon geschehen, unser Interview ist gerade vorbei."

"Und, wie war's? Ich meine, ist das nicht–"

"Seltsam? Schmerzhaft? Verwirrend? Alles davon Carlos, glaub mir. Aber wir müssen beide unseren Job machen und genau so haben wir das durchgezogen. Am Montag fahre ich wieder weg und werde ihn wahrscheinlich nie wiedersehen."

"Hast du das nicht auch beim letzten Mal gedacht, als du ihn gesehen hast?", fragte Max sarkastisch und ich musste mir eingestehen, dass er Recht hatte.

Als ich damals gegangen war, war es ein Abschied für immer gewesen und ich hätte mir nicht im Traum vorstellen können, unter welchen Umständen wir uns wieder begegnen würden. Aber jetzt war es so gekommen und obwohl Coco gesagt hatte, dass das Schicksal sein könnte, glaubte oder hoffte ich, dass sie falsch lag und das nur eine seltsame einmalige Angelegenheit war.

"Du hast Recht, das hab ich damals auch gedacht. Aber wie heißt es so schön? Man sieht sich immer zwei Mal im Leben. Das hier war das zweite und hoffentlich letzte Mal."

Max und Carlos schienen nicht wirklich zu wissen, was sie darauf erwidern sollten, aber dafür hatten sie sowieso keine Zeit, wie mir ein Blick auf die Uhr zeigte.

"Ich muss jetzt los, ich wollte mir vor dem Interview mit Esteban noch was zu trinken holen. Aber es war wirklich schön euch wiederzusehen und ich wünsche euch viel Erfolg für das Rennen am Sonntag."

"Danke, es war auch schön dich zu sehen. Erinnert mich an alte Zeiten", antwortete Max schmunzelnd und dieses Mal war mein Lächeln echt, weil es mir genauso ging wie ihm.

Carlos stimmte dem Niederländer zu, dann verabschiedeten wir uns voneinander und ich besorgte mir noch schnell eine Flasche Wasser bevor ich mich auf den Weg zum Alpine Team machte, für das Esteban fuhr. Ihn wiederzusehen würde sicher auch interessant werden, denn früher waren Pierre und er sehr gute Freunde gewesen und ich konnte mich an viele gemeinsame Tage auf irgendwelchen Kartbahnen erinnern.

Aber je älter sie wurden, umso größer wurde auch der Konkurrenzkampf und weil beide sehr temperamentvoll und aufbrausend sein konnten, waren sie irgendwann zu oft aneinander geraten, um noch ernsthaft befreundet sein zu können.
Jetzt, wo sie älter waren, konnten sie hoffentlich wieder besser miteinander umgehen, aber um die Freundschaft nochmal wirklich aufleben zu lassen, war es wahrscheinlich zu spät.

Genauso wie vorhin bei AlphaTauri führte mich auch bei Alpine ein Mitarbeiter in einen Raum, um dort zu warten, aber als schließlich die Tür aufging, lief alles ganz anders als zuvor. Esteban grinste mich wissend an und zog mich zu meiner Überraschung in eine kurze Umarmung.

"Louanne Vinet, wer hätte gedacht, dass wir uns nochmal wiedersehen würden? Als ich L. Vinet auf dem Terminplan gesehen habe, hätte ich niemals gedacht, dass du das bist, aber dann hab ich dich vorhin aus der Ferne entdeckt und das war mir dann ein Zufall zu viel", begrüßte er mich überschwänglich und steckte mich mit seiner guten Laune unwillkürlich an, sodass ich ein kurzes Lachen nicht verhindern konnte.

"Durch den abgekürzten Vornamen hofft mein Chef, dass auch Männer meine Artikel lesen werden, die der Meinung sind, Frauen hätten keine Ahnung vom Motorsport", erklärte ich schmunzelnd und Esteban seufzte ein wenig genervt.

"Solche Typen leben gedanklich noch im letzten Jahrhundert. Aber sag mal, wie geht's dir? Wie bist du zum Journalismus gekommen? Du wolltest doch eigentlich Jura studieren, wenn ich mich richtig erinnere."

Lachend holte ich Block und Stift aus meiner Tasche und hielt sie dem Franzosen demonstrativ entgegen.

"Hier. Eigentlich dachte ich ja, ich würde dich interviewen, aber es scheint andersherum zu sein."

"Wir können gerne tauschen, ich bin neugierig. Aber damit würden wir wohl beide nicht wirklich unseren Job machen", stellte er schmunzelnd fest und ich nickte zustimmend.

"Da hast du natürlich Recht. Wenn hinterher noch Zeit ist, können wir uns gerne noch unterhalten, aber erstmal sollten wir uns um das Berufliche kümmern.
Also Esteban, das ist bereits dein drittes Heimrennen, aber ich gehe davon aus, dass es trotzdem jedes Mal etwas besonderes ist. Überwiegt da eher der Druck, vor heimischem Publikum gut zu performen oder die Freude, im eigenen Land zu fahren?"

Something Old, Something New, Something Borrowed, Something Blue.Hikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin