IV

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Durch den Wirbel um Chips Gefangennahme, Henry und Lord O'Driscolls Machtbeweis hatte ich ganz vergessen, dass ich eigentlich einen Brief von meinem Bruder erhalten hatte.

Die Stimmung beim Abendessen war angespannt. Jeder von uns war zu geschockt über die Grausamkeit des Markgrafen, der das arme Kind auspeitschten ließ, nur weil es aus Verzweiflung und Hunger ein Brot stehlen wollte.

Ich hatte meinen Leuten gerade erzählt was auf dem Markt über Lord O'Driscoll und seinen Sohn, den seltsamerweise nie jemand zu Gesicht bekam, erzählt wurde.

„Schläge tun diesem verwöhnten Söhnchen vielleicht ganz gut",meinte Carlos.

Dafür erhielt er die Zustimmung der anderen und schon brach eine lebhafte Diskussion über das Adelspack aus und wie sehr diese Menschen von uns gehasst wurden.

Ich saß wie immer am Kopfende des Tisches, eine Flasche Rum in derHand an der ich immer mal wieder nippte und verfolgte das Gespräch stumm.

„Ich glaube nicht, dass irgendjemand es verdient hat von seinem Vater so behandelt zu werden."

Schlagartig wurde es still am Tisch und die gesamte Aufmerksamkeit lag auf Henry. Dieser zog aus Reflex etwas die Schultern ein. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass jeder ihm zuhören würde.

„Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Lord Benedict wird genauso ein Halunke sein wie sein Vater. Also hat er es verdient", erwiderte ich ruhig und fixierte den Neuen mit meinem Blick.

„Du willst also damit sagen, dass jeder von adeliger Abstammung ein schlechter Mensch ist?" Keiner meiner Männer wagte es sich zu rühren. Noch nie hatte es jemand gewagt mich so direkt herauszufordern. Aber dieser Henry spazierte einfach auf mein Schiff und hatte die Frechheit mich auch noch in Frage zu stellen.

„Es hat noch niemand versucht mir das Gegenteil zu beweisen", antwortete ich leicht säuerlich. Ich hatte keine Lust mit ihm eine Diskussion zu führen. Henry öffnete den Mund, aber ich schnitt ihm das Wort ab.

„Hör zu, ich weiß du bist selbst adelig und hast das Bedürfnis deine Gleichgesinnten zu verteidigen. Aber das läuft bei uns anders. Adel ist Abschaum. Wenn du mit dieser Einstellung nicht klar kommst,musst du mit uns nicht aus dem Hafen auslaufen. Entweder du bist auf unsere Seite oder auf der Seite des Adels. Du kannst ja eine Nacht darüber nachdenken, Prinzessin."

Ich stolzierte an der Tafel entlang Richtung Tür, die auf das Deck führte. „Ich muss nicht darüber nachdenken", sagte Henry etwas zu eilig. „Der Adel kann mich mal kreuzweise."

Misstrauisch sah ich den Frischling an. Irgendetwas an ihm störte mich, aber ich konnte nicht genau sagen was. Vielleicht war ich einfach nur paranoid, weil er vom Adel abstammt. Ich nickte ihm zu, bevor ich mich in meine Kapitänskajüte zurückzog.

⚓️


Eine eigene Kajüte zu haben war Gold wert. Nicht nur weil ich die einzige Frau an Bord war, sondern auch weil ich so wenigstens einen Rückzugsort hatte. Dass es öfters zu Auseinandersetzungen in meiner Truppe kam, die rund um die Uhr aufeinander saßen und ihr Schlaflager alle unter Deck hatten, war nur verständlich.

In meiner Kajüte legte ich zuerst meinen Piratensäbel, den Dolch und die Pistole ab. Dann zündete ich die Lampe über meinem kleinen Tisch an und holte den Brief hervor, den ich beinahe vergessen hätte. Jetzt, wo sich der Trubel des heutigen Tages etwas legte, kam die Angst um meinen Bruder mit voller Wucht zurück. Ob er überhaupt noch am Leben war? Wenn Crow ihn in die Finger bekommen hatte, war es nur realistisch, dass er bereits tot war. Mit feindlichen Kapitänen war man nicht zögerlich. Selbst wenn Chip noch lebte, war ich mir ziemlich sicher, dass er litt. Crow würde sich den Spaß ihn zu foltern keineswegs entgehen lassen. Grund genug für mich meinen Bruder und seine Leute so schnell wie möglich zu finden.

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⏰ Last updated: Oct 21, 2022 ⏰

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Blood And TreasureWhere stories live. Discover now