Kapitel 1

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Alyssa rennt die Treppe hinunter. Vor den Fenstern funkelt bereits heimtückisch der Sonnenuntergang. Dicke Sonnenstreifen dringen durch die Fenster des Vorstadthauses und erfüllen den Flur, den sie gerade nur so entlangrennt, mit goldenem Licht - so als wolle der Junihimmel sie daran erinnern, dass sie jetzt dringend losmuss. In Badehandtuch und mit nur halb aufgetragenem Make-Up, denkt sie sarkastisch, geht das wohl schlecht. Allerdings kann man zur Bachelorette-Party der eigenen besten Freundin, die man zumit wochenlang geplant hat, auch nicht zu spät kommen. Die liebe Connie - wieso zur Hölle hat sie sich bloß dazu entschlossen zu heiraten?

„Mama?" ruft Alyssa hoffnungsvoll durchs Haus.

Keine Antwort. Sie stöhnt auf und wuschelt sich frustriert durchs Haar. 

Es kann doch auch gar nicht wahr sein, dass ihr Kleid im letzten Augenblick verschwunden ist! Es ist perfekt: klein, eng, schwarz - und bis vor ein paar Stunden lag es noch genau da, wo es sein soll, auf dem Bett im Gästezimmer. Aber wie könnte es anders kommen: genau in dem Moment, wo sie nackt, gestresst und verspätet aus der Dusche rutscht und das Ding braucht, hat es sich in Luft aufgelöst. Verdammte Scheiße. 

Das Badehandtuch rutscht ihr fast hinunter, als sie den Kopf in die Küche steckt. Auf dem leeren Esstisch guckt nur eine einsame Müslischale, die früher mal Alyssas Abendessen, eine handvoll Choko-Crüsli-Körnchen, beinhaltet hat, traurig vor sich hin. Keine Mama. Eine Sekunde lang denkt sie darüber nach, ihn in den Geschirrspüler zu packen. Dann läuft sie wieder in den Flur. 

Sie greift ein bischen fester in den dicken Stoff des Handtuchs. Hundert Mal hat sie ihr Zimmer durchsucht, Bett, Boden, Schrank, auf dem kleinen Sofa, im Bad. Das alte Kinderzimmer, das Schlafzimmer ihrer Eltern. Im Wäschekorb und zwischen den Boxen mit Winterkleidung, die ihr Vater immer noch nicht auf den Dachboden getragen hat. Das Kleid ist und bleibt verschwunden. Entweder hat es die Katze gefressen, oder Alyssas Mutter hat es irgendwohin verschwinden lassen. 

„Mama?" ruft sie erneut. „Wo steckst du?" 

Alyssa verflucht die Größe des monströsen Hauses, während sie sich Tür für Tür durch die Wohnräume des geschnörkelten Untergeschosses arbeitet. 

"Schatz? Bin im Wohnzimmer!" hallt es ihr endlich entgegen. Gottseidank. Auf nackten Füßen eilt Alyssa der Stimme nach. 

Das Wohnzimmer ist von einer farbfrohen Explosion trockener, sauberer Wäsche vollkommen gedeckt. Jedes Möbel und jeder Teppich steckt kilometertief in Bergen aus Kleidung, Hemden und Hosen, Unterwäsche und Socken. Aus einem Lautsprecher läuft laut ein Liebeslied des Billy Paul. Mitten im Chaos steht Alyssas Mutter Cornelia in ihrer abgewetzten Jeans und verkleinert schnell und geschickt karierte Unterhosen in glattgestrichene Vierecke. 

Sie dreht sich lachend um als sie ihre Tochter reinkommen hört. 

"Na, du siehst aber gar nicht fertig aus für Connies Feier. Was ist los?" 

Alyssa wühlt sich nervös durch die wirren, blonden Locken. Sie sind immer noch halbfeucht vom Duschen, und riechen nach ihrem Lieblingshaarprodukt sanft und fruchtig. 

„Hast du mein Kleid für heute Abend gesehen?" fragt Alyssa eindringlich. „Klein, glitzert. Eben lag es noch auf meinem Bett, aber ich find's nicht mehr, und ich muss wirklich dringend los."

Cornelia legt das Viereck beiseite.

„Es hängt bei dir im Zimmer an der Tür." Sie guckt böse. "Der Miesling macht sich viel zu gern an unbewachten Klamotten zu schaffen." 

Cornelia ist die Unzufriedenheit mit dem neuen, rotgestreiften Kätzchen, das überall im Haus Kratzspuren und Haare hinterlässt, deutlich anzuhören. Sein bürgerlicher Name ist Oskar, so ist er liebevoll von Alyssas Vater getauft, doch für Alyssas Mutter ist und bleibt er ein Miesling, seitdem er ihr eine halbe Packung Hähnchenbrust weg-gegessen hat. 

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⏰ Last updated: Jun 15, 2023 ⏰

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Ein Strip-Klub und eine HochzeitWhere stories live. Discover now