Kapitel 11 - Stadt aus Weiß und Blau | 1

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Einige Meter vor ihnen kam eine kleine windschiefe und halb zerfallene Hütte in Sicht. Selbst aus dieser Entfernung konnte Ardenwyn erkennen, dass es bloß eines einzelnen kräftigen Hiebes bedurfte, und das ganze Gebilde würde in sich zusammenstürzen.

»Wollen wir dort vielleicht warten, bis dieser schreckliche Wind sich gelegt hat?« Sehnsüchtig blickte Zirkon zu der ärmlichen Imitation einer Hütte. Sie verstand sein Problem nicht. Heute war ein warmer Tag, die Sonne schien. Und anders als sie besaß er kein langes Haar, das bei einem Wetter wie diesem ein Eigenleben entwickelte. Wüsste sie es nicht besser, würde sie behaupten, er sei der Adelige in dieser Gruppe.

»Ich weiß nicht«, murmelte Wisteria, die das alte Gebilde misstrauisch betrachtete. »Mir gefällt das nicht.« Und sie sollte recht behalten. Sobald sie näher kamen, konnte die junge Diebin die Silhouette einer Person im Dunkeln der Hütte erkennen. Die Fenster waren schon vor langer Zeit herausgebrochen worden, doch es gab nicht einmal Scherben am Boden, die auf die nicht länger existenten Fenster hinwiesen.

Ardenwyn blickte zurück. Aber sie hatten sich schon viel zu weit vom Gasthaus entfernt, sodass sie es nicht einmal mehr in der Ferne erblicken konnte. Sie waren hier mitten im Nirgendwo und nicht einmal Händler hatten ihren Weg gekreuzt. Obwohl sie sich hier nicht auskannte und die Gegend dementsprechend nicht kannte, ahnte sie, dass man diese Hauptstraße vielleicht lieber meiden sollte. Weshalb war es ihr nicht bereits zuvor aufgefallen, wie seltsam es war, niemandem sonst auf einer Hauptstraße zu begegnen? Allein das war bereits besorgniserregend genug.

»Wir sollten woanders entlang gehen«, gab sie mit gesenkter Stimme zu bedenken. Hoffentlich waren sie von der Gestalt in der Hütte noch nicht bemerkt worden. Doch ein leises Stimmchen in ihrem Inneren bezweifelte das. Abgesehen von den Ästen der Bäume waren sie das einzige weit und breit, das sich bewegte. Sie nicht zu bemerken, würde an ein Wunder grenzen.

Amüsiert grinste der Steinteufel ihr zu. »Ach, mach dir keine Sorgen.« Seine Stimme hatte einen leicht spöttischen Unterton, der Ardenwyn gar nicht gefiel. Für ihren Geschmack war er ihr viel zu sorglos.

»Ich finde, Arda liegt gar nicht falsch«, pflichtete ihr nun auch die Giftmischerin bei. In ihren grün-gelben Augen stand die Sorge. Keine Sekunde über wandte sie den Blick von der schäbigen Hütte ab. Auch sie hatte die Gestalt bemerkt, die reglos wie ein Schatten in der Finsternis lauerte, die das morsche Gebilde schuf. »Und sollten wir nicht gerade jetzt besonders vorsichtig sein?« Es war klar, worauf sie anspielte.

»Das stimmt schon. Heißt aber noch lange nicht, in jedem Schatten Geister zu sehen.« Zirkon zuckte mit den Schultern. Für seine Worte hätte Ardenwyn ihm am liebsten einen kräftigen Schlag verpasst. Wie hatte der Steinteufel so lange überlebt? Außerdem bewies sein jetziges Verhalten einmal mehr, wie wenig er dafür geeignet war, die Perlen von Kahn vor den falschen Leuten zu beschützen. Beiläufig vergewisserte sie sich, dass sich ihr Steinmesser noch immer an ihrer Seite befand.

Der Steinteufel schnaubte, als er das sah. »Dein Leben besteht auch bloß aus Misstrauen, was? Hast du dich bisher jemals entspannt? Ich wette, das würde dir zur Abwechslung mal gut tun!« Ardenwyn ging auf seine Provokation gar nicht erst ein, sondern begnügte sich damit, ihm einen vernichtenden Blick zuzuwerfen. Jemandem wie ihm, dessen Leben bisher immer größtenteils ruhig und sicher abgelaufen war, Argumente darüber, wie vorsichtig man zu sein hatte, um am Leben zu bleiben, zu liefern, war verschwendete Mühe. Hier würden bloß eigene Erfahrungen helfen und sie war sich ziemlich sicher, dass diese nicht lange auf sich warten lassen würden.

Wisteria wendete sich dem Erben der Schattenlande zu, als müsse er zuerst seine Zustimmung geben, bevor sie sich alle aus der Gefahrenzone bringen durften. Die Giftmischerin hatte doch bereits erkannt, dass ihnen potenziell Gefahr drohte. Weshalb also vergeudete sie wertvolle Zeit, anstatt in Deckung zu gehen? Ardenwyn konnte ihr Vorgehen einfach nicht verstehen. Hätte sie im Labyrinth immerzu auf die Erlaubnis eines anderen gewartet, zu leben, hätte sie längst den Tod gefunden. Wieso also legten sie ihr Wohlbefinden in die Hände einer Person, und vertrauten blind darauf, dass sie die richtige Entscheidung traf? Was, wenn diese Entscheidung falsch wäre? Oder jemand anderes deutlich besser dazu qualifiziert wäre, die Situation einzuschätzen?

Feuertänzerin - Erbin der FlammenWhere stories live. Discover now