Der Zirkus Maximus war kein buntes Zelt, das ein paar Quadratmeter groß war. Es war eine riesige Arena, in der früher anscheinend Tier – und Gladiatorenkämpfe stattfanden. Ein paar Touristen saßen auf kleinen Steinfelsen, die wohl einmal zur Tribüne gehörten. Alea versuchte, sich die Zeit totzuschlagen, indem sie die vorbeifahrenden Autos zählte. Tess und Ben standen am Straßenrand und hielten den ausgestreckten Daumen vor sich.

Und dann – als Alea gerade bei 213 war – hielt eines endlich an. Es war ein grüner VW-Bus, und am Steuer saß ein Mann mit Sonnenbrille und Zigarette. Er kurbelte das Seitenfenster hoch, beugte sich raus und fragte Ben irgendetwas auf Italienisch. Sammy, Lennox, Siska und Alea standen vom Boden auf und näherten sich, um zu erfahren, ob der Mann sie bis zum Meer bringen konnte.

„Er möchte am Hafen noch eine Bestellung abholen", übersetzte Ben, „und in seinem VW-Bus ist genug Platz für uns. Er kann uns mitnehmen!"

„Yeah!" Sammy hob eine Siegerfaust und drängte sich zuerst durch die Schiebetür zum Sitz am Fenster. „Das ging ja wirklich schneller als gedacht!" Alea wusste nicht, ob er das ernst meinte, und stieg als nächste ein. Allerdings schien es hinten nur vier Plätze plus den Beifahrersitz zu geben. Der Mann hatte Lennox nicht gesehen. Dieser zuckte mit den Schultern, als wollte er sagen: „Geht auch ohne irgendwie", und Sammy und Alea rutschten so zusammen, dass Lennox sich noch hinsetzen konnte. Allerdings unangeschnallt.

Der Fahrer zog gerade wieder an seiner Zigarette (Siska rümpfte die Nase) und sagte etwas, dann warf er den Motor an.

Alea rutschte unbehaglich in ihrem Sitz hin und her. Es war eng und die Luft nicht gerade frisch, doch sie war froh, dass der Fahrer überhaupt angehalten hatte. Immerhin hatten es ganz viele nicht getan. Der Gurt schnitt in Aleas freien Arm und sie fragte sich, ob sie das Fenster öffnen durfte. Der Mann hatte zwar eine Sonnenbrille an, aber sie hatte irgendwie das Gefühl, dass er sie durch den Rückspiegel anschaute. Doch dann murmelte Sammy etwas von „echt stickig hier drinnen" und übernahm das Lüften. Alea war dankbar dafür und der Mann sagte auch nichts.

Eigentlich verlief die ganze Viertelstunde hauptsächlich still. Das Radio war nicht an und niemand fing ein Gespräch an. Ben sagte ab und zu mal „schöne Aussicht" oder „ich freu mich schon aufs Meer", dabei waren um sie herum bloß abgeerntete Felder und erst vor ein paar Tagen war Ben zuletzt auf dem Wasser gewesen – und die Jahre zuvor ebenfalls. Aber Alea war froh, wenn ab und zu die Stille durchbrochen wurde. Die Atmosphäre war nicht gerade die beste.

Nach fünfzehn geschwiegenen, langgezogenen Minuten tauchte dann das Meer auf. Und am Kai war die Crucis angelegt, mit ihrer teilweise abgefledderten grünen Farbe und den mehrmals geflickten Segeln, die schlaff am Mast herunterhingen, eigentlich ganz fehl am Platz. Doch Alea wusste, dass der Schein trog. Das Schiff war durchaus seetüchtig, und in letzter Zeit ihr Zuhause gewesen. Nachdem ihre Pflegemutter Marianne den Herzinfarkt bekam. Und nach einem zweiten -

„Wir sind da!", rief Sammy. „Ben, schau mal, Fussel winkt mir zu!"

Fussel war Sammys Robbe, die, seit er sie bei einer Ölkatastrophe gerettet hatte, oft auf der Crucis war. Sie war sogar ein offizielles Bendenmitglied – Fussel Fuhrmann – und als Tess, Ben und Sammy nach Venedig gefahren waren, musste sie auf dem Schiff zurückbleiben. Alea kniff die Augen zusammen und konnte in der Entfernung nicht einmal die Umrisse einer Robbe erkennen, geschweige denn eine winkende Silhouette. Höchstens einen kleinen schwarzen Punkt, der ungelenk über der Crucis kreiste und wohl Tante Hildegard, Tess' Möwe war.

Der VW-Bus hielt auf einem Parkplatz an und Ben bedankte sich beim Fahrer auf Italienisch, dass er sie mitgenommen hatte. Doch dieser brummte nur und stieg aus. Die anderen taten es ihm nach.

Irrte Alea sich, oder war der Mann nervös?

Er ist in den letzten Minuten ständig auf seinem Sitz hin - und hergerutscht, und er hatte sich alle paar Sekunden die Haare aus der Stirn gestrichen. Seine Hand zitterte, als er das Auto abschloss.

Grazie", sagte Ben noch einmal, als sie sich auf den Weg zum Kai machten. Doch der Mann hörte ihn nicht mehr. Er war schnell in die andere Richtung gelaufen.

***

Alea lächelte wie auf Knopfdruck, als sie die knarzenden Planken der Crucis betrat. Es fühlte sich so an, als wäre sie seit einer Ewigkeit nicht mehr hier gewesen. Wie als ob sie von einer langen Reise wieder nach Hause zurückkehren würde...

„Euer Schiff ist ja echt der Hammer", erklang plötzlich eine Stimme neben ihr. Siska schaute sich um. „Bei den Videokonverenzen haben wir nur einen Raum im Hintergrund gesehen. Ich hab mir das viel kleiner vorgestellt!"

„Wenn es kleiner wäre, dann hätten wir hier keinen Platz mehr zum Schlafen", sagte Alea. „Lennox verbringt die Nacht ja immer auf dem Sofa."

„Ihr seid echt zwei Glückspilze, dass ihr euch einander habt." Alea blickte Siska überrascht an. Mit diesem Einwand hätte sie nicht gerechnet. Aber die Darkonerin lächelte. Es war nur ein Anflug von einem Lächeln und der sah etwas wehmütig aus, aber Alea war sich sicher, dass das noch nicht alles war. Gleich darauf begann Siska zu erzählen.

„Vor etwa vier Jahren ist ein Junge neu in meine Klasse gekommen. Ungefähr in meinem Alter, groß, gutaussehend, mit schwarzem Haar und schwarzer Haut."

„Ein Darkoner?", fragte Alea halb im Schwerz. Siska zwinkerte ihr zu.

„Ich hab auf seine Augenfarbe geachtet. Sie war leider braun."

„Kein bisschen leuchtend? Gelblich?"

„Nein", lachte Siska. „Und wenn er ein Darkoner gewesen wäre, dann bloß ein halber. Er hatte keine Knubbel zwischen den Fingern. Jedenfalls hat er mich ein paar Wochen später gefragt, ob ich mal bei ihm auf einen Keks vorbeikommen könnte, und als ich Ja gesagt habe... Ich glaub, dann hab ich mich ein bisschen in ihn verliebt." Alea wurde es warm ums Herz, denn was Siska ihr gerade erzählte, war absolut privat. Und sie wunderte sich über die neue Seite, die aus Siska hervorblitzte. Sonst hatte Alea in ihr ein kampflustiges Mädchen gesehen, selbstlos und mutig, abgehärtet gegen Angstgefühle. Dass sie auch eine Romantikseite hatte und von ihr sogar erzählte, das hatte Alea nicht gedacht.

„Und was ist aus ihm geworden?", fragte sie nach einem kurzen Moment der Stille.

„Er ist verschwunden. Von einem Tag auf den anderen war er nicht mehr da." Siska seufzte. „Vielleicht war er ja einfach nur umgezogen."

In diesem Moment kam Ben zu ihnen. Er hielt einen großen Stoffbeutel, in dem sein Bass war. „Alea, du solltest deine Gläser einpacken. Wir gehen gleich wieder los."

„Schon? Aber bis zum Konzert sind es doch noch drei Stunden!", sagte sie. Ben zuckte nur mit den Schultern. „Wir wissen nicht, wie lang es dauert, bis jemand anhält. Aber du kannst dir noch schnell was für Unterwegs mitnehmen. Sammy macht gerade auch schon sein und Fussels Mittagessen. Und zieh dir noch etwas fürs Konzert an!" Mit diesen Worten verschwand er zur Mädchenkajüte, um auch Tess Bescheid zu sagen.

Siska schaute sie fragend an. „Wir gehen gleich wieder los", seufzte Alea.

Mein Alea Aquarius 8Where stories live. Discover now