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Seufzend schliesse ich den Reißverschluss von der schwarzen Sportjacke und streiche nochmal drüber. Atakan nimmt die Worte von dem Arzt wirklich ernst. Ich stehe in Sportsachen vor dem großen Spiegel und betrachte mich kurz. In der gleichen Farbe habe ich an eine schwarze Leggins anzogen und unter der Sportjacke ein langärmliches Oberteil. Ich frage mich warum ich das überhaupt anhabe. Das ich jetzt ernsthaft Sport machen werde, ist eine Sache und diese Klamotten zu tragen die andere. Im Sommer vorallem. Ich meine, ein Shirt reicht doch. Wieso dann noch eine
Sportjacke, die alles wärmer macht. Meine Haare habe ich mir zu einem hohen Zopf gebunden, doch wegen ihrer Kürze hat er mir nicht gefallen. Deshalb habe ich einen Unterzopf gemacht. Ich laufe schnell hinter Eda hinterher, weil sie schon vor gelaufen ist.

Staunend gucke ich mich um und öffne meinen Mund leicht. Wow. Es gibt tatsächlich einen Untergeschoss. Bei der letzten Stufe von den Marmortreppen angekommen, steigen wir auch die runter und laufen nach rechts in einen Gang. Es gibt viele Türen, die geschlossen sind. Was wohl dahinter ist? Keine Ahnung. Diesmal biegen wir nach links ab und am Ende des Ganges kann ich dieses Mal nur eine Tür sehen. Eda öffnet sie, bleibt jedoch draußen.
Fragend gucke ich sie an. ,,Du sollst nur rein." antwortet sie und lächelt leicht. Na
gut. Auch wenn ich mich lieber ins Bett legen und schlafen will, laufe ich rein. Ein hohes Pfeifen verlässt meinen Mund, als ich die ganzen Sportgeräte und den 180 Quadratmeter Raum mit den hohen Decken anschaue. Unzählige, verschiedene Geräte. So viele haben nicht mal Fitnessstudios! Krass. Atakan verdient wohl sehr viel. Wie viel er wohl im Monat macht? Das würde ich echt gerne wissen. Bestimmt verdient er in der Woche sogar mehr als ich in einem Monat. -Ich verdiene es aber legal! Er führt eine Mafia. Er lebt gefährlich und kriminell.
Höchstwahrscheinlich hat er auch viele Feinde, die ihn wortwörtlich hassen und seinen Tod wollen. Das wollen doch alle Mafia-Führer und Mitglieder für seine Gegner. So ist das doch, oder?

Ich drehe mich einmal im Kreis und spüre erst jetzt die Kälte im Raum. Oh Gott. Es ist so kalt hier. Jetzt verstehe ich, warum die Jacke. Mir ist aber trotzdem kalt. Mit meinen Händen fahre ich über meine Arme und versuche mich etwas zu erwärmen. Ein Räuspern von links, lässt mich dorthin drehen. Atakan steht mit verschränkten Armen, paar Meter von mir entfernt und hat sich auch umgezogen. Ein schwarzen Jogginganzug umschmeichelt seinen breiten, großen Körper. Was ich hinter ihm sehe, lässt mich irgendwie freudig die Augen größern. Ein Boxring. Ein großer Boxring. Boxen gefällt mir mehr, als die Geräte, die ich nicht genau kenne. Zum Teil kenne ich sie ja, aber es auch andere, die ich noch nie zuvor gesehnt habe. Ich erkenne auf dem Boxring zwei Männer, die gegeneinander kämpfen. Ich schlucke leicht, als ich weiß, wer der eine Mann ist. Das ist der Mann mit dem Tattoo im Gesicht und der diesen Typen geschlagen hat, der in der Stadt von mir Bilder geschossen hat. Er ist so einschüchternd. Ich verziehe leicht mein Gesicht, als er dem anderen Mann, der im Krankenhaus den Fahrer gespielt hat, einen Schlag in die Magengrube gibt. Der Fahrer krümmt sich kurz, aber stellt sich wieder gerade. Die beiden haben bis jetzt keine Sekunde hier her geguckt. Ich will ihnen gerne zuschauen, aber Atakans
ungeduldiger Blick sagt mir, dass wir anderes vorhaben. ,,Was?" frage ich, während er mich betrachtet, nach rechts läuft und mit einem leichten Nicken zeigt, dass ich ihm folgen soll. Was ich auch mache.

,,Zehir!" ruft er laut und stoppt auf den Bodenmatten. Von weitem höre ich
schnelle Schritte und kriege eine Gänsehaut, als ich die gleiche kalte Stimme von dem ängsteinflößenden Mann höre. ,,Buyur Beyim?" (Ja, Herr?) Oh man. Geh doch bitte.
Meine Augen werden noch einmal groß. Ich sehe eine Person, auf der länglichen, langen Bank an der Wand sitzen, die gerade seine Schnürsenkel bindet. Doch nicht irgendeine Person. Emirhan. Emirhan sitzt dort. Ich habe ihn seit Montagabend nicht mehr gesehen und jetzt sehe ich ihn hier. Off Emirhan. Meine Fragen warten immernoch auf eine Antwort von ihm. Hoffentlich kriege ich sie bald, denn ich will wirklich wissen, wo mein großer Bruder die ganzen Jahre war. Durch das Ablenken wegen meinem Bruder, bemerke ich erst später, dass sich Atakan plötzlich entfernt. Ich sehe ihm noch hinterher, wie er durch eine andere Tür raus geht und den Raum verlässt. Wieso ist er denn jetzt raus gegangen? Ich dachte wir machen Sport. Mein Blick wandert zu dem Mann, der Zehir heißt, und zum ersten Mal in meine Augen schaut. Erstaunt hebe ich kurz meine rechte
Braue und wundere mich. Aha. Wie kommt es jetzt dazu? Er bemerkt wohl mein Staunen. ,,Beyim böyle buyurdu." (Herr wollte es so.) Okay. Das wundert mich jetzt mehr. Ich werde ihn mal fragen, wieso er das jetzt will.

Mit Zehir zusammen haben wir die nächsten Minuten Aufwärmungsübungen gemacht. Er redet kaum. Er gibt mir nur vor, was ich als nächstes und für wie lange machen soll. Ab und zu Mal haben wir mit Emirhan kurze Blicke ausgetauscht, doch ich konnte nichts erkennen. Früher wäre es nicht so gewesen. Sofort hätte ich erkannt, wenn es ihm nicht gut geht, wenn er wütend ist oder wenn etwas ihn nicht passt.
Jetzt? Jetzt erkenne ich gar nichts. Er hat sich äußerlich und innerlich sehr verändert.
Von dem Jungen, der jeder Zeit ein Lächeln im Gesicht hatte und eine positive, fröhliche Ausstrahlung hatte, ist nichts mehr zu sehen. Es ist so, als wäre nicht Emirhan vor mir, sondern ein...ein Fremder. Wer ist er? Was ist aus ihm geworden? Wieso ist er so geworden? Was ist aus meinem Bruder geworden? Ich will es wissen. Etwas aus der Puste, stelle ich mich wieder auf und wische kurz den Staub von meinen Händen ab. Gerade eben sollte ich zehn Liegestütze machen, was nicht sonderlich schwer war. Hassan und ich haben das so oft zusammen gemacht, dass es mir angefangen hat Spaß zu machen, obwohl ich es davor hasste. Ein kleines, trauriges Lächeln huscht über meine Lippen, als ich an ihn denke. Er ist bestimmt sauer auf mich, dass ich ihm von nichts Bescheid gegeben hab. Verständlich. Ob er weiß, dass ich geheiratet habe? Ich weiß es nicht. Sowas verteilt sich schnell in unserer Gegend. Es gibt so viele Menschen, die das Lästern lieben. Man kann wirklich niemandem auf dieser Welt vertrauen. Wenn man ein Geheimniss an einer Person vertraut, weiß es die ganze Stadt am nächsten Tag. Es ist so schlimm. Vorallem ist Lästern eines der größten Sünden im Islam. Sowas geht gar nicht. Hinter dem Rücken von Menschen zu reden, ist so abscheulich und ekelhaft. Ein sehr unhöfliches Verhalten. Wegen der Arbeit werde ich sowieso raus gehen müssen, da kann ich auch einfach zu Hassan gehen und ihm alles gründlich erzählen. Natürlich wird er mit mir erstmal schön schimpfen und sich wie eine Dramaqueen verhalten, aber ich weiss, dass er das nur wegen den ganzen Sorgen die er sich gemacht hat, macht. So ist er halt nun mal und deshalb mag ich ihn sehr. Ich raffe mich wieder ein und laufe ihm schnell nach, als Zehir anfängt zu laufen.

Oh Nein. Das mache ich nicht. Ich verziehe mein Gesicht, als wir bei den Klimmzugstangen, die an der Wand hängen stehen bleiben. Ich will das nicht machen. Ich kriege das nie hin. Und wenn ich es einmal schaffe, dann falle ich immer auf den Boden. ,,10 Mal." Geschockt öffne ich meinen Mund und gucke ihn so an. Er hingegen guckt kurz zur Emirhan, der auf der Bank sitzt und unbewusst seinen Blick nicht von mir nimmt. Unsere Augen blicken sich kurz an, doch ich laufe an die Wand zu. Ich stelle mich daneben und erkenne, des die Stange höher über meinen Kopf ist. Ich kann das doch nicht! ,,Kann ich nicht was anderes machen?" frage ich hoffnungsvoll und sehe ihn auch so an. Es regt sich nichts in seinem Gesicht. Außer einem leichten Kopfschütteln kommt nichts von ihm. Off. Off. Off. So ein Scheiss. Schritte von hinten, lassen mich dahin drehen. Atakan. In einer Hand sein Handy, auf dem er hinguckt und die andere lässig in seiner Hosentasche. Während Zehir wieder zurück zu dem Fahrer geht, der die ganze Zeit sich selbst beschäftigt hat, kommt Atakan zu mir. Ohne von seinem Handy aufzublicken redet er.
,,Hadi." (Los.) Genervt atme ich aus und schüttele mit dem Kopf. Ich krieg das nicht hin. Ich kann sowas einfach nicht. ,,Ich will was anderes machen." entgegne ich und verschränke meine Arme vor meine Brust. Kalt ist es mir nicht mehr sehr. Wegen den Übungen schwitze ich und diese Kälte tut im Moment gut. Atakan reagiert nicht. Hat er mir überhaupt zugehört? Seine Brauen sind zusammengezogen, seine Augen auf den Display fixiert und sein Körper angespannt. Bevor ich oder er etwas sagen kann, höre ich eine Stimme, die mich mit ihren Worten aus der Fassung bringt.

,,Frauen können sowas nicht."

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Wie findet ihr eigentlich Emirhan bis jetzt so?

TURKISH MAFIAWo Geschichten leben. Entdecke jetzt