1-Familie

59 6 2
                                    

Frank wusste immer wann es mir schlecht ging. Er sah es mir an, konnte es von meinen Lippen ablesen. Ich wusste nie wann es Frank schlecht ging. Er behielt seine Gefühle für sich. Seine Emotionen waren eingesperrt in eine große Kiste aus altem, morschem Holz, verschlossen mit einem massiven, goldenen Schloss. Und den Schlüssel hatte er versteckt. Franks Ausdruck verriet mir nie etwas über seine Gefühle. Die vollen, begehrenswerten Lippen des attraktiven Mannes bildeten immer eine stumme Linie. Ich-

Es klopft dreimal an meiner halb aufstehenden Tür, bevor meine Mutter ihren Kopf in mein Zimmer steckt und sich an mich wendet. "Freya Schatz!" Nur im Augenwinkel sehe ich, wie sie sich gegen das braune Holz mit ihrer Schulter lehnt.

Langsam richte ich meinen Blick nun von den Seiten des Buchs in meiner Hand auf, schaue über den schwarzen Rahmen meiner Brille und wende mich der Frau im Türrahmen zu. Mein Lesezeichen lege ich sorgfältig auf das etwas dickere Papier.

"Hailey ist hier und wartet unten auf dich", teilt sie mir ruhig mit, worauf ich nicke. Den Roman in meinen Händen klappe ich ganz zu, ehe ich mich aus meiner Liegeposition aufrichte und vom Bett aufstehe.

Nachdem ich mich kurz streckte, um etwas die Anspannung in meinem Rücken zu lösen, gehe ich zu meiner Reisetasche und lege das Buch ordentlich zu den Kleidungsstücken. Den Reisverschluss der schwarzen Tasche ziehe ich dann zu und richte mich mit dieser über meine linke Schulter auf.

Mit großen Schritten schlendere ich auf meine Mutter zu, die zur Seite tritt, damit wir beide gemeinsam nach unten gehen können. Schweigend laufen wir die Treppen runter und im Flur schlüpfe ich in meine weißen Sneakers, deren Schleifen ich gekniet zuknote.

"Hast du alles eingepackt?", erkundigt meine Mutter sich währenddessen bei mir, die Fürsorglichkeit in ihrer sanften Stimme mitschwingen lassen. "Zahnbürste? Sonnencreme?"

Nickend richte ich mich auf, blicke direkt in die grauen Augen und nicke. "Ja, Mom. Ich habe alles, glaube mir", versichere ich ihr, lächle aufmunternd.

Diese ganze Situation ist etwas ungewohnt.

Es ist das erste Mal, dass ich für eine längere Zeit als zwei Tage von Zuhause wegbleibe. Selbst wenn ich mal etwas für eine Woche geplant hatte, so konnte ich meinen Plan nie in die Tat umsetzen. Entweder hatten meine Eltern schon etwas geplant, was sich mit meiner Idee kreuzte, ich wurde krank oder jemand anderes sagte plötzlich ab.

Dieser Ausflug ist das erste Mal, dass ich wirklich große Hoffnung habe und auch eine Menge Zuversicht. Dieses Mal wird nichts und niemand diesen Ausflug eher abbrechen oder ruinieren.

Und trotzdem spüre ich dieses unwohle Gefühl in meiner Magengegend, weil es nun mal etwas Neues für mich ist. Das erste Mal ohne meine Eltern. Aber ich freue mich ebenso, wenn auch mit einer riesigen Aufregung.

"Gut", seufzt sie, lockert die Anspannung in ihren Schultern ein wenig. "Oh und Unterwäsche?"

"Mom!" Meine Augen etwas weit aufgerissen und sie vorwurfsvoll ansehend, stoppe ich vor der Haustür, die ich gerade öffnen wollte. Kopfschüttelnd antworte ich: "Auch genug Unterwäsche. Bitte, mach dir keine Sorgen."

Ich bin dreiundzwanzig. Aber für sie werde ich immer ihre Tochter bleiben, die wie eine wandelnde Bombe durchs Leben geht. Irgendetwas geschieht mir immer, und wenn ich mich nur leicht verbrenne.

"Tut mir leid, mein Schatz. Es macht mich nur so nervös, da du noch nie solange weg warst. Du wirst mir fehlen", entgegnet sie mir.

Seufzend nicke ich, bevor ich sie in eine Umarmung ziehe. An ihre Halsbeuge nuschele ich: "Du wirst mir auch fehlen. Aber ehe du dich versiehst, bin ich wieder hier."

LiberationNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ