Flut

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Mein Kopf brummte, als mich der Wecker aus meinem unruhigen Schlaf riss. Ich drückte ihn weg und zog mir die Decke über den Kopf, damit mich wieder die Dunkelheit umhüllte. Dennoch konnte ich noch die Sonnenstrahlen auf meinem Körper spüren und ich versuchte meine Augen zuzupressen, um wieder einzuschlafen, doch es funktionierte nicht. Genervt warf ich die Decke von mir und setzte mich auf. Ein plötzlicher Schmerz durchzuckte meinen Kopf und ich presste meine Hände gegen meine Schläfen. ›Nie wieder Alkohol‹, fuhr es durch meine Gedanken, als ich versuchte aufzustehen. Der ganze Raum drehte sich im Kreis, als würde ich ununterbrochen Pirouetten drehen und mein Magen war bereit sich zu entleeren. Mit wackeligen Beinen begab ich mich auf den Weg ins Badezimmer und stützte mich dort anschließend am Spülbecken ab. Als ich in den Spiegel sah, erschrak ich beinahe bei meinem eigenen Anblick.

›Oh mein Gott. Ich sehe aus, als wäre ich gestern zusammengeschlagen worden.

Meine honigblonden Haare waren zerzaust und standen in alle Richtungen. Meine braunen Augen wirkten ausdruckslos und meine Augenringe waren markanter denn je. Sie kamen immer dann zum Vorschein sobald ich zu viel getrunken hatte. Kopfschüttelnd fuhr ich mir über mein müdes Gesicht und beschloss duschen zu gehen. Das kühle Wasser prasselte auf meine Haut und hinterließ ein Gefühl von Entspanntheit. Selbst meine Übelkeit drängte sich in den Hintergrund und ich dankte meiner Dusche beinahe mit einem Gebet, so dankbar war ich, dass es mir wieder besser ging.

Ich verbrachte noch eine Weile zwischen den sicheren Wänden meiner Dusche, bis ich mein Handy klingeln hörte und ich den Mut fasste sie zu verlassen. Mit der Hoffnung, dass die Übelkeit mich nicht erneut überkam, sobald das angenehme Plätschern des Wassers nicht mehr zu hören war. Glücklicherweise wurde ich von einer Rückkehr meiner Kopfschmerzen verschont geblieben und ich entsperrte mein Handy um meine neuen Nachrichten lesen zu können. Vieles waren uninteressante Pusch-Nachrichten von irgendwelchen Apps, die ich zu faul war zu löschen. Zwischen all dem Müll befand sich auch eine Nachricht von Micha und ich öffnete sie.

Micha (10:29): Ich weiß du hast heute frei, aber das Mädchen von gestern ist wieder da.

Ich starrte auf den Bildschirm und fragte mich, warum diese Nachricht beinahe so etwas wie Euphorie in mir auslöste. Ein unbekanntes Mädchen saß also im Café und mein Körper machte innerliche Luftsprünge? Das war doch lächerlich.

(10:30) Okay?

Das war alles, das ich zurücktippe, während ich darüber nachdachte, Micha einen spontanen Besuch abzustatten, obwohl heute mein einzig freier Tag in der Woche war. Wie gesagt, lächerlich.

Micha (10:30): Okay? OKAY? Das ist alles?! Leah du bist so ein Waschlappen. Schwing deinen Arsch hierher.

Ich ignorierte die SMS und legte mein Handy wieder auf den Tisch. Dabei ertappte ich mich bei dem Gedanken, Micha einen Besuch abstatten zu wollen, obwohl heute mein einziger freier Tag in dieser Woche war. Anstatt mich also der Versuchung, in das Caféhaus zu gehen, zu hingeben, beschloss ich auf meinen Verstand zu hören und in den Park zu gehen. Ich nahm mein Skizzenbuch mit und setzte mich auf die erstbeste Bank, die ich finden konnte. Gierig atmete ich die frische Luft ein und beobachtete die Szenerie, die sich vor mir abspielte. Die Bäume waren mit giftgrünen Blättern bedeckt und erstrahlten unter dem kräftigen Sonnenlicht. Auch die Wiese war mit einem Blumenbeet überzogen, welches einer Farbenvielfalt glich, die selbst einen Regenbogen vor Neid erblassen lassen würde.

Ich holte meinen kleinen Skizzenblock und einen Bleistift aus meiner Tasche und begann die Landschaft und Geschehnisse, die dich vor mir widerboten, auf dem leeren Blatt abzubilden. Ich liebte es zu zeichnen. Deshalb wollte ich mich auch an der Kunstuniversität bewerben, die zu meinem Bedauern, eine Privatuniversität war, worauf ich schon seit Monaten mein Geld sparte. Auf meine Eltern konnte ich dabei nicht verlassen, denn meine Mutter war irgendwo in Afrika, wo sie mit ihrem neuen Mann ein neues Leben angefangen hatte und mein Vater war seitdem ein einziger Elendshaufen. Da ich nicht vor hatte meine Familiengeschichte erneut in meinem Kopf durchleben zu lassen, versuchte ich mich auf das was vor mir lag, zu konzentrieren. Ein Kind spielte mit seinem Hund, während seine Mutter am Telefon eine hitzige Diskussion führte. Mein Handy vibrierte erneut und ich dachte, es war wieder Micha, die mir schrieb, doch zu meiner Erleichterung war es Amal.

Vielleicht sehen wir uns wieder? (girlxgirl)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt