Ob ich müde bin? Und wie. Aber trotzdem werde ich höchstwahrscheinlich heute Abend nicht schlafen. Die Sorge, dass Bolat doch noch etwas heute passiert, frisst mich zu sehr auf. Ob ich hunger habe? Sehr. Aber ich will nichts essen. Mein Hals ist so trocken wie noch nie.  Ich kann mich nicht daran erinnern, so sehr gehungert zu haben. ,,Hier." höre ich die Ärztin sagen. Ich gucke zu ihr und sehe wie sie mir in einem Plastikbecher Wasser reicht. Ich nehme es und trinke es zu schnell aus. Fast hätte ich mich verschluckt.
,,Danke." Sie nickt nur und schreibt etwas auf ein Stück Papier auf. ,,Gehen Sie zur Apotheke und besorgen Sie sich diese Cremen und Verbände. Alle zwei Tage müssen Sie sich das auf ihre Verletzungen neu eincremen und verbinden." erklärt sie mir und reicht mir den Zettel. Ich nicke nur, falte es und stecke es in meine Hosentasche.

Es ist still. Sie steht vor mir und guckt auf meine Hand, während ich sie mir nochmal angucke. Ihre braunen Haare hat sie in einem Dutt zusammengemacht. Sie hat eine Kette mit einem Namen drauf. Mavi. Was auf Deutsch 'Blau' heißt. Dieser Name passt perfekt zu ihren Augen. Sie sind auch blau. Eher ein dunkelblaues Blau. Was wirklich schön aussieht. Sie sieht ausgepowert aus.
Ich weiß nicht ob es wegen ihrem Beruf ist, aber wenn es wegen das ist, ist es verständlich. Ärztin zu sein ist nicht einfach.
Ich hab mal ein Buch gelesen, wie man Arzt werden kann. Diesen Beruf zu bekommen ist sehr anstrengend, aber es ist ein sehr schöner Beruf. Ich persönlich aber würde es nicht machen.

Um diese Stille zu beenden, nehme ich das Wort in die Hand. ,,Danke...Danke fürs Versorgen meiner Verletzungen und nochmal Danke fürs Wasser." Sie nickt nur und setzt sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch. Ich sehe das als Zeichen, dass ich raus kann. Aber... ich kann noch nicht.
,,Ehm..." fange ich an und spiele mit meiner Fingern. Sie hebt ihren Kopf und guckt mich fragend an. ,,Kann...kann ich bitte...Bolat sehen?" frage ich zögernd und gucke sie flehend an. Ich muss ihn sehen. Sonst kann ich mich nicht beruhigen. Sie schüttelt leicht ihren Kopf und will etwas sagen, ich aber komme ihr zuvor. ,,Bitte! Nur paar Minuten! Ich schwöre nur paar Minuten!" bettel ich und gehe näher auf sie zu. Sie schliesst ihre Augen und guckt auf den Kugelschreiber in ihrer Hand. Es vergehen paar Sekunden indem sie nichts sagt. Komm schon. Nur paar Minuten. Ergeben hebt sie ihren Kopf und guckt mich leicht lächelnd an. ,,Kommen Sie mit."

Aufgeregt laufe ich ihr hinterher und ignoriere die Blicke von den ganzen Menschen, die mich verwirrt mustern. Ich weiß ich sehe scheisse aus, aber kann man nicht einfach weggucken? Endlich bleibt sie vor einer Tür stehen und guckt mich streng an. ,,Wecken Sie ihn bitte nicht auf. Er braucht Schlaf." Ich nicke kräftig als Antwort. Sie öffnet langsam die Tür und geht einen Schritt vor. Ich bin ganz nah hinter ihr und versuche in den Raum zu gucken. Sie läuft weiter und ich ihr hinterher. Rechts neben mir ist noch eine Tür. Wahrscheinlich ist das die Toilette. Der Raum ist etwas dunkel, sie wird nur von einer kleinen Lampe auf der Kommode erhellt. Mein Blick schweift zu meinem kleinen Bruder. Seine Augen sind geschlossen und er schläft. Er wurde von den dreckigen Klamotten befreit und ihm wurde, dieses Kittel das man immer im Krankenhaus trägt angezogen. Das ganze Kohl auf seinem Gesicht und seiner Haut wurden auch weggewischt. Sein kompletter rechter Arm wurde mit Verbänden eingewickelt. Trotz das nur seine eine Gesichtshälfte verbrannt wurde, wurde sein ganzen Gesicht auch mit Verbänden verbunden. Warte mal... Da das Verband nur paar Mal auf der gesunden anderen Gesichtshälfte, kann man seinen Oberkopf etwas sehen. Ich...ich sehe kein einziges Haar. Keine einzige Haarsträhne von seinen Locken. ,,Seine Kopfhaut hat sich auch verbannt. Damit wir sie auch versorgen konnten, mussten wir leider seine Haare abrasieren." sagt die Ärztin mit einem traurigen Ton. Oh nein. Erst jetzt wird er sich Vorwürfe machen! Er liebte seine Haare. Immer wenn ich ihm etwas Geld gab, damit er sich kaufen konnte,was er wollte, hat er sich immer diese 5-Euro Lockencremen gekauft. Wirklich. Er liebte sie.

,,Nur fünf Minuten!" Die Tür öffnet und schliesst sich wieder. Mit langsamen Schritten laufe ich zum Bett. Die Tränen versuche ich krampfhaft zu unterdrücken. Stark schlucke ich bei seinem Anblick.
Ach Bolat. Sowas sollte er nicht erleben. Ich fühle mich schuldig. So schuldig. Schuldig dafür ihn nicht früher retten zu konnten. Wenn ich schneller gewesen wäre, hätte er vielleicht diese Verletzung nicht zugefügt bekommen. Er musste diesen Schmerz dann nicht erleiden. Er musste seine Haare nicht verlieren. Ich kneife die Augen zusammen und fasse mich an meinem Kopf. Scheisse, was war das denn? Ich hatte kurz das Gefühl mein Bewusstsein zu verlieren. Mir geht es so beschissen. Ich setzte mich langsam neben meinem Bruder und beobachte ihn. Er schläft so friedlich. Aber wenn er aufwacht weiß ich das von dieser Friedlichkeit nichts mehr zu sehen sein wird. Vorallem wenn er sein Gesicht sehen wird. Ich wills mir gar nicht vorstellen.

Vorsichtig nehme ich seine mit Verband gewickelte Hand in meine und streichel mit meinem Dauen über seinen Handrücken. Ich spüre die warmen Tränen an meiner Wange, aber wische sie nicht weg. Paar mal befeuchte ich meinen Lippen und will zum Reden starten, aber ich stoppe mich immer selbst. Was soll ich denn sagen hm? Das typische 'Alles wird gut'? Bolat hasst es, genau wie ich, sowas zu hören. Woher will man wissen das alles gut wird?

,,Bolat..." fange ich leise an und senke meinen Blick. Erst die eine Träne fällt auf den Bettlacken und dann die andere. ,,Es tut mir so Leid..." Meine Stimme bricht ab und ein Schluchzen verlässt mein Mund. Schnell presse ich die Lippen zusammen um nicht nochmal so ein Geräusch von mir zu geben. Bleib Stark. Bleib Stark, Efsane. Meine Lippen bringen nichts mehr. Ich stehe auf und presse diesmal meine Hand auf meinen Mund. Schon wieder. Schon wieder habe ich das Gefühl in Ohnmacht zu fallen. Ich halte mich sofort an dem Bettrand um nicht zu fallen. Einatmen. Ausatmen. Einatmen. Ausatmen. Beruhige dich. Beruhige dich!

Nach paar Minuten, in denen ich versucht habe normal zu Atmen, stelle ich mich auf und laufe zum Fenster, dass gleich neben dem Bett von Bolat ist. Ich öffne es und atme die kühle Abendluft in mich ein. Es tut so gut. Mit verschränkten Armen beobachte ich die ganzen Menschen die hin und her laufen. Es ist schon so spät, aber trotzdem gibt es keine Ruhe. In Krankenhäusern ist das glaube ich nie der Fall.

Als ich mich umdrehen wollte um raus zu gehen, bleibe ich aber an stehen. Ich sehe mindestens zwölf Männer in schwarzen Anzügen die vor dem Krankenhaus rum stehen. Genau wie die anderen Beiden die mir nicht in die Augen geschaut haben. Sie lassen ihren Blick über den ganzen Vordereingang schweifen. Und danach sehe ich ihn. Er verlässt gerade das Krankenhaus. Während er sein Handy von der Hosentasche raus holt, läuft er mit etwas schnellen Schritten zum Parkplatz.
Er läuft zu einem Mercedes und bewegt seinen Mund dabei. Das schwarze Shirt ziegt schon wieder seine Muskeln und seine breiten Schultern zur Geltung. Und die dicke Uhr an seinem Handgelenk kann man nicht hinweg sehen. Sie sieht sehr teuer aus. Er sieht etwas wütend aus. Sein dichtes schwarzes Haar fällt ihm in sein Gesicht, deshalb geht er mit seiner rechten Hand durch sein Haar. Seine Augebrauen sind mal wieder zusammengezogen. Immer sind sie so. Immer. Er steigt in seinen Wagen ein und fährt daraufhin los.

Ich weiss immernoch nicht seinen Namen. Dieser Mann wird mein Ehemann. Ich werde mit ihm zusammen leben. Mit einem Unbekannten werde ich zusammen leben. Aber niemals schlafe ich mit dem im gleichen Bett. Ich weiß nicht wie Alt mein 'zukünftiger Ehemann' oder wie sein Name lautet. Das ist doch wie ein Witz. Dieser Mann ist doch ein Witz. Er hats geschafft. Er hats geschafft, mich dazu zu bringen sein Angebot anzunehmen. Dieser Schamlose hat es geschafft. Kopfschüttelnd gucke ich mir nochmal die ganzen Männer an und schliesse das Fenster. Bevor mich die Müdigkeit übernimmt, setze ich mich zu Bolat und schlafe erschöpft auch ein.

TURKISH MAFIAWhere stories live. Discover now