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Wir machen uns gemeinsam auf den Weg zum Bootshaus. Sina und ich gehen voran, die beiden Jungs kommen uns hinterher. Sina hat sich bei mir untergehakt und legt ihren Kopf an meine Schulter.

"Vor zwei Tagen dachte ich, die Sonne wird nie wieder für mich scheinen. Mir wurde das Herz herausgerissen und ich war am Boden zerstört. Dann hattest du diese wunderbare Idee mit unserem Wochenende und ich wusste einfach, dass es richtig ist. Dass uns jetzt noch diese beiden Engel geschickt wurden, Romy, das war Schicksal. Tobi ist ein äußerst attraktiver Typ, der passt wunderbar zu dir. Gib dir einen Ruck und lern ihn näher kennen. Wie verrückt wäre das denn, wenn dir beide - mit Brüdern..." Sina quietscht vor Freude und ich muss sie festhalten, damit sie nicht den steilen Abhang zum Bootshaus hinunterkullert. "Sina, du kennst die beiden doch gar nicht! Wie kannst du dir so sicher sein, dass Max Interesse an dir hat und es ernst mit dir meint?" Ich werde meine Zweifel nicht los und muss es aussprechen "Was, wenn sie nicht ehrlich sind?"

Sina lässt mich los und hält mich mit beiden Händen an den Schultern fest. Sie schaut mir tief in die Augen und sagt "Ich weiß es ist schwer für dich zu glauben, dass es gute Seelen in dieser Welt gibt, die es aufrichtigt und gut mit einem meinen. Aber ich spüre es. Ich spüre, dass Max und Tobi echt sind. Ich habe in Max' Augen gesehen und wusste schon heute Morgen, dass er mir geschickt wurde. Ich werde alles tun um ihn richtig kennenzulernen und ich bitte dich inständig, gib ihm eine Chance. Lass uns die nächsten Tage nutzen und sie auf Herz und Nieren prüfen. Ich verspreche dir hoch und heilig, ich werde nichts überstürzen und werde aufpassen." Sina lässt mich los und wendet sich an Max und Tobi die mittlerweile zu uns aufgeschlossen haben. "Jungs, ich weiß ihr seid Gentlemen und ich weiß, dass ihr uns auf dem See nicht untergehen lasst, aber bitte, bitte gebt euch Mühe, dass wir nicht untergehen. Romy ist wasserscheu!" Sie lacht, lässt mich los und springt die letzten Meter den Hügel hinab. Ich muss lachen. Dieses verrückte Huhn bringt mich immer wieder dazu über meinen Schatten zu springen und mich zu trauen. Vorsichtig gehe ich die letzten Schritte des Hügels hinunter, komme aber ins Straucheln und falle... fast. Ein starker Griff hält mich davon ab bäuchlings in eine große Schlammgrube zu fallen. Als ich mich wieder gefangen habe und begreife wessen Hand das ist, die mich da gerade gerettet hat, werde ich feuerrot im Gesicht. "Danke", sage ich schüchtern und etwas peinlich berührt als Tobi mich wieder loslässt. "Gern geschehen".

Wir treiben schon seit einer Stunde in der Mitte des Sees. Tobi und Max haben uns sicher bis hier her gebracht und dann haben Tobi und Sina Plätze getauscht. Max und Sina sitzen nah bei einander vorne im Boot und unterhalten sich angeregt über Gott und die Welt. Während ich nicht weiß was ich mit Tobi sprechen soll. Und auch er macht nicht unbedingt den Eindruck als wolle er sich mit mir unterhalten. So sitzen wir nebeneinander und starren in verschiedene Richtungen auf den See hinaus. Manchmal wünschte ich mir, ich könnte offener sein, ich könnte auf die Menschen zugehen und sie in mein Leben lassen. Allerdings ist die Angst viel zu groß davor wie sie reagieren könnten, wenn sie erfahren, wer ich bin, wer meine Eltern sind. Tobi ergreift das Wort "Hey ihr zwei Turteltauben. Wir sollten so langsam wieder zurückrudern, sonst ist es dunkel bevor wir wieder an der Hütte ankommen."

Zurück in der Hütte angekommen, kümmern sich Max und Tobi um das Abendessen. Grillen ist Männersache, hatte Sina zu ihnen gesagt und sie kurzerhand an den Grill geschickt. Während wir uns in der Küche um die Beilagen kümmern und schon fast die erste Flasche Wein geleert haben, merke ich wie die Wolken zuziehen "Ich glaube heute Nacht stürmt es", sage ich zu Sina, die gerade verträumt an ihrem Wein nippt und Max durch das Küchenfenster beobachtet. "Hmmm. Was hast du gesagt?" Kopfschüttelnd nehme ich die Schüssel Salat, stelle sie auf den Tisch und setze mich. Wie kann es sein, dass man sich Hals über Kopf verliebt? Welche Vertrautheit muss in einem sein, dass man so bedingungslos und ohne Hintergedanken lieben und vertrauen kann? Sina kennt Max seit kaum 24 Stunden und sie wirkt so glücklich und frei. Ich merke, dass sich ein gewohntes Gefühl in mir breit macht. Eifersucht. Mein Begleiter seitdem ich denken kann. Als die Kinder um mich herum gemeinsam auf Freizeiten fuhren, gemeinsam im Sportclub waren oder auch nur ihre Nachmittage zusammen im Garten oder Freibad verbrachten, war ich immer schon das sonderliche Mädchen, das direkt nach der Schule abgeholt wurde und nach Hause gefahren ist. Auch jetzt bin ich die jenige, die morgens als erste alleine im Büro ist und nach Feierabend, die jenige ist, die nach Hause fährt, während sich die Kollegen nebenan in der Bar noch auf einen Absacker treffen. Ich habe noch nie Menschen in meinem Leben gehabt, mit denen ich über mich oder mein Leben gesprochen habe. Sina ist die Erste, die ich in mein Leben gelassen habe, mit der ich über mich spreche und mit der ich meine Geschichte teilen würde.

Max und Tobi reißen mich aus meinen Gedanken. Es duftet herrlich. Steak vom Grill, Ofenkartoffel und Salat. Ich nehme mich zusammen und erlaube mir einen kurzen Anflug von Vertrautheit zuzulassen. Es ist schön gemeinsam am Tisch zu sitzen und zu essen. Gerade als ich mir etwas Quark von der Wange wischen möchte, fällt mir mein Messer zu Boden. Ich bücke mich zeitgleich mit Tobi um das Messer aufzuheben und wir stoßen mit den Köpfen zusammen. "Au!" "Entschuldige, ich wollte dir nicht wehtun", Tobi hebt das Messer auf, reicht es mir und verlässt den Tisch. Immernoch werde ich das Gefühl nicht los, dass Tobi nicht gerne hier ist. Und zwischenzeitlich glaube ich es liegt an mir.

Nach dem Essen spülen Sina und ich das Geschirr ab, während Tobi immer noch verschwunden ist und Max auf der Couch liegt und ein Bier trinkt. "Was wollen wir heute abend noch machen? Lasst uns noch ein Spiel spielen!" Sina ist nicht zu bremsen. "Sina, es tut mir leid, ich möchte ins Bett gehen. Ich habe Kopfschmerzen vom Wein und möchte mich ein bisschen Ausruhen", sage ich und verlasse den Raum nach oben in mein Zimmer. Von hier aus habe ich einen wunderschönen Ausblick über den Wald und den See. Ganz in Gedanken sehe ich auf den See hinaus und schaue dem aufkommenden Gewitter zu. So viel Vertrautheit wie in diesem einen Moment habe ich selten gefühlt.

The shadow of my pastWo Geschichten leben. Entdecke jetzt